Liebe Leserinnen und Leser,
als einen Höhepunkt der Fernsehunterhaltung kann man so ein ZDF-Sommerinterview sicher nicht bezeichnen. Das 1988 erstmals eingeführte TV-Format ist eher so etwas wie eine lieb gewonnene Tradition, die man in 35 Jahren nur geringfügig an die heutigen Sehgewohnheiten angepasst hat: Zwei Menschen sitzen an einem Tisch und reden 15 bis 20 Minuten über Politik. Meistens ist der Interviewte im Bild zu sehen, manchmal der Interviewer und gelegentlich auch beide zusammen.
Ansonsten passiert da nicht viel, außer dass vielleicht mal ein Einspieler kommt, ein streitbares Politikerzitat in den Leerraum getippt wird oder als Lauftext durchs Bild fliegt – "Mord ist ihr Hobby" und „Krieg der Sterne“ lassen grüßen. In der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen kommt die sommerliche Interviewreihe deswegen üblicherweise nicht über einen Marktanteil von 8 Prozent hinaus, was sogar unter der Einschaltquote einer ganz besonders langweiligen Folge von „Die Bachelorette“ liegt.

Für Friedrich Merz hatte das „Berlin Direkt“-Team allerdings kürzlich einen besonders inhaltsreichen Einspieler und äußerst streitbare Zitate vorbereitet. Dem versierten ZDF-Interviewer Theo Knoll war es daraufhin ein Leichtes, den CDU-Parteivorsitzenden bezüglich seiner Haltung zur Alternative für Deutschland in die Bredouille zu bringen. Seine umstrittene Äußerung zur Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene erzeugte so ein großes Nachbeben, dass es selbst am Steinhuder Meer zu spüren war. Dort wurde wenige Tage später der niedersächsische CDU-Landeschef Sebastian Lechner im NDR-Sommerinterview gefragt, wie sich seine Partei im Landtag von der AfD abgrenzt. „Wir grenzen uns ab im Stil“, antwortete Lechner wie aus der Pistole geschossen und schob schnell hinterher: „Wir sind anständige Leute, wir haben einen bürgerlichen Stil – auch in der Sprache.“
Die Geschwindigkeit, mit der Lechner antwortete, lag sicherlich zum einen darin begründet, dass er mit so einer Frage gerechnet hatte. Zum anderen aber auch darin, dass offenbar hinter der Kamera ständig jemand nervös mit dem Finger auf seine Armbanduhr tippte. Denn auch der Regisseur des Beitrags wollte sich offenbar im Stil von anderen Sommerinterviews abgrenzen, indem er das Ganze ganz anders aufzog als etwa seine ZDF-Kollegen. Den überwiegenden Teil des gerade mal 4:10 Minuten langen Beitrags ließ er Lechner schnellen Schrittes zusammen mit NDR-Moderatorin Martina Thorausch die Strandpromenade entlang marschieren und dabei ordentlich Strecke machen. Selten durfte der Interviewte mal sitzen oder still stehen. Und wenn doch, dann wurde er dabei von der Kamera umkreist, die keine fünf Sekunden an derselben Stelle verharrte.

Ich bin gespannt, ob sich dieser actionlastigere Interview-Stil durchsetzt. Vielleicht wird Lechner im Sommerinterview 2024 bereits auf dem Dach eines fahrenden Zuges, während einer Auto-Verfolgungsjagd oder auf der Flucht vor einer riesigen rollenden Steinkugel befragt. Denkbar wäre aber auch einfach eine aufregendere Location. So könnte das Interview statt am idyllischen Steinhuder Meer zum Beispiel in einer ungebremst auf einen Abgrund zurasenden Straßenbahn, in dem von Terroristen besetzten Nakatomi-Tower oder vor den Feuern des Schicksalsbergs stattfinden.
Welche Lehren und Erkenntnisse mein Kollege Klaus Wallbaum aus den CDU-Sommerinterviews gezogen hat, lesen Sie im heutigen Rundblick. Dort finden Sie auch das neueste Kapitel im immerwährenden Streit ums Geld zwischen dem Niedersächsischen Städtetag und Bundesfinanzminister Christian Lindner, bei dem es diesmal um das neue "Wachstumschancengesetz" geht. Und dann ist da noch die Hafenwirtschaft in Wilhelmshaven, die von einer schon sicher geglaubten Investitionsabsage dermaßen erschüttert ist, dass sie einen Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz geschrieben hat.
Viel Spaß beim Lesen und einen guten Start in die Woche wünscht
Ihr Christian Wilhelm Link