26. Okt. 2022 · Soziales

Idee zum Koalitionsvertrag (7): Eine Offensive für die Stärkung der Vereine ist nötig

SPD und Grüne bereiten gerade ihren Koalitionsvertrag für die nächste niedersächsische Landesregierung vor. Was soll dort drin stehen? Die Rundblick-Redaktion unterbreitet den Unterhändlern Vorschläge. Heute der siebente Teil: das Ehrenamt.

Ohne Ehrenamt geht es in vielen Bereichen gar nicht – etwa bei der Freiwilligen Feuerwehr. | Foto: GettyImages/Michael Stifter

Über die Bedeutung, die Ehrenamt in unserer Gesellschaft spielt, lässt sich kaum streiten: Ehrenamtliche sind bei der Freiwilligen Feuerwehr, trainieren Jugendmannschaften beim Fußball, Handball und anderen Sportarten, oder sie geben Essen bei der Tafel an Bedürftige aus. Sie sind eine wichtige Säule in unserer Gesellschaft. Rund 15,72 Millionen Menschen in Deutschland üben ein Ehrenamt aus, so eine Statistik des Instituts für Demoskopie Allensbach. Ob in der Kommunalpolitik, in der Kirche oder bei der Freiwilligen Feuerwehr, überall kommt man nicht mehr ohne die Zeit von freiwilligen Engagierten aus. Doch die Zeit, die jeder einzelne in sein Engagement stecken kann oder will, nimmt seit Jahren kontinuierlich ab. Ehrenamt muss man sich leisten können: zeitlich und finanziell.

Schon jetzt haben Ehrenamtliche ein höheres Haushaltsnettoeinkommen als der Durchschnitt der Bevölkerung, so eine Studie der Verbrauchs- und Medienanalyse (VuMA). Schon jetzt engagieren sich Menschen ab 50 häufiger als der Bevölkerungsdurchschnitt. Sie gehen auf die Rente zu oder sind schon in Rente, haben in der Regel keine kleinen Kinder mehr zu Hause und sind finanziell meistens schon so abgesichert, dass sie es sich besser leisten können. Bei Berufstätigen hingegen droht das Ehrenamt mit als Erstes wegzubrechen, wenn die Belastung zu groß wird. Erst Corona, dann der Krieg in der Ukraine und nun die Energiekrise. Wie bleibt da noch Kraft und Zeit für das Ehrenamt? Das Land Niedersachsen muss Entlastungen schaffen und denen stärker helfen, die bisher so uneigennützig anderen geholfen haben. Beim Ehrenamt geht es um eine Sinnhaftigkeit im Alltag, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben und um das Gefühl, gebraucht und gewertschätzt zu werden. Ob und welche Vergünstigungen und Entlastungen damit für einen einhergehen, spielen für die meisten keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Das sollte jedoch kein Grund dafür sein, dieses Engagement für selbstverständlich zu nehmen und nicht mehr zu belohnen. 

Seit 2013 können Ehrenamtliche eine Ehrenamtspauschale annehmen, die nicht versteuert wird. Mittlerweile liegt der Betrag bei 840 Euro, die ein Verein pro Ehrenamtlichen auf dem Konto vorweisen können muss. Wie viele Vereine so viel Geld ihren Ehrenamtlichen tatsächlich auszahlen, ist jedoch stark in Frage zu stellen. So erzählte mir ein Freund, dass es in seinem Fußballverein Gang und Gäbe sei, auf das Geld zu verzichten. Stattdessen würden die meisten das Geld an den Verein zurück spenden und so immerhin einen Steuervorteil bekommen. „Ich möchte doch nicht meinem Verein das Geld wegnehmen.“ Außerdem gibt es neben der Ehrenamtspauschale je nach Tätigkeit auch eine Aufwandspauschale, die zum Beispiel an Trainer bezahlt wird.

