Kooperation mit Rechtsaußen? Für Lechner kommt das überhaupt nicht in Betracht
So richtig glücklich sind die Christdemokraten nicht aus der politischen Sommerpause zurückgekehrt. Wenn sich die Landtagsfraktion am 15. August zum Jahresempfang in Hannover trifft, dürfte an manchen Tischen die Frage erörtert werden, wie es denn ist mit der ungeliebten Konkurrenz am rechten Rand des Parteienspektrums, der AfD. Dabei lässt der Landes- und Fraktionsvorsitzende Sebastian Lechner keinen Zweifel an seiner Haltung – und er versäumt schon seit Monaten kaum eine Gelegenheit, das zu unterstreichen. Mit „denen“ (er meint die AfD-Politiker) „wollen wir nichts zu tun haben“. Es werde mit der AfD „keine Zusammenarbeit geben, auf keiner Ebene“. Aber ein ZDF-Interview mit CDU-Chef Friedrich Merz hat bundesweit eine Diskussion ausgelöst – und Zweifel an der Festigkeit des Neins der CDU geweckt.
Seinen klaren Anti-AfD-Kurs fährt Lechner schon seit der Landtagswahl. Mehr als einmal haben es führende Vertreter der CDU-Landtagsfraktion, neben ihm noch die Parlamentarische Geschäftsführerin Carina Hermann und Landtagsvizepräsident Jens Nacke und andere Fachsprecher, an verbalen Abgrenzungen zur AfD in Plenarsitzungen nicht mangeln lassen. Oft wirkte das dann sogar übertrieben – und nährte den Verdacht, damit sollten jegliche Annäherungsversuche, die sich zwischen einzelnen Abgeordneten der CDU und der AfD entwickeln könnten, von vornherein unterbunden werden. In diesem Fall wäre das ein innerparteiliches Signal in der CDU gewesen.
Nun hat es Lechner allerdings auch einfacher als seine Parteifreunde in den neuen Bundesländern. Denn so stark die AfD in einigen Gegenden Niedersachsens auch sein mag, für eine Mehrheitsbildung in Kreistagen oder kommunalen Räten war die AfD bisher nicht benötigt worden – jedenfalls sind solche Zustände bisher nicht bekannt geworden. Das ist in Sachsen, Thüringen, Brandenburg oder Sachsen-Anhalt mit den dort teilweise personalstarken AfD-Kommunalfraktionen ganz anders. In Niedersachsen sind die Hochburgen der AfD, gemessen an den Ergebnissen der Landtagswahl 2022, vor allem in Salzgitter, Gifhorn, Aurich, Leer und Delmenhorst. Dort lagen die AfD-Resultate bei den Zweitstimmen jeweils über 15 Prozentpunkten. In all diesen Gegenden sind indes Anzeichen einer etwaigen Verbrüderung zwischen CDU- und AfD-Kommunalpolitikern nicht sichtbar geworden. Deshalb darf man vermuten, dass es solche Entwicklungen nicht gibt.
CDU-Chef Merz sorgt mit Sommerinterview für Furore
Für Furore hat nun Ende Juli allerdings der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz gesorgt, als er im „ZDF-Sommerinterview“ nach der „Brandmauer“ gefragt wurde, die laut früheren Merz-Äußerungen zur AfD aufgebaut werden solle. Eingeblendet wurden in der Sendung Interviews von ostdeutschen Landräten und Bürgermeistern mit CDU-Parteibuch, die sich vom Begriff „Brandmauer“ abgrenzten und mehr oder weniger einvernehmlich erklärten, sie müssten auch mit gewählten AfD-Vertretern kooperieren. Das Wort „Mauer“ ist im Osten auch negativ besetzt, denn die Mauer war das, was die Revolutionäre von 1989 einreißen wollten.
In dem ZDF-Beitrag wurden – wohlgemerkt – Aussagen von kommunalen Verwaltungschefs wiedergegeben, die per Gesetz zur Kooperation mit den ehrenamtlich gewählten Rats- und Kreistagsmitgliedern verpflichtet sind, auch mit denen von der AfD. Mit „Kooperation“ kann in diesem Zusammenhang also auch nicht eine politisch-strategische Zusammenarbeit zwischen CDU- und AfD-Fraktionen in den Räten oder Kreistagen gemeint gewesen sein, sondern nur die Beziehung zwischen Verwaltungschef und ehrenamtlicher Vertretung.
Auf die Frage des ZDF-Moderators, ob Merz jetzt gegen diese Landräte und Bürgermeister ein Parteiausschlussverfahren einleiten müsse, meinte der CDU-Chef zunächst, die Kommunalpolitik sei etwas anderes als die Landes- und Bundespolitik, er habe mit der Brandmauer vielmehr die „Regierungsbildungen“ in den Ländern und im Bund gemeint. Auf kommunaler Ebene sei die Parteipolitisierung „ohnehin ein bisschen zu weit vorangeschritten“ – und es sei auch völlig klar, dass man einen demokratisch gewählten Landrat oder Bürgermeister, der AfD-Mitglied sei, akzeptieren müsse. Dann folgte noch ein Hinweis darauf, dass man in Kommunalparlamenten „nach Wegen suchen muss, die Stadt gemeinsam zu gestalten“.
