Niedersachsens zweitgrößte Talsperre ist nicht mehr hoch genug. Um auf immer heftigere Regenereignisse und längere Trockenperioden angemessen zu reagieren, muss nach Einschätzung der Harzwasserwerke (HWW) das Speichervolumen der Granetalsperre bei Goslar vergrößert werden. „Wir tragen uns mit dem Gedanken, ob man diese Talsperre noch erhöhen kann. Es ist zwar noch genug Wasser da, aber nicht immer zum richtigen Zeitpunkt“, sagte HWW-Chef Lars Schmidt gestern bei einem Vorort-Termin mit Umweltminister Christian Meyer (Grüne). Eine Staumauererhöhung von fünf bis zwölf Meter ist im Gespräch.

Christian Meyer steht mit Andreas Lange und Lars Schmidt (rechts) auf dem Wall der Granetalsperre bei Goslar. | Foto: Link

„Wir machen uns schon ein Stück weit Sorgen um unser Wasser. Das hätte ich vor ein paar Jahren nicht gedacht.“

Christian Meyer, Umweltminister

„Wenn die Granetalsperre um zehn Meter erhöht wird, könnten hier bis zu 25 Millionen Kubikmeter mehr Wasser für die Versorgungssicherheit gespeichert werden“, rechnete Schmidt vor. Damit würde sich die maximale Speicherkapazität von derzeit 46,4 Millionen Kubikmetern um mehr als die Hälfte erhöhen. Bei einer Erhöhung um zwölf Meter wären es sogar zwei Drittel (31 Millionen Kubikmeter). Der Umweltminister steht diesen Überlegungen aufgeschlossen gegenüber. „Früher herrschte die Überzeugung vor, dass man alles Wasser schnell in die Nordsee ableiten muss. Heute ist es so, dass wir das kostbare Süß- und Trinkwasser mehr in der Fläche halten müssen. Wir machen uns schon ein Stück weit Sorgen um unser Wasser. Das hätte ich vor ein paar Jahren nicht gedacht“, sagte Meyer und betonte dabei die besondere Rolle des Harzes für Niedersachsen: „Er ist der Wasserspeicher schlechthin.“

Der Erdwall der Granetalsperre bei Goslar ist 67 Meter hoch, nur die Okertalsperre toppt das noch. | Foto: Link

„Wir werden lange Trockenperioden erleben – vom März bis in den November hinein. Deswegen müssen wir das Wasser im Januar und Februar einspeichern.“

Andreas Lange, Leiter für Ressourcen bei den Harzwasserwerken

Mit elf Prozent ist der Anteil der Harztalsperren an der niedersächsischen Trinkwasserversorgung im Vergleich zum Grundwasser (86 Prozent) zwar relativ gering. Es ist jedoch das Wasser aus den Harzer Stauseen, das bei Dürreperioden das Austrocknen von Flüssen verhindert. So habe das Flusswasser von Oker und Innerste im Sommer 2022 zu mehr als der Hälfte aus Wasserabgaben aus dem Harz bestanden. Selbst in der Leine bei Hannover habe das Talsperren-Wasser teilweise noch ein Fünftel ausgemacht. „Der Harz wird auch zukünftig eine wasserreiche Region bleiben, aber durch den Klimawandel ändert sich das Wasserangebot. Wir werden lange Trockenperioden erleben – vom März bis in den November hinein. Deswegen müssen wir das Wasser im Januar und Februar einspeichern“, sagte Andreas Lange, Bereichsleiter für Ressourcen bei den Harzwasserwerken. Außerdem betonte er die wichtige Rolle der Talsperren beim Hochwasserschutz, in den auch der Umweltminister gerne mehr investieren möchte.

Die Harzwasserwerke bereiten das Wasser der Granetalsperre als Trinkwasser auf. Deswegen ist der Stausee so wichtig. | Foto: Link

„Wir fördern schon jetzt jedes Jahr mit einem zweistelligen Millionenbetrag und ich hoffe, dass wir das in Zukunft noch massiv aufstocken können“, sagte Meyer. Um auf die immer häufiger auftretenden Extremwetterereignisse vorbereitet zu sein, will er vor allem die Renaturierung von Flüssen und die Entsiegelung von Flächen voranbringen. Im neuen „Masterplan Wasser“ soll es aber auch um den sparsameren Umgang mit Wasser sowie die bessere Grundwasserneubildung gehen. „Welchen Beitrag der Wasserspeicher Harz in einem nachhaltigen System leisten kann, wollen wir untersuchen“, sagte Meyer und versprach: „Es wird Machbarkeitsstudien geben, die wir als Land gerne bezuschussen.“

Alexander Hutwalker zeigt Christian Meyer ein Miniaturmodell der Granetalsperre nach dem Umbau. | Foto: Link

Ob und in welchem Umfang die Granetalsperre erhöht werden kann, soll nun eine einjährige Untersuchung zeigen, die mit 175.000 Euro vom Land gefördert wird. Mit Blick auf die Baukosten für eine Talsperren-Erhöhung sind das nur Peanuts. Vor wenigen Wochen startete die Teilsanierung der Sösetalsperre bei Osterorde, die zwei Jahre dauern und mehr als 30 Millionen Euro kosten wird. „Und dabei geht es nur um die Vorsperre“, betonte HWW-Chef Schmidt. Eine Erhöhung der Granetalsperre sei nochmal eine ganz andere Liga, zumal die Mauer nicht nur höher, sondern auch breiter werden müsse. Erschwerend hinzu komme, dass die Erweiterung im laufenden Betrieb stattfinden müsste, weil rund eine Million Niedersachsen aus der Granetalsperre versorgt werden.

