Hat die CDU es im Hildesheimer Kreistag versäumt, eine „Brandmauer“ zur AfD aufzurichten? Oder ist dieser Vorwurf, der von einem landesweit bekannten Mitglied der CDU-Kreistagsfraktion zumindest angedeutet worden ist, nur vorgeschoben? Die Antwort darauf fällt nicht einfach.

Tatsache ist, dass der Hauptgeschäftsführer der Kommunalen Arbeitgeberverbände in Niedersachsen, Michael Bosse-Arbogast, zu Beginn dieser Woche für einen Eklat gesorgt hat. Er teilte schriftlich mit, nicht länger Mitglied der CDU-Kreistagsfraktion bleiben zu wollen. Schon vor Wochen hatte sich Bosse-Arbogast mehrfach öffentlich geäußert, unter anderem zum Umgang mit der AfD und mit Personen, die gemeinhin „Klimaleugner“ genannt werden. Bosse-Arbogast forderte eine „Brandmauer“. Seine Abkehr von der Kreistagsfraktion begründet er zwar nicht damit, dass man diese klare Trennungslinie zur AfD nicht gezogen habe – aber dieser Eindruck immerhin entsteht.
In der Hildesheimer CDU-Kreistagsfraktion gärt es seit langem. Seit der Kommunalwahl 2021 gibt es keine Große Koalition im Kreistag mehr, sondern ein Bündnis von SPD, Grünen und Linken – auf der anderen Seite stehen CDU, AfD und FDP in der Minderheit. Bosse-Arbogast war von 2006 bis 2020 Geschäftsführer der Hildesheimer Stadtwerke, wechselte dann als Hauptgeschäftsführer zum Kommunalen Arbeitgeberverband Niedersachsen. Dort ist er immer dann gefragt, wenn Tarifverhandlungen anstehen oder eine Verständigung zwischen Beschäftigten und den Kommunen als öffentlichen Arbeitgebern notwendig wird. Innerhalb der CDU gilt Bosse-Arbogast als Vertreter der liberalen Großstadtpartei. Früher war er im Rat der Stadt Hannover vertreten.

Nachdem er nun im Herbst 2021 in den Hildesheimer Kreistag einzog, soll sich alsbald ein latenter Konflikt zwischen ihm und Kreistagsfraktionschef Friedhelm Prior entwickelt haben. Der Jurist Bosse-Arbogast stieß in Prior auf jemanden, der ihm im Verwaltungs-Sachverstand nicht unterlegen ist – den pensionierten Ministerialrat Prior, der sich über die Jahre als Kämpfer für die Rechte von ehrenamtlichen Ratsmitgliedern gegenüber den hauptamtlichen Verwaltungen profiliert hat. Prior ist als hartnäckiger und sachkundiger Streiter bekannt, Kritiker meinen, er sei manchmal zu verbissen. Anhänger sagen, er gehe als einer der wenigen Kommunalpolitiker den Sachen auf den Grund und widme sich den Aufgaben mit großem Fleiß.
Auslöser für das CDU-interne Zerwürfnis war im Frühjahr die Einladung der CDU-Kreistagsfraktion an das SPD-Mitglied und früheren Hamburger Umweltsenator Fritz Vahrenholt für eine Vortragsveranstaltung. Einstimmig hatte die CDU-Kreistagsfraktion die Einladung befürwortet. Als bekannt wurde, dass Vahrenholt 2021 bei einer AfD-nahen Veranstaltung referiert hatte, war die Fraktion einmütig dafür, die Einladung nicht zurückzuziehen. Bosse-Arbogast soll in der Sitzung nicht anwesend gewesen sein.

Einen Tag vor der Veranstaltung erklärte Bosse-Arbogast dann in einem Gespräch mit der örtlichen Zeitung, dass es aus seiner Sicht besser gewesen wäre, die Brandmauer zu Klimaleugnern und AfD einzuhalten. Vahrenholt sei ungeeignet als Referent bei der CDU. Wochen nach der Veranstaltung diskutierte die CDU-Kreistagsfraktion intern erneut über den Vorgang, und Kritiker bemängelten, dass unter den Zuschauern sehr viele AfD-Anhänger gewesen wären. Bei der Gelegenheit soll aber jedes Fraktionsmitglied der CDU unterstrichen haben, dass man keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD plane oder befürworte.
Der Vorwurf der „Klimaleugnung“ an die Adresse von Vahrenholt ist wohl arg vereinfacht. Der frühere Senator verneint die Erderwärmung nicht, übt jedoch scharfe Kritik an den Schwerpunkten der deutschen Energiepolitik und nennt etwa den Ausstieg aus der Kernenergie einen Fehler. Man kann auch Prior nicht unterstellen, dass er eine Annäherung an die AfD suchen würde – der streitbare CDU-Fraktionschef hat bisher schon gezeigt, dass er mit der Partei rechts von der Union nicht paktieren will. Er schließt eine Kooperation mit der AfD genauso aus wie eine mit der Linkspartei.
Bei all diesen Umständen ist nun fraglich, ob der Konflikt in Hildesheim tatsächlich für einen Richtungsstreit bei den niedersächsischen Christdemokraten spricht. Gut möglich ist auch, dass Bosse-Arbogast vor allem seine Unzufriedenheit mit dem Führungsstil von Prior ausdrücken wollte. Das wird auch in seiner Rückzugserklärung deutlich. Ihm sei es wichtig, „unsere freie Marktwirtschaft klimafreundlich zu gestalten“, schreibt er. Es sei aber „zunehmend schwieriger, diese Ziele in der Fraktion zu erreichen“. Mit der „derzeitigen Leitung“ gebe es „selten die Möglichkeit einer sach- und zielorientierten Zusammenarbeit“. Spannend ist nun die Frage, ob Bosse-Arbogasts Austritt aus der Kreistagsfraktion Folgen haben wird – denn eigentlich müsste für ihn daraus ein Parteiordnungsverfahren folgen.