Kein Geld nach Russland: Chef der Volkswagenstiftung erklärt neue Strategie
Georg Schütte ist seit 2020 Generalsekretär der Volkswagenstiftung. Im Gespräch mit Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter verriet er, wie internationale Forschung und Diplomatie zusammenhängen, wie der russische Angriff auf die Ukraine nun die Wissenschaft ausbremst und wie die Stiftung ukrainischen Forschern unkompliziert helfen will.
Rundblick: Herr Schütte, der Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine wird gemeinhin als Zeitenwende bezeichnet. Wie drückt sich das in der Welt der Wissenschaft aus?
Schütte: Wir haben damit nun die Grenzen unseres Idealismus erreicht hinsichtlich dessen, was die Wirkung der Zusammenarbeit in der international vernetzten Wissenschaft angeht. Wir haben geglaubt, die Wissenschaft kann dazu beitragen, Vertrauen zwischen Menschen, aber auch zwischen Staaten aufzubauen. Das funktioniert in Friedenszeiten. Und scheitert, wie sich jetzt zeigt, wenn Machtpolitik um sich greift und Despotie gewinnt.
Rundblick: Worauf fußte diese idealistische Annahme über die Rolle der Wissenschaft?
Schütte: Das beste Beispiel dafür ist der Aufbau der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er Jahren. Die zwischenstaatlichen Beziehungen wurden zunächst von einer Gruppe von Wissenschaftlern aufgegriffen. Erst danach folgten die offiziellen diplomatischen Beziehungen über das Auswärtige Amt.
Rundblick: Wissenschaft kann also auch diplomatische Brücken bauen. Haben Sie dazu auch ein aktuelleres Beispiel?
Schütte: Die Volkswagenstiftung hat schon 2014 nach der Annexion der Krim ein Förderprogramm speziell für trilaterale Partnerschaften aufgelegt. Wir wollten damit Wissenschaftler aus Deutschland, Russland und der Ukraine zusammenbringen, weil wir gehofft haben, dass wir damit Vertrauen schaffen können. Insgesamt 15,4 Millionen Euro hat die Stiftung seitdem investiert und 40 Forscherteams damit gefördert.
Rundblick: Funktionierte diese Zusammenarbeit gut?
Schütte: Es gab Vorbehalte auf beiden Seiten, sowohl bei den Russen als auch bei den Ukrainern. Viele Forschende mussten ohne den Rückhalt von Universitäten oder staatsnahen Akademien zurechtkommen. Treffen fanden deshalb häufig auf neutralem Boden statt. Das erforderte eine Menge Mut der Einzelnen. Hier brauchte dann auch die Wissenschaft Unterstützung durch die Diplomatie: Das ukrainische Bildungsministerium hatte nämlich zu verstehen gegeben, dass eine Zusammenarbeit mit russischen Forschern nicht opportun sei. Dank der Unterstützung durch das Auswärtige Amt und der deutschen Botschaft konnten wir das Programm aber retten.
Rundblick: Mit welchen Themen haben sich diese Teams denn beschäftigt?
Schütte: Das war breit gefächert, wir haben das bewusst offengehalten. Es gab Projekte zur Arzneimittelforschung, zur Stadtplanung, aber auch zu einem heiklen Thema wie dem „kollektiven Handeln nicht-staatlicher Gruppen im Ukraine-Konflikt“.
Rundblick: Wie wirkt sich nun der Krieg in der Ukraine konkret auf diese Förderung aus?
Schütte: Die Förderung bestehender Projekte läuft theoretisch noch bis 2023, aber die Zahlungen nach Russland haben wir jetzt komplett eingestellt. Zum einen ist der Zahlungsverkehr dorthin insgesamt kaum noch möglich. Zum anderen gingen die Fördergelder an staatliche Institute, die sich in Russland als sehr linientreu, sehr staatsnah und damit jetzt auch als sehr diktatorennah erwiesen haben. Das anti-aufklärerische Handeln der russischen Regierung widerspricht unserem Verständnis von Wissenschaft – es ist ein Skandal!
Wir haben E-Mails von Forschern in Charkiw erhalten, die in Kellern ausharren.