Daraus hatte das ZDF dann gefolgert, Merz sei offen für eine Zusammenarbeit von AfD und CDU auf kommunaler Ebene. Das indes hatte er so nie gesagt. Aber dennoch ging eine lange Diskussion darüber los, ob die Merz-Worte nun als Freibrief für alle CDU-Kommunalpolitiker verstanden werden könnten, vor Ort auch mit der AfD zu kooperieren. Es wurde ein Sommertheater aufgeführt, das teilweise wirkte wie ein neuer Richtungsstreit bei den Christdemokraten. War das nun übertrieben? Ob die Ungeschicklichkeit von Merz für den Sturm im Wasserglas verantwortlich ist, der auf dieses Interview folgte, oder ob es die weitgreifende Interpretation derer war, die sich später auf dieses Interview bezogen, ist wohl eine eigene Untersuchung wert.
Streng genommen ist die Aussage des CDU-Vorsitzenden, auf kommunaler Ebene müsse man „nach Wegen zur gemeinsamen Gestaltung“ suchen, nicht wirklichkeitsfern. Denn die Meinungsbildung läuft weniger in der Form ab, dass sich die Fraktionen im Rat oder Kreistag zusammensetzen. Vielmehr legt der Verwaltungschef Vorschläge vor, zu denen sich dann die Kommunalvertretung äußern muss. Bei der Abstimmung, etwa über den Haushalt, eine neue Gebührensatzung oder einen Bebauungsplan, kommt es schon auf die Mehrheiten in der Vertretung an. Die Kommunikation verläuft aber hauptsächlich zwischen dem jeweiligen Verwaltungschef und der ehrenamtlichen Vertretung. Nun gibt es, etwa in Großstädten, tatsächlich auch „Koalitionen“ zwischen verschiedenen Gruppierungen.
Zu der Frage, ob es solche dauerhaften Absprachen zwischen CDU und AfD auf kommunaler Ebene geben darf oder nicht, hat sich Merz dann leider in dem ZDF-Interview nicht eingelassen. Die Interpretation, dass er eine Kooperation „nicht ausschließt“, ist nach einigen seiner vorherigen Bemerkungen wohl zulässig. Fragwürdig klingt zudem seine Position, dass in den Kommunen die Parteipolitisierung zu weit gediehen sei und man in den Kommunen immer nach gemeinsamen Wegen suchen müsse. Dies mag auf jeden Fall gültig sein für kleine und mittelgroße Städte und Landkreise. Für Großstädte mit ihren fast schon professionalisierten Vertretungen ist das aber wohl längst eine Fiktion. Auch an dieser Stelle ist das Merz-Interview unscharf geblieben.
In Niedersachsen dürfte man auf die Diskussionen rund um die Merz-Aussagen mit einer gewohnten Strategie reagieren – indem nämlich die CDU-Landesspitze eine noch deutlichere Abgrenzung zur AfD vornimmt. Die Klarheit, mit der Lechner und seine Mitstreiter auf Distanz zur AfD gehen, birgt aus rein parteitaktischen Argumenten allerdings ein Risiko: Nach dem aktuellen Stand der Umfragen und nach den jüngsten Wahlergebnissen dürfte der CDU in Niedersachsen bisher die Machtperspektive fehlen, wenn sie ein Bündnis mit der AfD vehement ausschließt. Die Große Koalition, das Bündnis von SPD und CDU, wird von keinem der beiden früheren Partner wieder angestrebt – beide großen Parteien standen sich, bei allen Fortschritten und Erfolgen, doch zu misstrauisch gegenüber. Dies ist wohl bis heute so.
Und für eine schwarz-grüne Annäherung fehlt nach derzeitigem Stand immer noch die Grundlage. Die niedersächsischen Grünen gelten im Bundesvergleich als weit links – und die Autorität von einigen wenigen Führungsfiguren, die am Ende eine Öffnung zur CDU einleiten könnten, ist weit und breit nicht sichtbar. Einen Winfried Kretschmann wie in Baden-Württemberg, einen Tarek Al-Wazir wie in Hessen, eine Monika Heinhold wie in Schleswig-Holstein oder eine Mona Neubaur wie in Nordrhein-Westfalen gibt es in Hannover nicht. Alle Spitzenpositionen der Grünen sind hier mit klar links ausgerichteten Leuten besetzt. Es scheint zudem so, als würden sich die Grünen hierzulande auch in der Regierungsverantwortung immer weiter nach links bewegen. Das ist vor allem für die CDU keine gute Nachricht. Für die SPD allerdings auch nicht. Und für die Grünen? Man wird es sehen.
Dieser Artikel erschien am 14.08.2023 in der Ausgabe #135.
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