Als er für ein Beispiel den Namen des Flusses nennen wollte, der durch Hannover fließt, musste er kurz nachdenken: die Leine. In der niedersächsischen Landeshauptstadt ist Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, offenbar nicht ganz so oft. Nach beruflichen Stationen an der Universität Oxford, der Universität Köln und am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim übernahm Fuest im April vergangenen Jahres am Ifo-Institut die Nachfolge des medial omnipräsenten Hans-Werner Sinn. Für den Neujahrsempfang der Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young in Hannover machte sich der neue Ifo-Chef auf den über 600 Kilometer langen Weg von München in die niedersächsische Landeshauptstadt.

https://soundcloud.com/user-385595761/eurokrise-italien-ist-das-neue-griechenland

Fuest hatte dabei nicht nur gute Nachrichten im Gepäck. Denn obwohl uns die Eurokrise schon Jahre entfernt erscheint, sieht der Ifo-Präsident in Europa eine große Fragilität und enorme Risiken. Zum einen habe sich die Industrieproduktion in mehreren Ländern nach wie vor nicht von der Krise erholt. Zum anderen sei die Verschuldung der Staaten so hoch wie nie. „Der Eindruck, wir würden hierbei Fortschritte machen, ist falsch.“ Der besondere europäische Problemfall sei dabei Italien. „Das Bruttoinlandsprodukt in Italien ist heute so hoch wie im Jahr 2000, und das Pro-Kopf-Einkommen ist sogar um sieben Prozent niedriger. Das macht die Dimensionen der Krise deutlich“, erklärte Fuest bei seinem Vortrag den Gästen im Künstlerhaus Hannover. Der Niedergang Italiens habe nichts mit der Finanzkrise zu tun, er habe schon vorher begonnen.

Der Professor für Volkswirtschaft bewertet das Problem deutlich größer als die Verschuldung Griechenlands. „Griechenland ist ein kleines Land, das man insgesamt mit relativ begrenzten Mitteln stabilisieren könne“, erklärte er später im Gespräch mit dem Rundblick. „Italien ist so groß, dass wir das Land mit Transferzahlungen kaum stabilisieren können. Die Italiener müssen es aus eigener Kraft schaffen. Wenn sie es aber nicht schaffen, und danach sieht es derzeit aus, dann droht nicht nur für den Euro eine wirkliche Gefahr, sondern für die gesamte EU.“

Twitter

Mit dem Laden des Tweets akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Twitter.
Mehr erfahren

Inhalt laden

Angesichts der Probleme forderte Fuest eine grundlegende Reform der Eurozone und der Europäischen Union. Europa müsse stabilisiert und zu Wachstum zurückgeführt werden. Deutschland habe dabei eine besondere Verantwortung, Vorschläge auf den Tisch zu legen. „Wir müssen uns mehr engagieren, anstatt immer nur zu predigen, dass der existierende Rahmen eingehalten werden müsse“, so Fuest. Dieser Rahmen sei schließlich erkennbar gescheitert.

Auch in der Diskussion um den Brexit kamen mahnende Worte des Ifo-Chefs. Fuest warnte vor einer europäischen Debatte über das „Rosinenpicken“. Das sei ein Begriff aus der Kleinkinderpädagogik, der aber nicht auf die Zusammenarbeit von Staaten anzuwenden sei. „Die Schweiz hat schließlich auch ein Arrangement, welches speziell auf sie zugeschnitten ist. Das geht auch bei Großbritannien gar nicht anders.“ Dabei gehe es nicht nur um die Bedeutung Großbritanniens beim Export und um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Fuest sorgt sich auch, dass die Europäische Union in ein falsches Licht gerückt werden könnte. „Wir müssen aufpassen, dass nicht das Bild einer EU-Zwangsgemeinschaft entsteht, in der man Mitglied bleiben muss, weil Abtrünnige bestraft werden“, so der Ifo-Präsident. Die EU sei attraktiv. Durch eine Bestrafung Großbritanniens würden eher Populisten gestärkt, die gegen die EU agitierten. Fuests Appell an die Politik: „Wir müssen zusehen, dass wir mit den Briten weiter zusammenarbeiten. Eine Bestrafung ist der völlig falsche Weg.“

Lesen Sie auch:

 

Die Politik hat Fuest dabei nicht unbedingt an seiner Seite. Niedersachsens früherer Ministerpräsident David McAllister, jetzt CDU-Europaabgeordneter, kritisierte gestern die Pläne der Briten als „eine Form von Rosinenpickerei, die sich die EU nicht erlauben könne. Man müsse bei den Verhandlungen klare Kante zeigen, auch mit Blick auf die übrigen Mitgliedstaaten. McAllister warnte davor, dass politische Kräfte in einigen Ländern darauf aus seien, für sich ein „Europa à la Carte“ zu organisieren. Damit untergrabe man die Grundfeste der Europäischen Union.

Neben dem Thema Brexit fehlte bisher wohl noch auf keinem Neujahrsempfang das Thema Trump. Morgen wird der neue US-Präsident in Washington in sein Amt eingeführt. Fuest rief in Hannover dazu auf, den Dialog mit Trump suchen. „Es bringt nichts, ihn zu beschimpfen und in der öffentlichen Debatte Öl ins Feuer zu gießen“, sagte er dem Rundblick. Man müsse ein vernünftiges Gespräch über gemeinsame Interessen suchen.

Trump verkündet derweil weiterhin im eigenen Interesse angebliche Erfolge auf Twitter. Die Bayer AG habe nach einem Treffen mit ihm weitere Arbeitsplätzen und Investitionen in den USA versprochen, twitterte Trump gestern Nachmittag. Ob das stimmt, wird sich vielleicht im Laufe des Jahres 2017 zeigen. (MB.)