
Der Streit ist entschieden, und doch gibt es nach wie vor grundsätzlich verschiedene Sichtweisen. Union und SPD haben sich auf Neuwahlen zum Bundestag am 23. Februar verständigt. Vorangegangen war ein heftiger interner Konflikt: Soll man in einer schwierigen Situation wie gegenwärtig möglichst schnell neu wählen lassen – oder soll man lieber auf Nummer sicher gehen und sich nicht treiben lassen? Der Termin hängt ab vom Zeitpunkt, an dem Kanzler Olaf Scholz die Vertrauensfrage stellt. Die Rundblick-Redaktion diskutiert darüber in einem Pro und Contra.
PRO: Ob nun einen Monat früher oder später gewählt wird, darauf wäre es nicht angekommen. Indem aber die Parteien die Bedenken der Wahlleiter wegwischen, senden sie ein fatales Signal, meint Anne Beelte-Altwig.
Menschen lieben Geschichten. Eine der populärsten ist die Geschichte vom Helden, der aus dem Nebel auftaucht und alles regelt. Eine solche Geschichte handelt davon, dass alles gut wird, wenn nur schnell neu gewählt wird. Das Problem dabei: Es ist nur eine Geschichte. Die Erfahrung der letzten Landtagswahlen zeigt, wie kompliziert die politische Landschaft geworden ist, wie zäh sich Regierungsbildungen hinziehen können – und dass man sich auf Kompromisse einlassen muss, die man sich vor nicht allzu langer Zeit nicht hätte träumen lassen. Wenn es neue Mehrheiten im Bundestag gibt, heißt das noch längst nicht, dass eine stabile Regierung in Sichtweite wäre. Geschweige denn, dass sie sich frisch und unverbraucht den globalen Herausforderungen stellen kann.
Alle Parteien haben in den vergangenen Tagen taktiert: Dem Ampel-Rest ging es darum, ihre Bilanz zu retten und wichtige Gesetzesvorhaben noch abstimmen zu lassen. Die CDU will ihr aktuelles Stimmungshoch mitnehmen – und nicht riskieren, dass ihr Kanzlerkandidat, der für markige Sprüche bekannt ist, noch kurzfristig einer Wählergruppe vor den Kopf stößt. Beides sind keine selbstlosen Anliegen. Aber was ist wichtiger für Deutschland? Doch wohl eher, dass die Krankenhäuser Planungssicherheit haben und die marode Infrastruktur wieder auf Spur kommt.

Ob nun einen Monat früher oder später gewählt wird, darauf wäre es nicht angekommen. Über die Bedenken der Wahlleiter auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene haben sich die Parteien hinweggesetzt. Die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann forderte gar den Rücktritt der Bundeswahlleiterin. Die Beamten dafür an den Pranger zu stellen, dass sie ihren Job ordentlich machen wollen, und ihnen sogar Parteinahme vorzuwerfen, ist unseriös. Weltweit ist das Vertrauen in die Demokratie erschüttert. Der Sturm auf das Kapitol in Washington vor vier Jahren hat gezeigt, was passiert, wenn sich Menschen einflüstern lassen, die Institutionen des Staates würden nicht mehr funktionieren. Politiker dürfen solches Misstrauen nicht weiter schüren. Ihre Verantwortung ist, den Glauben in einen vielleicht manchmal behäbigen, aber verlässlich funktionierenden Staat zu stärken.
Jetzt wird es ein kurzer Wahlkampf werden. Zu einer seriösen Information und Meinungsbildung wird das nicht beitragen – eher dazu, weiter zuzuspitzen und zu polarisieren. So mancher denkt bestimmt schon an das sprichwörtlich gewordene weihnachtliche Familientreffen, wo die Meinungen aufeinanderprallen. Die einzigen, die gut vorbereitet sein werden, sind die russischen Trollfabriken mit ihren Desinformationskampagnen. Aber da müssen wir jetzt durch.
CONTRA: Die aktuellen politischen Verhältnisse sind alles andere als entspannt. Weltweit mehren sich die Ungewissheiten. In dieser Lage darf die Bundesrepublik nicht von einer erlahmten Regierung eines gescheiterten Kanzlers verwaltet werden – wir brauchen schnelle Neuwahlen. Der 23. Februar ist fast schon etwas spät, meint Klaus Wallbaum.