Georg Schütte, Generalsekretär der Volkswagenstiftung
Rundblick: Und wie verhält es sich mit der ukrainischen Seite der Forschungsteams?
Schütte: Wir haben mit Wissenschaftlern zusammengearbeitet, die in Kiew, Lwiw/Lemberg und Charkiw leben. In Kiew ist die Arbeit theoretisch noch möglich, aber in der Stadt herrscht der Ausnahmezustand. Wir haben E-Mails von Forschern in Charkiw erhalten, die in Kellern ausharren oder sich auf den Weg gemacht haben, ihr Land zu verteidigen.
Rundblick: Vor kurzem haben Sie ein neues Förderprogramm aufgelegt, das sich speziell an geflüchtete Wissenschaftler aus der Ukraine richtet. Wie kam das zustande?
Schütte: Als sich wenige Tage nach Kriegsbeginn abzeichnete, dass mit einem großen Flüchtlingsstrom zu rechnen ist, haben wir im Kuratorium der Volkswagenstiftung überlegt, was wir gemäß unserer Satzung tun können. Unser Auftrag ist es, Wissenschaft und Technik in Forschung und Lehre zu fördern. Deshalb haben wir uns kurzerhand entschlossen, mit einem Sonder-Förderprogramm denjenigen Geflüchteten zu helfen, die in der Wissenschaft arbeiten. Wir bieten ihnen ein Stipendium in Höhe von 1700 bis 2300 Euro monatlich. Damit wir möglichst unkompliziert helfen können, haben wir sogar unsere Förderkriterien angepasst.
Geflüchtete Wissenschaftler müssen keine Zeugnisse vorlegen
Rundblick: Inwiefern?
Schütte: Wir setzen das wettbewerbliche Prinzip aus, wir halten die Formalitäten möglichst gering. Hochschulen im gesamten Land, die Doktoranden oder andere gestandene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Ukraine bei sich beschäftigen wollen, können sich bei uns melden. Sollten Zeugnisse oder Lebensläufe auf der Flucht verlorengegangen sein, reicht es uns derzeit auch aus, wenn die Hochschulen sich für die Qualifikation der Wissenschaftler verbürgen, etwa weil sie schon lange mit ihnen zusammengearbeitet haben.
Rundblick: Wie wird dieses Angebot bislang angenommen?
Schütte: Das Programm ist erst am 4. März gestartet. Aktuell haben wir neun konkrete Anträge, aber eine täglich wachsende Zahl von Anfragen. Wir wollten nicht warten, bis eine bestimmte Zahl an Anträgen vorliegt, sondern direkt einspringen. Das war nur möglich, weil ein Fachreferent und dessen Mitarbeiterin hier im Haus alles andere beiseitegelegt und in kürzester Zeit das Förderprogramm auf den Weg gebracht haben. Als gemeinnützige Stiftung haben wir eine gewisse Flexibilität, die die staatlichen Förderer nicht haben. Es ist aber mit dem DAAD, der Humboldt-Stiftung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft vereinbart, dass wir Hand in Hand arbeiten, sobald diese ihre öffentlichen Förderprogramme aufgelegt haben.
Rundblick: Russische Wissenschaftler haben kurz nach Kriegsbeginn in einem offenen Brief ein Ende des Militäreinsatzes gefordert. Wie bewerten Sie diese Aktion?
Schütte: Das ist ein enorm wichtiges Signal in den Westen, aber hoffentlich auch nach Russland, wenn sich eine große Gruppe von Intellektuellen gegen den Wahnsinn dieses Krieges stellt. Aber neben der diplomatischen gibt es auch eine ganz pragmatische Komponente, die zur Zusammenarbeit in der Wissenschaft führt. Als Beispiel fällt mir spontan die Mosaic-Expedition des Alfred-Wegener-Instituts aus Bremerhaven ein, bei der vor wenigen Jahren Wissenschaftler die Arktis am Polarkreis erkundet haben. Dies wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht ein russischer Eisbrecher die Versorgung sichergestellt hätte.
Dieser Artikel erschien am 16.03.2022 in der Ausgabe #050.
Karrieren, Krisen & Kontroversen
Meilensteine der niedersächsischen Landespolitik
Jetzt vorbestellen