Kurden-Demonstrationen halten Polizei immer stärker in Atem
Von Isabel Christian
Veranstaltungen von kurdischen Gruppen halten zurzeit die niedersächsische Polizei stark beschäftigt. Der Konflikt zwischen der türkischen Regierung und den Kurden wird geografisch zwar weit außerhalb der deutschen Landesgrenzen ausgetragen, doch spürbar ist er auch in Niedersachsen. Seit Beginn der türkischen Militäroffensive auf die hauptsächlich von Kurden bewohnte syrische Stadt Afrin Ende Januar gehen in mehreren niedersächsischen Städten immer wieder Kurden auf die Straße, um gegen die Türkei zu protestieren. Einsatzzahlen der Polizei zeigen, dass die Zahl der kurdischen Demonstrationen im Januar und Februar um das Sechsfache gestiegen ist. Hat die Polizei in den gleichen Monaten 2017 noch fünf kurdische Demonstrationen begleitet, waren es nun 36 Kundgebungen.
Innenministerium hat Landesreserve angewiesen
Die Sicherheitsbehörden bewerten die Situation ähnlich wie während des Kampfes um die syrische Stadt Kobane im Herbst 2014: Das Thema ist für die niedersächsischen Kurden hochemotional, und obwohl sie ihr Demonstrationsrecht in der Regel rechtskonform in Anspruch nehmen, kann es Spontankundgebungen und Ausschreitungen geben. Deshalb hatte das Innenministerium die Bereitschaftspolizei einen Monat lang angewiesen, eine sogenannte Landesreserve bereitzuhalten, um kurzfristig Demonstrationen begleiten zu können. Mittlerweile beruhigt sich die Lage wieder, die Anweisung ist zurückgenommen. Doch nun gibt es Ärger um die geplante Kundgebung zum Newroz-Fest am 17. März, zu dem der kurdische Verein NAV-DEM bundesweit nach Hannover eingeladen hatte.
NAV-DEM hat neue Demo angemeldet
Die zuständige Polizeidirektion Hannover (PD Hannover) wollte die Kundgebung zunächst verbieten. Eine Prüfung habe ergeben, dass die Veranstalter eine Nähe zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK hätten und davon auszugehen sei, dass PKK-Anhänger die Versammlung in Hannover für ihre Zwecke nutzen wollten. Darüber habe die Polizei den NAV-DEM-Verein am 23. Februar informiert, sagt ein Sprecher der PD Hannover auf Anfrage des Rundblicks. „Der Veranstalter hat daraufhin die Anzeige der Versammlung zurückgezogen, ohne sich zur Sache zu äußern.“ Allerdings will NAV-DEM offensichtlich nicht einfach so klein beigeben. Wie der Sprecher der PD Hannover bestätigt, liegt der hannoverschen Polizei eine neue Demonstrationsanzeige für den 17. März vor. Ob die Polizei auch diese Kundgebung verbieten will, dazu äußert sich die Behörde nicht. „Die Anzeige wird zurzeit geprüft“, sagt der Sprecher.
Gefahr von Auseinandersetzungen zwischen Türken und Kurden
Da die Demonstrationsfreiheit ein bürgerliches Grundrecht ist, müssen Demonstrationen nicht angemeldet und anschließend genehmigt, sondern lediglich bei der zuständigen kommunalen Behörde angezeigt werden. Die Polizei begleitet Kundgebungen, wenn etwa der Verkehr geregelt werden muss oder ein Gefahrenpotenzial besteht. Zum Beispiel, weil gewaltbereite Personen an der Kundgebung teilnehmen oder die Demonstrationsteilnehmer in Gefahr sind, von Andersdenkenden angegriffen zu werden. Bei den Kurdendemos etwa besteht die Gefahr, dass Türken die Demonstranten attackieren – oder umgekehrt. Einen Vorfall gab es zuletzt etwa in Salzgitter, als kurdische Demonstranten einige Türken in ihrem Auto bedrängten, oder am Flughafen Hannover, wo eine Spontankundgebung in einer teils handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen Kurden und Türken endete. Verbieten darf die Polizei eine Demonstration jedoch nur, wenn sie den begründeten Verdacht hat, die Kundgebung könnte die öffentliche Sicherheit gefährden.
Portrait von Öcalan verboten
Bei den Kurden gibt es dafür zwei mögliche Gründe. Zum einen die mit Fäusten ausgetragene ideologische Auseinandersetzung mit den Türken. Zum anderen kommt es bei Kundgebungen von Kurden immer wieder vor, dass Symbole der verbotenen PKK oder ihnen nahestehenden Organisationen und Personen gezeigt werden. Etwa das Konterfei von Abdullah Öcalan, den die Kurden als Führer und Kopf der PKK ansehen. Ende Januar hat das Bundesinnenministerium in einem Erlass das Verbot der PKK konkretisiert und die Kriterien für den Umgang mit ihren Sympathisanten verschärft. So dürfen sich PKK-Anhänger oder der Partei nahestehende Organisationen nicht öffentlich für die PKK einsetzen und ihre Symbole zeigen. Darunter fällt seit Kurzem auch das Portrait von Öcalan. Allerdings sind nun auch Symbole verboten, die eigentlich nichts mit der PKK zu tun haben, wenn sie öffentlich in einen Zusammenhang mit der verbotenen Partei gestellt werden. Das soll bei den jüngsten Demonstrationen immer wieder vorgekommen sein. Jedoch heißt es in Sicherheitskreisen, die Kurden in Niedersachsen verhielten sich wesentlich kooperativer als etwa in Nordrhein-Westfalen oder Berlin.
60 Polizisten pro Kundgebung
Dennoch bedeuteten die vergangenen Wochen für die Bereitschaftspolizei viel Arbeit. Die Kurdendemonstrationen machten fast ein Fünftel aller Einsätze aus. Rund 60 Polizisten begleiteten zuletzt in der Regel eine Kurdendemonstration. Dazu kam die Bereitstellung eines Zugs als Landesreserve. 28 Beamte mussten sich täglich von 12 bis 22 Uhr zur Verfügung halten, um im Falle einer spontanen Kundgebung die Kollegen vor Ort unterstützen zu können. Landesreserven werden immer dann gebildet, wenn kurzfristig eine gefährliche Situation entstehen kann. So gab es etwa in der Vorweihnachtszeit und zu den kirchlichen Feiertagen 2017 eine Landesreserve, weil die Terrorgefahr als hoch eingeschätzt wurde. Auch zu sogenannten „Sonnenwendfeiern“ von Rechtsextremen werden immer wieder Landesreserven angeordnet.