Krise bei Elektro-Autos geht weiter, aber Automotive-Unternehmen werden nachhaltiger
Die Nachfrage stagniert, die Konjunktur lahmt, das Vertrauen in die Politik sinkt: Die wirtschaftliche Lage in Deutschland sieht im Sommer 2024 nicht gerade rosig aus. Aber gilt das auch für Niedersachsen? In einer kleinen Sommerreihe werfen wir einen Blick auf die wichtigsten Wirtschaftsbranchen des Landes. Heute: Die Automobilindustrie.
Mit 150.000 direkt Beschäftigten und einem Umsatz von mehr als 100 Milliarden Euro ist der Fahrzeugbau die mit Abstand wichtigste Industriebranche des Landes. In Niedersachsen ist mit Volkswagen nicht nur ein Weltkonzern ansässig, hier sind auch Spezialfahrzeughersteller wie Krone, MAN Truck & Bus oder FAUN zu finden. Zudem tummeln sich zwischen Harz und Küste rund 700 Zulieferer – darunter auch die Continental AG, der Batteriehersteller Clarios und ZF Friedrichshafen.
Die deutschen Autohersteller stecken immer noch in der Krise. Wie der Verband der Automobilindustrie (VDA) berichtet, lag die Inlandsproduktion im ersten Halbjahr nur bei 2,1 Millionen Pkw und damit 135.000 Autos (minus sechs Prozent) unter dem Vorjahreswert. Im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019 beträgt das Produktionsminus sogar 16 Prozent. Die schlechte Performance hängt zwar auch damit zusammen, dass der Export nicht so richtig in Gang kommt (minus zwei Prozent) – immerhin werden vier von fünf Autos in Deutschland für das Ausland produziert.
Das größere Problem ist aber das fehlende Vertrauen der deutschen Autofahrer in die Elektromobilität. „Die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen bleibt in Deutschland schwach und ist vor allem der von der Bundesregierung abrupt beendeten Förderung sowie der schwachen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geschuldet“, schimpft VDA-Sprecher Moritz Schmerbeck. Der Spitzenverband der Autohersteller korrigiert seine Prognose für die Neuzulassungen von Elektro-Pkw auf dem deutschen Markt im Gesamtjahr 2024 deswegen auch deutlich nach unten: Nach Einschätzung des VDA werden nur 393.000 E-Autos neu auf die Straße kommen – das sind 25 Prozent weniger Neuzulassungen als im Jahr zuvor. Bei den Plugin-Hybriden wird dagegen weiterhin ein leichtes Plus von fünf Prozent erwartet.
Volkswagen will Leiharbeiter-Stellen wieder abbauen
Volkswagen reagiert offenbar mit Stellenstreichungen auf die E-Auto-Krise: Im Fahrzeugwerk Zwickau werden laut Medienberichten voraussichtlich 1.000 befristete Jobs bis 2025 nicht verlängert. Die sächsische VW-Fabrik, in der aktuell verschiedene „ID.“-Modelle sowie der „Audi Q4 e-tron“ und der „Cupra Born“ vom Band laufen, war 2018 auf die Produktion elektrischer Fahrzeuge umgebaut worden. Um die Produktion anzukurbeln, stellte Volkswagen insgesamt 2.700 Leiharbeiter ein, von denen jedoch die ersten bereits 2023 das Unternehmen wieder verlassen haben.
Das VW-Werk Emden war für 1,3 Milliarden Euro ebenfalls in einen reinen E-Auto-Standort verwandelt worden, von Jobabbau ist hier aber noch keine Rede. Im Interview mit dem Magazin „Automobil Produktion“ räumte Werkleiter Uwe Schwartz nun allerdings ein, dass der zunächst anvisierte Drei-Schicht-Betrieb bis auf Weiteres nicht kommen wird. „In der MEB-Fertigung produzieren wir den ‚ID.4‘, den ‚ID.7‘ und den ‚ID.7 Tourer‘ im Zwei-Schicht-Betrieb. Hinzu kommt eine Schicht für den ‚Arteon Shooting Brake’“, verriet der VW-Manager. Auch Schwartz berichtete von einem Nachfragerückgang nach dem Wegfall der E-Auto-Prämie. „Uns blieb also keine andere Wahl, als unsere Fahrweise an die Nachfrage anzupassen. Zum Glück hat sich die Situation in den vergangenen Wochen wieder etwas entspannt“, sagte er.
