
Die niedersächsischen Hochschulen stehen in den Startlöchern für das neue Sommersemester. Das aktuelle Infektionsgeschehen gibt zwar noch keinen Anlass für Entwarnung, allerdings brachte die warme Jahreszeit bislang immer etwas Ruhe in die Corona-Lage. Spannend bleibt jedoch die Frage, wie es im Herbst und Winter weitergeht. Der Vorschlag des Göttinger Professors Hans Michael Heinig, die Vorlesungszeiten der Hochschulen an das bisher übliche Corona-Infektionsgeschehen anzupassen und das Wintersemester also vorzuziehen, erzeugt ein geteiltes Echo. Der Prodekan der Juristischen Fakultät hatte im Politikjournal Rundblick angeregt, die Lehrveranstaltungen im Wintersemester in dem Zeitfenster zwischen dem 1. September und dem 15. Dezember abzuhalten. So wäre man mit den Vorlesungen deutlich vor einer möglichen Krankheitswelle im Winter fertig.
Im Podcast vom Politikjournal Rundblick erklärte Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) nun, er finde es grundsätzlich gut, wenn über diesen Vorschlag gesprochen werde, Veränderungen müssten aber aus dem Hochschulbetrieb selbst kommen. Allerdings sieht er auch Hürden, etwa durch die Zugangsvoraussetzungen für Studenten. „Wir haben uns bundesweit auf ein einheitliches System verständigt, dass dafür sorgen soll, dass alle Abiturienten alle Studienangebote erreichen können. Das macht das Zeitfenster, in dem man etwas verschieben kann, kürzer – aber nicht unmöglich“, sagte Thümler. Außerdem merkte er an, dass im internationalen akademischen Kalender der September schon fest für Reisen und Konferenzen gebucht sei. Hinsichtlich der Corona-Lage erklärte der Minister, dass man nun erst einmal mit Präsenzveranstaltungen in das Sommersemester starte. Das habe zum einen mit den wegfallenden Regelungen auf Bundesebene zu tun, zum andere sei dieses Vorgehen aber ohnehin so geplant gewesen. Die Hochschulen behielten allerdings weiterhin genug Beinfreiheit, um ihre Lehre an das Pandemiegeschehen anzupassen.
Diese Beinfreiheit will man an den Hochschulen nun wohl eher hinsichtlich der Lehrformate nutzen, weniger in Bezug auf die Semestertermine. Die Präsidentin der TU Braunschweig, Angela Ittel, zeigte sich auf Rundblick-Anfrage wenig zugänglich für den Vorschlag, die Vorlesungszeiten an den Pandemie-Rhythmus anzupassen. „Es ist richtig, dass die Erfahrung der vergangenen zwei Jahre darauf hindeutet, dass Präsenzlehre im Wintersemester unter den Pandemiebedingungen in den Wintermonaten bis zum Jahreswechsel zuverlässiger durchgeführt werden kann als im Januar oder Februar“, erklärte Ittel gegenüber dem Politikjournal Rundblick. Allerdings seien mit dem Semesterbeginn auch Zulassungsverfahren sowie zahlreiche Aktionen und Veranstaltungen für die Startphase der Studienanfänger verbunden, merkte sie an. Diese lägen vor dem offiziellen Semesterstart im Oktober und müssten dann ebenfalls vorgezogen werden. „Wir haben uns an der TU Braunschweig deswegen gegen einen vorgezogenen Semesterbeginn entschieden.“
Ittel plädiert stattdessen für ein „New Normal“ der Lehr- und Lernformen, auf das man sich vorbereiten sollte, um den Bedarfen der Studenten gerecht zu werden und auch international nicht den Anschluss zu verlieren – also etwa auch digitale oder hybride Lehre als Teil des Standardrepertoires. Daran orientiert sich künftig auch Prof. Heinig. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter schrieb er kürzlich, dass es im Fachbereich Jura überall dort hybride Formate geben sollte, wo Präsenzveranstaltungen nicht ersetzt werden können. Beispielhaft nannte er Übungen oder Seminare. „Zu den meisten Präsenzvorlesungen in Jura gibt es aber akzeptable (freilich nicht gleichwertige) Alternativen“, schrieb er und listete Lehrbücher, Skripte und Podcasts auf.
Unterstützung erhielt Prof. Heinig zwischenzeitlich von einer ersten studentischen Hochschulgruppe. Der CDU-nahe Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS Niedersachsen) hat als Reaktion auf Prof. Heinig gefordert, dessen Vorstoß „sollte ernstgenommen und kritisch sowie konstruktiv diskutiert werden“. „Bisher gab es keine innovativen Ideen, um langfristige Öffnungsperspektiven zu schaffen. Mit dem Vorschlag von Prof. Heinig könnte die Debatte um Präsenzlehre neuen Schwung bekommen“, sagte die RCDS-Landesvorsitzende Inken Wellmann aus Hannover. Sie betonte noch einmal die besondere Bedeutung der Präsenzlehre: „Zwei Jahre Pandemie hinterlassen Spuren an der psychischen Gesundheit der Studenten.“ Viele hätten ihre Uni nie oder nur selten von innen gesehen, sagte Wellmann. „Die Einsamkeit und der psychische Stress, die mit der Onlinelehre einhergehen, dürfen kein Dauerzustand bleiben.“