Die Hinweise der Bundeswahlleiterin und etlicher Landeswahlleiter sind zunächst berechtigt. Je mehr Zeit zur Vorbereitung einer Wahl bleibt, desto sicherer ist diese. Von Belang ist dabei nun weniger die Schulung der Wahlhelfer, denn das Auszählen einer Bundestagswahl mit zwei Stimmen je Stimmzettel ist eine der leichtesten Übungen. Wenn nicht eine Kommunalwahl oben drauf kommt, dürfte das recht problemlos zu erledigen sein. Der Hinweis auf angeblichen Papiermangel klingt auch wie eine schlechte Ausrede. Wirklich aufwendig kann dagegen die Prüfung der Listenaufstellungen sein. Haben die Parteien die nötigen Vorgaben eingehalten? Wurden Fristen und Identifizierungen der Delegierten korrekt beachtet? Das bedeutet Stress für Landeswahlleiter und kommunale Ordnungsämter – zumal bei Einwänden auch die Möglichkeit der Nachbesserung eingeräumt werden muss. Letztlich ist die Lösung des Problems aber auch eine organisatorische Frage: Man kann die Wahlämter auch mit vorübergehenden Abordnungen verstärken und so die durch die Eile bedingte Mehrbelastung auffangen. Die Behörden müssen nur flexibel genug sein.

Die eigentliche Frage lautet doch, ob das Interesse an schnellen Neuwahlen so überragend ist, dass besondere Anstrengungen der Wahlbürokratie dafür in Kauf genommen werden sollten. Die Antwort lautet: Ja, das ist so. Deshalb ist der 23. Februar ein guter Kompromiss. Besser wäre es gewesen, gleich Anfang Februar zu wählen. Warum ist die Eile jetzt angemessen? Der Kanzler selbst lieferte dafür die beste Begründung, als er in der Sendung „Caren Miosga“ den tiefen Vertrauensbruch in der Ampel-Regierung offenbarte, der nicht nur wochen-, sondern womöglich jahrelang vorgeherrscht hatte. Deutlicher kann man als Regierungschef die eigene Schwäche nicht offenbaren. Eine schwache Bundesregierung, deren Chef nicht aufhört, seiner Enttäuschung über den entlassenen Partner FDP Luft zu machen, ist nicht nur schlecht für Deutschland – sondern auch für Europa und die „westliche Welt“, wobei dieser Begriff hier bewusst so gewählt wird. Am 20. Januar 2025 tritt der neue US-Präsident sein Amt an, sein Kennzeichen ist die Unberechenbarkeit. Der wichtigste Unterstützer der Ukraine ist die Bundesrepublik, bei einer möglichen Distanzierung von Donald Trump gegenüber Kiew kommt es mehr denn je auf eine starke, handlungsfähige Bundesregierung an. In der Innenpolitik verschärft sich die Wirtschaftskrise, nötige Reformen dulden keinen längeren Aufschub – und dazu gehören in Zeiten des sich verschärfenden Protektionismus auch Wirtschaftshilfen, etwa in Form von Steuersenkungen. Zwischen Ende Januar und Ende Februar liegt ein Monat, und diese Zeitspanne ist im weltpolitischen Kontext gegenwärtig sehr lang.
Ein Einwand ist bedenkenswert: Der Wahlkampf dient dazu, die Menschen für die Unterschiede der Parteien zu sensibilisieren, sie auch auf die Wichtigkeit der Wahl einzustimmen. Eine Bundestagswahl Ende Februar würde den Wahlkampf wohl auf knapp zwei Monate beschränken, das ist relativ kurz, sehr intensiv und nicht sehr reich an Veranstaltungsangeboten. Aber dagegen spricht, dass die Bevölkerung ohnehin schon sehr stark politisiert ist. Die einen nehmen regen Anteil am Geschehen, die anderen sind davon genervt und wenden sich ab. Menschen, die sich über die gähnende Langeweile der politischen Großwetterlage beschweren, gibt es derzeit ernsthaft wohl nicht. Daher dürfte auch bei einem sehr kurzen Wahlkampf mit einer ausreichenden Wahlbeteiligung zu rechnen sein.
Eine zügige Neuwahl schafft schnell eine neue Legitimationsbasis für die nächste Regierung. Jedes Zögern weckt den Verdacht, der Kanzler klebe an seinem Stuhl. Das stärkt jene, die „denen da oben“ nicht mehr trauen und stattdessen in radikale Parteien abdriften. Daher ist es gut, dass sich beide Seiten jetzt verständigt haben.