Neuen Schwung soll zudem der neue Vertriebsvorstand Martin Sander bringen. Der gebürtige Hildesheimer war bislang als Deutschland-Chef der Ford Motor Company tätig und untersteht jetzt VW-Markenchef Thomas Schäfer. „Martin wird neue Impulse setzen, um den Vertrieb der Marke Volkswagen nachhaltig für die Zukunft aufzustellen“, ist sich der CEO sicher. Sanders Vorgängerin Imelda Labbé war das offenbar nicht gelungen, für sie war nach nur zwei Jahren schon wieder Schluss bei VW.
Continental macht Reifenproduktion nachhaltiger
Beim hannoverschen Reifenhersteller und Autozulieferer Continental gibt es ebenfalls einen Personalwechsel: Rechtsvorstand Olaf Schick (52) hat zum 1. Juli das Ressort der scheidenden Finanzvorständin Katja Garcia Vila übernommen. Der Abschied der 52-Jährigen stärkt aber nicht nur den Juristen Schick, sondern auch Conti-CEO Nikolai Setzer, der den IT-Bereich zugeschlagen bekommt.
Gute Nachrichten vermeldet der unter Sparzwängen leidende Konzern in diesen Wochen aber allein aus dem Unternehmensbereich von Reifenvorstand Christian Kötz: Continental hat in seinem einzigen Reifenwerk in China die vierte Ausbaustufe fertiggestellt, sodass die Produktionskapazität bis 2027 auf 18 Millionen Reifen steigen kann. In der portugiesischen Mega-Fabrik ist diese Stückzahl bereits Realität. Das nächste Ziel heißt deswegen CO2-Neutralität, die bereits in diesem Jahr mithilfe von Dampf aus Ökostrom statt aus Gas erprobt werden soll. „Bis spätestens 2040 will Continental alle Reifenwerke vollständig auf CO2-neutrale Produktionsprozesse umstellen“, lautet das Konzernziel.
Faun Umwelttechnik hat neuen Finanzvorstand
Einen neuen Finanzvorstand hat ab sofort auch der Fahrzeughersteller Faun Umwelttechnik aus Osterholz-Scharmbeck (Kreis Osterholz). Heiko Dirks (47) tritt bei Europas führendem Anbieter von wasserstoffbetriebenen Müllfahrzeugen und Kehrmaschinen die Nachfolge von Matthias Kohlmann (62) an, der sich aus dem operativen Geschäft zurückzieht, aber als Präsident der IHK Niedersachsen weitermacht. Dirks kommt von der Remmers Gruppe, einem Baustofftechnikunternehmen aus Löningen (Kreis Cloppenburg).
Clarios setzt auf Natrium-Ionen-Batterie
Beim Autobatteriehersteller Clarios gibt es zwar keinen neuen Topmanager, dafür hat das Unternehmen aber eine wegweisende Entwicklungsvereinbarung geschlossen: Mit dem schwedischen Entwickler und Prototypenhersteller Altris will Clarios die Entwicklung von nachhaltigen Natrium-Ionen-Batterien vorantreiben. Im Gegensatz zu anderen Energiespeichern werden die Na-Ion-Batterien nicht aus giftigen Materialien, sondern aus Salz, Holz, Eisen sowie Luft gefertigt und sind leicht recyclebar. „Dies ist ein bedeutender Schritt nach vorn in unserer Strategie, bei der Herstellung von Niederspannungsbatterien chemieunabhängig zu sein“, freute sich Clarios-Vizepräsident Federico Morales-Zimmermann.
MAN will mehr E-Trucks auf die Straße bringen
Nutzfahrzeughersteller MAN setzt beim Antrieb seiner elektrischen Nutzfahrzeuge weiterhin auf herkömmliche Lithium-Ionen-Akkus, die in Nürnberg produziert werden. Im Herbst will die Traton-Gruppe, zu der neben MAN auch Scania und Navistar gehören, aber eine zukunftsweisende Entscheidung verkünden – nämlich den Standort für die nächste Batteriefabrik. Auch bei MAN Truck & Bus in Salzgitter macht man sich Hoffnungen auf den neuen Produktionszweig, wie der Rundblick bereits berichtete.
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