

Ehrlich gesagt bin ich ganz verblüfft und erfreut, dass die Menschen sich so strikt an die Auflagen halten, damit andere geschützt werden.
Rundblick: Ist das eine bedrohliche Entwicklung?
Kunze: Nein, ehrlich gesagt bin ich ganz verblüfft und erfreut, dass die Menschen sich so strikt an die Auflagen halten, damit andere geschützt werden. Das hatte ich gar nicht erwartet. Sie zeigen viel Disziplin. Ich hätte vermutet, dass die Ich-Orientierung bei uns mittlerweile viel ausgeprägter ist. Die meisten meiner Freunde und Bekannten, mit denen ich regelmäßig rede, sehen das auch so. Da gibt es einen, dessen Namen ich nicht nennen werde, der neigt zu Verschwörungstheorien. Das ist aber ein Einzelfall – und ich kann seine Sicht der Dinge auch nicht nachvollziehen.
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Ich muss nicht vor die Tür gehen und viel erleben, um darüber viel und gut schreiben zu können.
Rundblick: Können Sie all dem auch etwas Positives abgewinnen?
Kunze: Die Portion Langsamkeit und Nachdenklichkeit kann uns, glaube ich gut tun. Nehmen Sie die Urlaubsreisen. Nicht jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, auf die Malediven zu fliegen. Meine Frau und ich langweilen uns regelmäßig, wenn wir länger als eine Woche an einem fernen Ort sind und dort deutsche Bratwurst essen. Ich muss nicht vor die Tür gehen und viel erleben, um darüber viel und gut schreiben zu können. Arno Schmidt hat die Malediven hervorragend beschrieben, obwohl er nie dort war.
https://www.youtube.com/watch?v=NgSdCeECzNA&t=5s
Rundblick: Einspruch: Das Fehlen von Veranstaltungen, von gesellschaftlichem Leben, bedeutet doch auch eine Verarmung an Anregungen, Hinweisen und Themen. Zumindest bei der Berichterstattung in den Medien spürt man das…
Kunze: Im Journalismus ist es sicher so. Auch ich spitze im Café gern die Ohren und lausche, worüber die Leute gerade reden. Aber ich muss für meine Texte nicht auf die Pirsch gehen. Dichterisches Schreiben schöpft viel aus dem Inneren des Schreibers.
Rundblick: Sie haben viel über die Probleme Ihrer Branche gesprochen. Halten Sie eine Subvention für nötig?
Kunze: Ich bin kein Feind einer subventionierten Kultur, auch wenn der Bereich, für den ich stehe, dort nicht vorgesehen ist. Auch ich bin der Meinung, dass wir Opernhäusern und Theater staatlich fördern und unterstützen müssen. Nur erreichen die freischaffenden Künstler, mit Verlaub, mindestens so viele Zuschauer und Zuhörer. Ich bin ja froh, dass die Kanzlerin kürzlich auch von den Problemen der freischaffenden Musiker gesprochen hat. Wenn Musiker in kleinen oder mittelgroßen Hallen auftreten und ihr Programm spielen, haben sie das gleiche Recht wie Veranstalter von Theateraufführungen, bei denen zum 98. Mal Mülltonnen auf der Bühne brennen.
Die Verschwörungstheorien, die von einem großen Plan reden, das Volk zu entmündigen und zu lenken, halte ich für totalen Quatsch.
Rundblick: Haben Sie Verständnis für die Leute, die jetzt gegen die Corona-Auflagen demonstrieren?
Kunze: Viele Sorgen sind berechtigt, etwa die, dass nach dem Ende der Beschränkungen das Publikum aus Angst zuhause bleibt und sich nicht mehr in eine Konzerthalle traut. Aber die Verschwörungstheorien, die von einem großen Plan reden, das Volk zu entmündigen und zu lenken, halte ich für totalen Quatsch. Angela Merkel ist eine nüchterne Frau, keine große Rednerin. Sie beurteilt die Situation naturwissenschaftlich, das ist angenehm. Sie wird an einer raschen Beendigung der Beschränkungen interessiert sein. Hoffentlich sind wir dann gut auf eine mögliche zweite Welle vorbereitet. Was mir schon große Sorgen macht, ist die Reaktion meines dreijährigen Enkels, der mir am Telefon immer wieder sagte: „Und nicht in den Zoo fahren.“ Der denkt, er habe etwas Schlimmes getan und dürfe deshalb nicht in den Zoo. Was wird in ihm vorgehen?