Erhöhung könnte dreistellige Millionensumme kosten

„Das wird eine Operation am offenen Herzen“, sagte Lange. Und auf Vergleichswerte und Erfahrungen aus vergleichbaren Projekten könne man auch nicht zählen. „Gerade hier in der Region hat schon ganz, ganz lange keiner mehr eine Talsperre gebaut. Das ist ein wirklich großer Eingriff, der auch statisch funktionieren muss“, sagte Schmidt. Auf eine Kostenschätzung wollte sich der kaufmännische Geschäftsführer zwar nicht einlassen. Er ließ allerdings durchblicken, dass ihn eine Summe im dreistelligen Millionenbereich nicht überraschen würde. Angesichts dessen sei es auch unwahrscheinlich, dass die Harzwasserwerke diese Kosten ohne die Mithilfe von Land und Kommunen stemmen könnten.



Die Machbarkeitsstudie soll neben den Kosten auch die technischen und geologischen Voraussetzungen sowie den Flächenverbrauch und die Auswirkungen auf die Umwelt untersuchen. Der Umweltminister erwartet aber keine unüberwindbaren Hürden. „Wir machen das Projekt ja nicht in der Kernzone des Nationalparks und es handelt sich um eine Erweiterung im Bestand“, sagte Meyer. Außerdem gehe es darum, das Trockenfallen von Flüssen zu verhindern, was wesentlich größere Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen habe. „Die Umwelt leidet am meisten unter der Trockenheit“, sagte Meyer. Er wies in diesem Zusammenhang auf die Schadstoffbelastung der Flüsse hin, die bei niedrigeren Pegelständen bedrohliche Ausmaße annehmen kann. „Wenn ich weniger Wasser habe, steigt auch die Konzentration. Die Dosis macht das Gift“, betonte der Umweltminister und nannte hier konkret die Salzentsorgung von K+S in der Weser.

Genehmigung wird mindestens zehn Jahre dauern

Schmidt äußerte zwar die Hoffnung, dass das Projekt Granetalsperre bei der Genehmigung von der neuen „Niedersachsengeschwindigkeit“ profitieren werde. Eine reduzierte Beteiligung von Umweltverbänden und Bürgern sei aber nicht geplant. Im Ergebnis rechnet er frühestens in zehn Jahren mit einer Genehmigung. „Ich komme ursprünglich aus der Energiewirtschaft, deswegen musste ich auch erst lernen: In der Wasserwirtschaft ist ein Jahrzehnt gar nichts“, meinte der frühere E.ON-Manager.

Lars Schmidt (links) erklärt Christian Meyer die Vorzüge einer Erhöhung der Granetalsperre. | Foto: Link

Wenn es nach den Harzwasserwerken geht, soll eine Erhöhung der Granetalsperre auch mit einer neuen Verbindung zur Innerstetalsperre einhergehen. Von dort werden zur Trinkwassergewinnung erhebliche Wassermengen zum Wasserwerk am Granetalstausee gepumpt, was mit einem gewaltigen Energieaufwand verbunden ist. Weil das Leitungssystem oberirdisch verläuft, werden dazu etwa sechs Millionen Kilowattstunden Strom benötigt, was die HWW schon vor der Energiekrise jährlich rund eine Million Euro kostete. „Wir produzieren zwar selber Strom, aber nicht an den Stellen, wo wir ihn brauchen“, erläuterte Alexander Hutwalker von der Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Wasserwerke.

Ein acht Kilometer langer Tunnel könne hier Abhilfe schaffen. Bei der Stromerzeugung sieht Hutwalker dagegen noch wenig Luft nach oben. Derzeit prüfen er und seine Kollegen, ob schwimmende Photovoltaik-Anlagen für die Stauseen in Frage kommen. „Aufgrund der Anlagensicherheit ist das aber eher kritisch zu sehen“, sagte Hutwalker. Zum einen seien die Anlagen in den Talsperren zum Beispiel bei einem Brand nur schwer zu erreichen. Zum anderen sei noch unklar, ob eine „Floating PV“ in einem See zur Trinkwassergewinnung überhaupt eingesetzt werden kann.

Christian Meyer steht neben dem Ausgang des 7,4 Kilometer langen Oker-Grane-Stollens an der Granetalsperre. | Foto: Link