Der Landesvorsitzende des Naturschutzbundes Niedersachsen (Nabu) ist besorgt: Am größten niedersächsischen Binnensee, einem Feuchtgebiet mit internationaler Bedeutung, wird der Naturschutz aus seiner Sicht immer stärker gekürzt. Der Bestand der Vogelwelt sei schon zurückgegangen, mit dem Vordringen von noch mehr Segel-Tourismus drohe die Vielfalt weiterhin Schaden zu nehmen. Buschmann fordert eine Umkehr – und gezielte Schritte in Richtung eines neuen Tourismus-Konzeptes.

Rundblick: Herr Buschmann, wie steht es eigentlich um den Naturschutz am Steinhuder Meer? Man hat den Eindruck, dass in der Region die Naturschutzinteressen immer wieder hinter denen anderer Lobbygruppen zurückstecken müssen…
Buschmann: Das sehen wir auch so, mit großem Bedauern. Vor dem Hintergrund, dass das Steinhuder Meer als Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung gilt und eines der für den Vogelschutz bedeutendsten Gebiete in Deutschland ist, ist es nicht akzeptabel, dass wichtige Errungenschaften des Naturschutzes scheibchenweise zurückgenommen werden. Neben der Verkürzung des Winterfahrverbotes (vom 31. März auf den 20. März eines Jahres), der Verlängerung der Erlaubnis zum Surfen bis Mitte November, der Erlaubnis von bis zu vier Trainingsregatten und Einschränkungen des Nachtfahrverbotes für Fahrgastschiffe hat es in den vergangenen Jahren aus naturschutzfachlicher Sicht zunehmend Verschlechterungen gegeben, die sich mittlerweile erkennbar negativ auf die Wasservögel auswirken. Vor allem ist die zunehmende touristische Erschließung der Insel Wilhelmstein mit dem vor einigen Jahren aufgenommenen Übernachtungsbetrieb zu nennen. Die ist mit einem erheblichen zusätzlichen, die Natur belastenden Motorbootverkehr verbunden.
Leider sind aber auch uninformierte oder uneinsichtige Surfer, Kitesurfer und SUP-Paddler, die sich nicht an die Naturschutzgebietsgrenzen halten und das Winterfahrverbot ignorieren, ein zunehmendes Problem. Warum laute Veranstaltungen wie eine Mallorca-Party ausgerechnet zur Brutzeit auf der Badeinsel stattfinden müssen, erschließt sich mir auch nicht. Dass solche Veranstaltungen in dieser Zeit zu erheblichen Brutverlusten führen können, ist den Veranstaltern ja durchaus bekannt. Als Fazit kann man sagen: Auf Biegen und Brechen wird von mehreren Seiten versucht, die Errungenschaften des Naturschutzes, die für eine Verbesserung der Lebenssituation von Fauna und Flora gesorgt haben, zu Gunsten anderer Interessen aufzuweichen.

Rundblick: Welche Rückzugsräume hat die Vogelwelt am Steinhuder Meer – und wo sind die Bedrohungen?
Buschmann: Glücklicherweise wurden die Naturschutzgebiete, die Teile der Seefläche schützen (NSG Totes Moor, NSG Westufer Steinhuder Meer) vor wenigen Jahren vergrößert. Trotzdem sind heute nur etwa 17 Prozent der Seewasserfläche geschützt, meist Teile, die für den Wassersport eh nicht genutzt werden können, weil sie zu flach sind. Das ist zu wenig für einen effektiven Schutz der Brutvögel. Wir wären aber auch schon etwas weiter, wenn sich alleWassersportler an die Regeln, insbesondere an das Betretungsverbot der Naturschutzgebiete, halten würden. Dass es in einer Zeit wie heute, mit dem größten Artensterben der Menschheitsgeschichte, noch immer Stimmen gibt, das für den Vogelschutz extrem wichtige Winterfahrverbot zu Gunsten einer kleinen Gruppe Surfern aufzulösen, ist aus meiner Sicht unverantwortlich. Sogar die SPD-Landtagsabgeordnete Wiebke Osigus äußerte sich jüngst in diese Richtung. Alle Naturtouristen, die sich über die Vogelschwärme freuen und extra deswegen zum Steinhuder Meer reisen, können nur froh sein, dass die EU-Vorgaben das sicher verhindern werden.