Der größte Dank der Gesellschaft an die Ehrenamtlichen ist wohl die Ehrenamtskarte, mit der zahlreiche Vergünstigungen in Kultureinrichtungen, Schwimmbädern aber auch Geschäften einhergehen. Alleine in Niedersachsen gibt es dazu beim Freiwilligen Server über 2400 Einträge, wo man ein paar Prozente sparen kann. Klingt erst einmal nicht schlecht. Doch die Hürden für eine Beantragung sind nicht zu unterschätzen. Erst nach drei Jahren Ehrenamt kann man als Erwachsener eine solche Karte beantragen und das auch nur dann, wenn man sich wöchentlich mindestens fünf Stunden ohne Bezahlung freiwillig engagiert. Damit fallen viele Helfer durch das Raster. Schon 2019 übten 60 Prozent „nur“ bis zu zwei Stunden pro Woche ein Ehrenamt aus, bei etwas mehr als 17 Prozent waren es sechs Stunden die Woche und mehr, so das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Die Richtlinien für eine Beantragung sollten gelockert werden. Warum gibt man nicht schon nach einem halben Jahr und ab zwei Stunden Arbeit wöchentlich eine Ehrenamtskarte aus? Kann man Zeit fürs Allgemeinwohl wirklich gegeneinander aufrechnen, sodass zwei Stunden Ehrenamt plötzlich viel weniger wert als fünf Stunden sind? Eine Ehrenamtskarte sollte doch viel eher die Botschaft senden: „Toll, dass du dich überhaupt ehrenamtlich engagierst. Wir wissen, was du an Zeit und Geld opferst, damit die Gesellschaft am Laufen gehalten wird. Lass uns dir helfen, damit du in Zukunft sogar noch mehr Zeit in dein freiwilliges Engagement stecken kannst.“ Und wenn man so große Angst hat, dass plötzlich jeder ein Ehrenamt nur wegen der Vergünstigungen und nicht mehr, wie bisher, fürs Allgemeinwohl ausübt, dann sollte man sich fragen, ob nicht das Ziel im Vordergrund stehen sollte – es den Ehrenamtlichen so angenehm wie möglich zu gestalten.

Vorbildlich: Steffen Krach (von links), Elke von Zadel, Stephan Weil, Falco Seekircher, Karin Schäffer, Fei Tao, Ulf-Birger Franz und Eberhard Schmidt präsentieren das 365-Euro-Ticket für Ehrenamtliche in der Region Hannover. | Foto: Region Hannover/Burschel

Wie das geschehen kann? Zum Beispiel mit einem 365-Euro-Ticket für den Nahverkehr. Die Region Hannover ist dabei mit gutem Beispiel vorangegangen und hat schon, ehe die Nachfolgelösung des 9-Euro-Tickets feststand, ein neues Tarifangebot für Ehrenamtliche geschaffen. Das könnte es auch niedersachsenweit geben, sodass Ehrenamtliche künftig in ganz Niedersachsen für 365 Euro statt 588 Euro im Jahr den ÖPNV nutzen können. Ein weiteres Extra könnten Urlaubstage sein, die vom Land finanziert werden. Um bei der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal oder nach dem Kriegsausbruch an der ukrainisch-polnischen Grenze zu helfen, mussten viele Ehrenamtliche extra Urlaub nehmen. Das sollte so nicht sein, gerade Ehrenamtliche haben ein Recht auf ihre Urlaubstage, die zwingend zur Regeneration erforderlich sind. Da braucht es vom Land einen klaren Fahrplan, wie zukünftig bei längeren Hilfsaktionen Ehrenamtliche finanziell und zeitlich unterstützt werden – und das möglichst unbürokratisch.

Ähnlich wie in der Verwaltung oder in der Pflege hat die Bürokratie generell auch ins Ehrenamt immer mehr Einzug gehalten – ein Erschwernis bei dem täglichen Engagement. „Das Anträge-Ausfüllen nervt am meisten“, heißt es dazu von Betroffenen. Alleine das Beantragen von Fördermitteln sei so kompliziert, dass ein Ehrenamtlicher kaum genug Zeit habe sich in die ganze Thematik einzuarbeiten. „Das klappt eigentlich nur bei Vereinen, die hauptamtlich aufgestellt sind.“ Der Papierkram muss deutlich verschlankt werden, das spart auch Ressourcen bei denen, die die Anträge später bearbeiten müssen. Außerdem könnte man überlegen, ob nicht die Kommunalverwaltung den Vereinen unter die Arme greifen kann, die Schwierigkeiten mit ihrer Organisation haben – weil sie beispielsweise niemanden finden, der sich als Schatzmeister engagieren möchte. Das alles sind Wege, die das Land nicht nur erkennen und fördern, sondern die es unbedingt verstärken sollte.

Dieser Artikel erschien am 27.10.2022 in Ausgabe #190.
Audrey-Lynn Struck
AutorAudrey-Lynn Struck

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