17. Sept. 2020 · 
Soziales

Ärzte-Kritik an der 116-117 hält an

Der Ärzte-Protest wegen Problemen mit der Notfall-Nummer 116-117 nimmt zu. Bereits vor zwei Monaten hatte das Politikjournal Rundblick über den Arzt Hans Jürgen Niedermeyer aus der Region Hannover berichtet, der sich seit gut 35 Jahren im Notdienst engagiert und „gravierende  Verschlechterungen“ festgestellt und dokumentiert hatte. Hintergrund ist eine Änderung des Systems: Wer in Niedersachsen die 116-117 wählt, landet seit Jahresbeginn zumeist im Callcenter der Firma Sanvartis in Duisburg.
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Inzwischen äußern auch Ärzte aus anderen Landkreisen Kritik. Die Vorwürfe ähneln sich dabei: teilweise lange Wartezeiten für die Patienten am Telefon, fehlende Medizin- und Orts-Kenntnisse der Sanvartis-Mitarbeiter. Unklar bleibt, wie gut die Mitarbeiter des Callcenters in der Breite auf die Anliegen der Patienten am Telefon vorbereitet sind. „Du wirst ausreichend bei uns geschult und kannst somit auch gerne als Quereinsteiger zu uns kommen“, heißt es in der Stellenbeschreibung des Dienstleisters aus Nordrhein-Westfalen. [caption id="attachment_53627" align="alignnone" width="780"] Läuft noch nicht ganz rund: die (fast) neue 116-117 in Niedersachsen - Foto: MB.[/caption] Die Rede ist auch von einer „intensiven Einarbeitung“, in der „medizinisches Grundwissen gegebenenfalls aufgefrischt“ werde. Ärzte, die im Bereitschaftsdienst unterwegs sind und in den vergangenen Monaten immer wieder auf Mängel stießen, haben Zweifel, dass das „medizinische Grundwissen“ der Callcenter-Mitarbeiter in der Praxis ausreicht.
Trotz des Bemühens der KVN, Fehler bei Sanvartis abzustellen, wird ihnen dies nicht gelingen, da das Kernproblem das größtenteils unqualifizierte Personal ist.
Am Mittwoch gab es nun eine Videokonferenz, an der Niedermeyer und zahlreiche Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung teilnahmen. Bei der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) hieß es auf Rundblick-Nachfrage, man wolle nicht sagen, dass überhaupt nichts schief laufe, aber man benötige dann auch konkrete Angaben, um mit Sanvartis darüber zu sprechen. „Es sind ernstzunehmende Schilderungen, aber wir müssen die Fälle konkret nachvollziehen können“, sagte KVN-Sprecher Detlef Haffke. Er bittet Bereitschaftsärzte darum, ähnliche Vorfälle in Zukunft umgehend und mit konkreten Angaben der KV zu melden.

In Hessen dockte man an die alte Struktur an

Niedermeyer zeigt sich nicht überzeugt. „Trotz des Bemühens der KVN, Fehler bei Sanvartis abzustellen, wird ihnen dies nicht gelingen, da das Kernproblem das größtenteils unqualifizierte Personal ist. Die fehlenden Ortskenntnisse und technischen Probleme des Anbieters sind auch nicht durch das Nachverfolgen von Fehlern zu beheben“, meint der Psychotherapeut aus Burgwedel. Ginge es nach ihm, würde man am besten das alte System vor der Reform wieder einführen. Damals landeten Anrufer aus Hannover zumeist bei Rettungssanitätern oder Arzthelferinnen, die an die Taxizentrale 3811 gekoppelt waren. Bei der KVN dürfte es aber wenig Interesse geben, zum alten System zurückzukehren, das speziell in Niedersachsen in kleinste Einheiten unterteilt war. Nicht nur deshalb entschied man sich damals für einen bundesweiten Sonderweg und schrieb den Aufbau der Patienten-Servicenummer europaweit aus. Den Zuschlag erhielt der Anbieter aus Nordrhein-Westfalen. https://www.youtube.com/watch?v=Rh4rnbDXPEU In anderen Bundesländern, wie zum Beispiel in Hessen, wurden die Strukturen beibehalten, hier gibt es zwei zentrale Anlaufstellen in Frankfurt und Kassel. Man stockte allerdings die Zahl der Mitarbeiter in den Telefonzentralen deutlich auf. Das niedersächsische Modell dürfte günstiger sein, Ärzte-Kritik wie in Niedersachsen gibt es im südlichen Nachbarland allerdings nicht. Derweil landet man nicht überall in Niedersachsen bei Sanvartis, wenn man die 116-117 gewählt hat. In der Region Hannover und den Kreisen Hameln-Pyrmont sowie Celle hatte sich die KVN bereits vor Monaten Unterstützung des DRK organisiert, nachdem das Callcenter in NRW der hohen Zahl der Anrufer im Januar und Februar nicht gewachsen war. Hier erreichen Patienten nun die DRK-Leitstelle. Der Vertrag läuft noch bis zum Jahresende.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #164.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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