Darum geht es: In den achtziger Jahren haben die linken Organisationen in der Bundesrepublik sich zum Anwalt der Demokratie in Nicaragua erklärt – jahrelange, leidenschaftlich gestaltete Aktionen bewiesen die tief empfundene Solidarität. Wie glaubwürdig war dieser Einsatz? Jetzt macht sich ein Diktator im benachbarten Venezuela daran, sein Volk zu bekämpfen. Wo bleibt die Solidarität aus Deutschland? Ein Kommentar von Klaus Wallbaum.
Wer in den achtziger Jahren aufgewachsen ist, kann heute noch ein Lied davon singen: Viele linke Gruppierungen in der Bundesrepublik (und einige offizielle Organisationen in der DDR) riefen zu Hilfsaktionen für die junge Demokratie in Nicaragua auf. Nachdem der Diktator Somoza gestürzt war, setzten sie sich für die revolutionäre Bewegung in dem mittelamerikanischen Land ein – entschieden und nachdrücklich. Dass die US-Regierung unter Ronald Reagan den neuen Machthaber Daniel Ortega stürzen wollte, stachelte sie umso mehr zu Solidaritätsaktionen an. Weltweit unterstützten Künstler und Intellektuelle die neuen Machthaber in Nicaragua – aus gutem Grund. Nach dem Ende der Diktatur wurde die Schulbildung für breite Schichten verbessert, eine Alphabetisierungskampagne zeigte Erfolge. Es war unstreitig in weiten Teilen eine gute Sache, für die sich die linken Kräfte in Deutschland eingesetzt hatten.
Aber wie glaubwürdig sind die linken Kräfte heute? Wieder bringen die Medien jeden Tag besorgniserregende Nachrichten aus einem lateinamerikanischen Land. Es heißt nicht Nicaragua, sondern Venezuela. Aber es geht wieder um einen Diktator, der sein Volk bevormundet, mit Gewalt gegen Kritiker vorgeht, das Parlament entmachtet und sich derzeit drauf und dran macht, eine Einparteienherrschaft zu errichten. Seit Jahren schon tobt dort der Machtkampf, der sich in den vergangenen Tagen rund um das Referendum am vergangenen Sonntag zugespitzt hat. Hunderte, die gegen Präsident Maduro protestiert hatten, sind niedergemetzelt worden. Wo bleiben die Rufe nach Solidarität mit denen, die dort auf die Straße gehen, die Demokratie verteidigen und den selbstherrlichen Präsidenten Maduro absetzen wollen? Man hört weit und breit nichts. Ob es damit zu tun hat, dass Maduro sich einen Sozialisten nennt, die USA-Regierung nicht auf seiner Seite steht und die Demonstranten auf der Straße keine linken Kräfte sind?
https://www.youtube.com/watch?v=5gBTzEa2x44
In der Tat taucht der Begriff Venezuela im Wahlprogramm einer im Bundestag vertretenen Partei auf, der Linkspartei. Doch wer nun ähnliche Formulierungen wie seinerzeit in Bezug auf Nicaragua erwartet hätte, wird enttäuscht. Verurteilt werden hier „Destabilisierungsversuche der EU und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gegen das Land“. Die Linkspartei bekennt, sie unterstütze „die linken Regierungen und die selbstbestimmten regionalen Integrationsprozesse in Lateinamerika“. Das klingt wie Hohn. Während der Diktator in Caracas die Demonstranten auf der Straße ermorden, verhaften und verfolgen lässt, erklärt die Linkspartei in Deutschland mit einigen umständlichen Formulierungen ihre Solidarität mit ihm. Wenn es eines Beweises bedarf, dass sich die Linkspartei in Deutschland außenpolitisch völlig auf der falschen Spur befindet, dann ist dies einer. Die Aussage im Wahlprogramm klingt menschenverachtend und relativiert rückblickend das damals so idealistisch vorgetragene Engagement für Nicaragua: Einige linke Gruppierungen sind zur Solidarität mit Verfolgten und Geknechteten offenbar nur dann fähig, wenn ihr Protest ins vorgefertigte Weltbild passt. Die Verfolgten müssen politisch links stehen, die Verfolger rechts – und wenn es gegen die westliche Supermacht USA geht, ist alles gut und richtig. So wäre auch zu erklären, warum die linken Kräfte in der Bundesrepublik der achtziger Jahre nie so viel für die Regimekritiker in der DDR empfunden haben wie für die Revolutionäre in Nicaragua. Und auch, warum es einigen Linken (ebenso wie manchen Rechtspopulisten) so schwer fällt, die Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen in Russland anzuprangern. Der alte Ost-West-Konflikt lebt in den Köpfen und Herzen vieler politischer Akteure in Deutschland bis heute weiter.
Was jetzt nötig wäre, ist Solidarität mit den Verfolgten in Venezuela. Wenn sie nicht von links kommt, dann muss sie eben von woanders kommen.
Mail an den Autor dieses KommentarsDieser Artikel erschien in Ausgabe #128.