Rundblick: Die Lobby der Segler und des Tourismus macht massiv Druck auf eine entschlossene und tiefgreifende Entschlammung des Meeres. Dafür sollen vorhandene Polder erweitert werden. Was halten Sie davon?
Buschmann: Man muss klar feststellen: Von der Entschlammung, so wie sie durchgeführt wird, profitieren vor allem die Wassersportler, der Naturschutz nur geringfügig. Zwischen den Stegen sammelt sich zwangsläufig der Schlamm, weil diese Bereiche strömungsberuhigt sind. Wenn der Schlamm sachgerecht (nicht zur Brutzeit) entsorgt wird, spricht aus unserer Sicht nichts gegen eine Entnahme. Es darf aber nicht sein, wie in der Vergangenheit geschehen, dass die Schlammpolder auf für den Naturschutz bedeutsamen Flächen gebaut werden. Eine Entschlammung zur Förderung des Tourismus auf Kosten der Natur geht nicht. Momentan gehe ich davon aus, dass bei der Poldersuche und -erweiterung mehr Sachverstand eingesetzt wird als in der Vergangenheit.
Rundblick: Einer der aktuellen Vorschläge lautet, Flächen im Toten Moor für einen neuen Polder zu nutzen. Eine andere Variante sieht die Abholzung eines Waldes für einen neuen Schlammpolder vor. Wie ist Ihre Haltung dazu?
Buschmann: Die angedachte Erweiterung des Polders Kolkdobben bei Mardorf tragen wir mit. Als Erweiterungsfläche ist ein wertarmer Kiefernforst im Gespräch. Das Holz wird verwendet, eine adäquate Fläche würde aufgeforstet. Ein Schlammpolder im Hochmoor, also in einem sich gut entwickelnden Naturschutzgebiet, ist dagegen völlig inakzeptabel. Das Hochmoor ist extrem wichtig für den natürlichen Klimaschutz, da in einem wachsenden Hochmoor CO2 gebunden wird. Es darf keine Schlammentsorgung zu Gunsten des Segelsportes geben, wenn diese zu Lasten des Klimaschutzes und der Natur geht.
Rundblick: Was würde es bedeuten, wenn der Schlamm aus dem Meer mit Schwermetallen belastet sein sollte – und wenn dieser Schlamm dann ins Tote Moor gelangt?
Buschmann: Wie gesagt, einen Schlammpolder im Hochmoor tragen wir nicht mit. Nach der aktuellen Gesetzeslage ist der Schlamm Abfall und die Entsorgungsmöglichkeiten hinsichtlich der Belastungen des Abfalls sind zu prüfen. Ich gehe von einer Belastung mit Schwermetallen aus, so dass auch die Entsorgung des Schlamms entsprechend verantwortungsvoll umgesetzt werden muss.

Rundblick: Aus Großenheidorn und Steinhude soll noch Regenwasser, das von Straßen, Autos und Dächern in die Kanalisation gelangt, direkt ins Meer geleitet werden. Ist das noch hinnehmbar?
Buschmann: Nein, das ist es nicht und führt zur Verschlechterung der Wasserqualität. Es wird Zeit, dass sich darum gekümmert wird. Leider wird das Thema seit 30 Jahren diskutiert und nicht angegangen.
Rundblick: Was brauchen wir für das Steinhuder Meer? Haben wir alle nötigen Daten, die für eine langfristige Sicherung und einen optimalen Schutz des Naturraumes notwendig sind?
Buschmann: Wir hatten in der Vergangenheit schon gute Lösungen gefunden, um die Natur am Steinhuder Meer mitsamt aller Tiere und Pflanzen zu erhalten. Die Vor-Ort-Betreuung durch die Ökologische Schutzstation Steinhuder Meer (ÖSSM) funktioniert hervorragend. Auch zahlreiche Bemühungen der Landkreise und der Region Hannover zum Naturschutz waren erfolgreich. Gute Daten etwa zur Bestandsentwicklung von Tieren und Pflanzen oder zur Wasserqualität des Sees liegen vor, wir wissen ziemlich genau, wo es brennt und was es zu tun gibt. Warum manche relevante Dinge nicht umgesetzt werden, liegt an der Interessenvielfalt. Und da ist zum Beispiel der Tourismus am Steinhuder Meer aus meiner Sicht recht rückständig. Anstatt das Naturpotenzial zu bewerben, wird am Steinhuder Meer lieber auf Spaßgesellschaft gesetzt. Das halten wir für unzeitgemäß und kurzsichtig. Als gutes Beispiel gilt für mich der Neusiedler See, dort wird die Natur touristisch vermarktet und gleichzeitig geschützt, da sie das Kapital der Region ist. Am Steinhuder Meer hat man noch gar nicht begriffen, welch hohes Kapital die dortige Natur auch touristisch hat.
Rundblick: Haben Sie den Eindruck, dass Landesregierung und Landtag dem Schutz der Natur an diesem größten Binnensee Niedersachsens ausreichend Gewicht einräumen? Was sollte geschehen, damit der Naturschutz hier endlich mehr Beachtung bekommt?
Buschmann: Es war - wie erwähnt - schon mal besser. Vielleicht meint man, sich auf den Erfolgen (Winterfahrverbot, NSG Ausweisungen und -erweiterungen) der Vergangenheit ausruhen zu können. Das wird auf Dauer leider nicht reichen, wie die sinkenden Bestände einiger Vogelarten zeigen.