22. Juni 2022 · Landwirtschaft

Junglandwirte fordern Herkunftskennung statt nur einer Haltungskennzeichnung

Foto: Anant Kasetsinsombut

Niedersachsens Junglandwirte zeigen sich unzufrieden mit der von Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) angekündigten Haltungskennzeichnung für tierische Produkte. Anneke Kreißig, stellvertretende Vorsitzende des Verbands, bemängelt gleich mehrere Aspekte dieses Plans. So gelte die Kennzeichnungspflicht zunächst nur für frisches und tiefgefrorenes Schweinefleisch aus Deutschland, nicht aber für verarbeitetes oder importiertes Fleisch. Zudem würden die Sauenhalter nicht berücksichtigt, die Kriterien gelten allein für die Mast. „Dadurch können die Tiere bis zum Mastschwein aus dem Ausland kommen und unter ganz anderen Bedingungen gehalten worden sein“, erläutert Kreißig im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. „Wir fordern von der Politik ein klares Bekenntnis zur Schweinehaltung in Deutschland. Unsere Betriebe brauchen jetzt klare Perspektiven“, sagt Kreißig. Neben der Haltungskennzeichnung ist für die Junglandwirte deshalb auch eine Herkunftskennzeichnung besonders wichtig.

Das Problem ist folgendes: Steigen die Anforderungen an das Tierwohl in Deutschland, erhält das Ausland einen Wettbewerbsvorteil. Dieser ließe sich nur dadurch umgehen, dass der Verbraucher genau erkennen kann, unter welchen Bedingungen und in welchem Land das Fleisch produziert worden ist. Landvolk und Junglandwirte setzen deshalb auf das Prinzip „5D“, das zum Ausdruck bringt, dass alle Produktionsschritte von der Geburt bis zur Schlachtung in Deutschland ablaufen müssen. Der Einzelhandel sei hier teilweise schon weiter als die Politik, merkt Kreißig an. „Lidl hat sich schon jetzt zu der Herkunftskennzeichnung erklärt. Wir wollen hoffen, dass andere nachziehen und vor allem auch der Verbraucher insbesondere unsere heimischen Erzeugnisse kauft.“

Anneke Kreißig | Foto: Junglandwirte Niedersachsen

Besonders misslich findet die Junglandwirte-Vize am Vorhaben des amtierenden Bundesagrarministers, dass die Finanzierung für mögliche Stallumbauten im Zuge der verpflichtenden Haltungskennzeichnung nicht geklärt sei. Darin erkennt sie allerdings eine gewisse Tradition, denn schon Özdemirs Vorgänger Christian Schmidt (CSU) und Julia Klöckner (CDU) hatten Kennzeichnungspflichten und groß angelegte Transformationshilfen für die Nutztierhalter angekündigt, aber nicht politisch umgesetzt. Klöckner hatte die sogenannte Borchert-Kommission eine Strategie ausarbeiten lassen, wie durch ein umfassendes Maßnahmenpaket das Tierwohlniveau in Deutschland insgesamt auf ein höheres Level gehoben werden kann. Eine Abstimmung über die langfristigen Maßnahmen hatte sie aber auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben. Niedersachsens Junglandwirte fordern deshalb nun sowohl einen ausreichenden Finanzierungsplan für die Stallumbauten und den tierwohlbedingten Mehraufwand als auch Anpassungen beim Baurecht und beim Immissionsschutz. Derzeit stehen rechtliche Hürden häufig Umbaumaßnahmen im Wege, weshalb zahlreiche Landwirte lieber darauf verzichten.

Die Junglandwirte machen sich aber auch keine Illusionen über die Zukunft ihrer Branche: Nicht jeder Betrieb kann die bevorstehenden Veränderungen überstehen. „Der Fleischkonsum geht zurück, das steht fest“, sagt Kreißig. Die Junglandwirte unterstützen deshalb die Forderung nach einer Ausstiegs- oder Umstrukturierungsprämie, die das Landvolk Niedersachsen gemeinsam mit den Kollegen aus Westfalen-Lippe gefordert hatte. Kreißig glaubt allerdings nicht, dass sich die Politik hier bewegen wird, sie unterstellt der Regierung „Tatenlosigkeit“: „Es scheint gar, als warte man ab, dass die Betriebe von alleine aufgeben“, sagt sie im Vorfeld des Junglandwirtetages, der am heutigen Donnerstag in Burgdorf (Region Hannover) ausgerichtet wird.

Auf ihrer Jahrestagung befassen sich die Junglandwirte auch mit neuester Forschung zur Fleischproduktion im Labor. Erwartet wird Professor Nick Lin-Hi von der Universität Vechta. Der Konsumforscher beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit der Fragestellung, wie sich die Akzeptanz in der Bevölkerung für alternative hergestellte Nahrungsmittel entwickelt. Ihn beschäftigt aber auch die Frage, ob die Gesellschaft künftig noch die Lebensmittelproduktion nach aktuellen Standards mehrheitlich gutheißen wird. „Zurzeit hat sich da ein pragmatischer Konsens durchgesetzt: Wir brauchen die Proteine, deshalb ist es in Ordnung, Tiere zu töten und Fleisch zu essen“, erklärte Prof. Lin-Hi bereits im Juni 2020 im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. „Interessant wird es, wenn wir 20 Jahre in die Zukunft schauen. Wird das aktuelle Produktions- und Konsumverhalten auch dann noch akzeptiert sein, wenn es andere Möglichkeiten gibt?“ Die Junglandwirte wollen sich jedenfalls auf diese Zukunft einstellen.

Dieser Artikel erschien am 23.6.2022 in Ausgabe #117.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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