Daumen hoch für die Demokratie: Das Zutrauen in die Politik in Niedersachsen steigt. | Foto: Foto von GettyImages/Jörg Stöber

Neigt die niedersächsische Bevölkerung durch die aktuelle politische Lage nun eher zu Verschwörungsmythen? Laut einer Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung (IfDem) verharrt der Hang der Niedersachsen zu derartigen Theorien auf einem konstanten Niveau, einen pandemiebedingten Anstieg konnten die Wissenschaftler in ihrer quantitativen Untersuchung zu politischen Einstellungen nicht erkennen. Kumuliert glauben knapp 27 Prozent der Niedersachsen laut dieser Erhebung etwa an einen Überwachungsstaat (26 Prozent), an eine Steuerung durch geheime Organisationen (38 Prozent) oder sind davon überzeugt, dass unzusammenhängende Ereignisse doch durch geheime Aktivitäten miteinander in Verbindung stehen (28 Prozent).

Die gestiegene öffentliche Wahrnehmung von Verschwörungstheoretikern führen die Wissenschaftler auf einen psychologischen Effekt zurück: Diejenigen, die ohnehin schon an Verschwörungen glaubten, hofften wohl darauf, dass die Pandemiebekämpfung auch andere von ihrer Wahrnehmung überzeugen könne – und sind nun enttäuscht, weil dies nicht eintrat. Deshalb vertreten sie ihre Positionen womöglich nur lauter, um dagegen vorzugehen. Der Hang zu Verschwörungstheorien scheint unter den Wählern der AfD besonders stark vertreten zu sein. Laut „Demokratie-Monitor“ glauben über 50 Prozent derjenigen, die AfD wählen wollen, an Verschwörungen. Die geringste Ausprägung gab es bei Befragten, die die Absicht haben, die Linke zu wählen (18 Prozent). Bei Wählern von SPD, FDP, CDU und Grünen liegt der Anteil der potenziellen Verschwörungsgläubigen zwischen 26 und 21 Prozent.

73 Prozent sagen: Politik kann die Probleme der Zeit lösen

Eine Vertrauenskrise sei gleichwohl aus der Corona-Krise nicht erwachsen, erklärte Prof. Simon T. Franzmann, Leiter des Instituts für Demokratieforschung und Mit-Autor dieser Studie. Sogar das Gegenteil sei der Fall. Bei der Erhebung zwischen Ende April und Mitte Juni 2021 haben fast zwei Drittel (62 Prozent) der 1001 Befragten angegeben, die Politik nehme ihrer Wahrnehmung nach die drängendsten Probleme der Zeit wahr. Fast drei Viertel (73 Prozent) trauten ihr sogar zu, diese Probleme auch zu lösen.

Simon T. Franzmann, Leiter des Instituts für Demokratieforschung in Göttingen | Foto: Bundeszentrale für politische Bildung

Der Fokus habe sich dabei allerdings im Vergleich zu den vorherigen Befragungen des Instituts eindeutig auf die Corona-Pandemie verschoben. In Vorgängererhebungen hätten in 2019 und 2020 noch die soziale Ungleichheit, die Migrationspolitik oder die Sorge um den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Vordergrund gestanden. Die Sorge um den Zusammenhalt der Gesellschaft bleibt allerdings sehr wohl vorhanden, wenn auch in gewandelter Form. Die Befürchtungen der Niedersachsen haben sich offenbar dahingehend verändert, dass man sich nun sorgt, die Corona-Pandemie könne zur gesellschaftlichen Spaltung beitragen. 71 Prozent der Befragten trugen diese Bedenken an.

Niedersachsen vertrauen dem Land eher als dem Bund

Diejenigen Akteure, die mit der Bewältigung der Pandemie konkret betraut sind, scheinen in der Gunst der Bevölkerung zu steigen. Sehr hohes Vertrauen genießt die Landespolitik bei 82 Prozent der befragten Niedersachsen. Die damalige Bundesregierung kam dabei nur auf einen Zustimmungswert von 58 Prozent. Bezogen auf die konkrete Corona-Politik lag die Landesebene mit 55 Prozent vor dem Bund mit 46 Prozent. Unabhängig von diesem Unterschied haben allerdings beide politischen Ebenen an Vertrauen dazugewonnen. Auch das Bundesverfassungsgericht (46 Prozent) und die Polizei (42 Prozent) genießen bei den Niedersachsen ein hohes Ansehen.

Der Verfassungsschutz konnte sogar zehn Prozentpunkte hinzugewinnen im Vergleich zu 2019 – allerdings räumten die Wissenschaftler ein, dass man bei dieser Befragung nicht sicher sagen könne, ob die Befragten eine inhaltliche Unterscheidung zwischen dem Verfassungsgericht und dem Verfassungsschutz treffen konnten. Die hohen Vertrauenswerte für diese Institutionen erklären die Forscher mit einer angenommenen politischen Neutralität, die von der Bevölkerung offenbar honoriert wird.

SPD, CDU und Grünen bei Vertrauen gleichauf

Beim Vertrauen in die politischen Parteien gab es eine bemerkenswerte Unterscheidung: SPD, CDU und Grüne liegen laut „Demokratie-Monitor“ fast gleichauf bei 52 Prozent, die FDP nur bei 35 Prozent, die Linke bei 26 und die AfD nur bei 4 Prozent. Den Unterschied zwischen 52 und 35 Prozent erklärte Prof. Franzmann damit, dass SPD, CDU und Grünen eine gewisse gesamtgesellschaftliche Ausrichtung unterstellt werde, der FDP hingegen eine eher partikularistische Orientierung. Gerade in den größeren Städten gebe es Gruppen, die die FDP aus Prinzip nicht mögen.

Niedersachsen neigen zur politischen Mitte

Insgesamt neigten die Niedersachsen zur Mitte (53 Prozent verorten sich dort), missbilligen Konflikte und Spaltung und tendieren in der (Corona-)Politik zur Orientierung auf einen lenkenden Staat. Staatliche Vorgaben in der Corona-Politik wurden im vergangenen Sommer als eher (36 Prozent) beziehungsweise als vollkommen (18 Prozent) gerechtfertigt angesehen, 30 Prozent unterstützen die Restriktionen immerhin zum Teil. Die Zustimmung zur parlamentarischen Demokratie sei im Hamburger Umland besonders hoch, auch im Raum Hannover. In Südniedersachsen und im Raum Braunschweig, wo es teilweise extremeren wirtschaftlichen Wandel und mehr sozialökonomische Probleme gebe, sei die Zustimmung zum politischen System schwächer ausgeprägt.