Der Oldenburger Jura-Professor und Experte für Öffentliches Recht, Prof. Volker Boehme-Neßler, übt scharfe Kritik an der aktuellen Arbeit des Verfassungsschutzes auf Bundes- und auf Länderebene. Der bundesweit neu eingeführte Begriff der „Delegitimierung des Staates“ sei geeignet, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit einzuschränken. „Es kann nicht sein, dass der Verfassungsschutz den Schutz der Bürger durch die Meinungsfreiheit verkürzt, indem er willkürlich eine neue Kategorie schafft, die Delegitimierung“, betonte Boehme-Neßler im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick.

Die anderen bisherigen Kategorien für Links-, Rechtsextremismus und Islamismus zielten auf eindeutige, mit Gewalt verbundene Bedrohungen und Gefährdungen für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Hier aber sei es anders, die „Delegitimierung des Staates“ sei bewusst unscharf formuliert. In der Wirkung könne das einschüchtern. „Wer den Staat kritisiert, muss jetzt damit rechnen, dass er als Delegitimierer ins Visier des Verfassungsschutzes gerät, immerhin eines Geheimdienstes mit erheblicher Macht.“
Boehme-Neßler hatte sich in den vergangenen Wochen intensiv mit dem Rechtsstreit zwischen der AfD und dem Verfassungsschutz beschäftigt. Dabei ist der Experte für Öffentliches Recht kein Anhänger oder Freund der AfD. Vor dem Staatsgerichtshof in Bückeburg vertritt er den Wahleinspruch von zwei FDP-Politikern gegen die Landtagswahl. Das Argument dort lautet, die Landesliste der AfD sei unter rechtswidrigen Verhältnissen aufgestellt worden. Was die jüngsten Änderungen beim Verfassungsschutz angeht, nimmt Boehme-Neßler eine betont kritische Haltung ein. Dass diese Behörde des Innenministeriums nachrichtendienstliche Mittel einsetzen kann, um Bürger zu beobachten, ist aus seiner Sicht „ein Unding“. Dies passe nicht zur freiheitlichen und rechtsstaatlichen Demokratie, die vom freien politischen Diskurs lebe.
Die Gefahr des Missbrauchs durch das Ministerium bestehe ebenfalls. Die Abwehr von islamistischem oder extremistischem Extremismus könne auch von den Polizeibehörden übernommen werden, dafür brauche es den Verfassungsschutz nicht unbedingt. Außerdem sei die Öffentlichkeitsarbeit des Bundes-Verfassungsschutzes unter seinem Präsidenten Thomas Haldenwang „viel zu offensiv“. Wenn die AfD von Haldenwang als „gesichert rechtsextremistisch“ bezeichnet werde, komme das einer erheblichen Stigmatisierung gleich. Der Verfassungsschutz trete mit der Autorität einer Bundesbehörde auf, seine Aussagen haben damit „einen scheinbar objektiven Charakter“, der erhebliche Wirkung auf den Wettbewerb der Parteien haben könne.
Ein weiteres Problem besteht laut Boehme-Neßler dadurch, dass der Verfassungsschutz die AfD zwar als „in Teilen gesichert rechtsextremistisch“ bezeichne, die Begründung dafür aber im Dunkeln bleibe. Man wisse nicht, auf welches Material sich die Behörde stütze. „Im Rechtsstaat sind wir es gewohnt, keine Behauptungen blind zu glauben. Wir wollen und müssen Beweise und Belege sehen“, fügt der Oldenburger Jurist hinzu. Aus seiner Sicht, sagt Boehme-Neßler, sei die AfD „eine rechtskonservative Partei mit stark nationaler Ausrichtung“. Er fügt hinzu: „In der AfD gibt es Rechtsextremisten und auch extremistische Äußerungen, die unerträglich sind. Aber sie prägen nicht den Charakter der Gesamtpartei.“ Die „Dämonisierung der AfD“ sei aus seiner Sicht „ein großer politischer Fehler“. Dies mache die AfD nur stärker und sei zutiefst undemokratisch. Mit einer Stigmatisierung und Dämonisierung trage man überdies dazu bei, dass sich die Wähler von der Politik und der Demokratie entfernen. „Das ist fatal“, sagt Boehme-Neßler.