Das erste niedersächsische Heimatschutzregiment ist offiziell gerade mal ein halbes Jahr alt. Erst im Oktober 2023 wurde es vor dem Landtag in Hannover in den Dienst gestellt, um die Verteidigungsanstrengungen zwischen Harz und Küste zu erhöhen. Nun hatten die Militärs zum Gegenbesuch eingeladen um zu zeigen, dass sie es seitdem nicht gerade langsam haben angehen lassen. Vor rund 300 Gästen aus Politik, Verwaltung, Blaulicht-Organisationen und Wirtschaft zeigten die Heimatschützer, was sie können und wie ihre typischen Aufgaben aussehen.

Anlagen schützen: Hinter Tor drei der Clausewitz-Kaserne befindet sich an diesem Tag eine mit mehreren hundert Sandsäcken abgesicherte MG-Stellung. Schließlich wird hier die zweithöchste Gefährdungsstufe geübt. „Auf Gefährdungsstufe ,Charlie‘ ist mit Anschlägen zu rechnen. Das heißt, man muss immer mit ballistischem Schutzhelm unterwegs und immer zu zweit auf dem Fahrzeug sein“, erklärt der Hauptmann am Tor. Vor der Zufahrt steht ein solches Fahrzeug, das natürlich auch gepanzert ist, um eine unerlaubte Durchfahrt zu verhindern. Noch weiter vorne haben die Heimatschützer einen „gedeckten Alarmposten“ eingerichtet, von wo aus zwei Soldaten ihre Kameraden am Tor warnen, sobald sich Fahrzeuge nähern. „Reisebus in Zufahrt. Alle Mann auf ihre Posten“, tönt es aus dem Funkgerät.
Der Bus hält an der Schranke. Die Soldaten beginnen damit, das Innere des Reisebusses und seinen Unterboden mit Inspektionsspiegel zu untersuchen. „Im realen, scharfen Einsatz würden alle Insassen das Fahrzeug verlassen und einzeln geprüft werden. Bei einem solchen Bus würde uns das 90 bis 120 Minuten kosten“, erklärt der Truppführer. Um die Vorführung nicht unnötig in die Länge zu ziehen, finden die Soldaten auf Anhieb eine verdächtige Person, die darauf erst einmal in einen getrennten Bereich geführt und bewacht wird. „Der Bus ist sauber“, heißt es dann und das Fahrzeug kann seine Fahrt fortsetzen.

Sabotage verhindern: Feindlichen Kräften ist es gelungen, einen Lastwagen und Waffen aus Bundeswehrbeständen zu erbeuten. Das Ziel der Angreifer: Eine verteidigungswichtige Industrieanlage auf niedersächsischem Boden. Im Gelände bringen sich die Heimatschützer mit Sturmgewehren und Panzerfaust in Stellung, um den Angriff zu stoppen. „Alarm! Stellung beziehen, klar zum Gefecht“, heißt es über Funk und wenig später tauchen die gegnerischen Milizionäre auch schon in ihrem Fahrzeug an der Waldkante auf. Mit einem lauten Knall kommt der Lastwagen plötzlich zum Halt, er ist auf eine Minensperre aufgefahren. Die Angreifer sind allerdings nicht bereit, so schnell aufzugeben, weshalb es zum Schusswechsel kommt.
„Gruppe eins, fertigmachen zum Feuerüberfall“, beordert Kompaniechef Malte Cornelius von der Heimatschutzkompanie „Solling“ aus Holzminden seine bis dahin versteckt gehaltene Reserve. Es knallt von allen Seiten. Kurz darauf ist das Gefecht beendet. „Schützen in Stärke vier wurden vernichtet. Keine Verwundeten. Munition grün. Kommen“, lautet der Funkspruch aus dem Feld. Die Bedrohung scheint vorbei. Doch dann nähert sich plötzlich eine feindliche Schützengruppe, die ebenfalls in einem Feuergefecht bekämpft werden muss. Und als selbst dies erledigt ist, taucht auch noch eine feindliche Drohne auf. Glücklicherweise verfügt inzwischen auch der Heimatschutz über den tragbaren Jammer „HP-47 plus“, der die Drohne mit unsichtbaren Störsignalen sofort handlungsunfähig macht. Ein paar Salven aus den G36-Sturmgewehren der Soldaten später ist auch dieses Problem erledigt – auch wenn die Drohne heute heil bleibt. Anders als bei vielen anderen Übungen der Heimatschützer werden an diesem Tag nur Platzpatronen eingesetzt.

Raumüberwachung: Die Heimatschutzkompanie „Küste“ hat kürzlich erst ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert. Die Soldaten aus Wittmund waren unter anderem schon bei der Bekämpfung der „afrikanischen Schweinegrippe“ und von Moorbränden sowie beim Schutz des G7-Gipfels 2022 in Heiligendamm im Einsatz. Heute hat die Kompanie den Auftrag, ein sogenanntes „Convoy Support Center“ zu bewachen, das beim Aufmarsch der Nato-Truppen in Europa als Versorgungspunkt der Marschkolonnen dient. Die Lage ist angespannt, weil irreguläre Kräfte bereits mehrere Anschläge durchgeführt haben. Ohne Vorwarnung trifft die Patrouille auf dem Streifenweg „Bravo“ auf eine Gruppe Männer. „Nicht schießen, ich bin verletzt“, ruft einer von ihnen. Ein Heimatschützer leistet zwar umgehend Erste Hilfe, nicht aber ohne zuvor die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Die Patrouille hält die Unbekannten mit ihren Gewehren in Schach: Sie müssen sich mit den Handflächen nach oben auf den Boden legen und auf das Eintreffen der Polizei warten. Die Beamten nehmen die Verdächtigen in Gewahrsam, während der Verletzte von einem Rettungswagen eingesammelt wird.
„Es ist ganz wichtig, dass wir auch mit den Partnern, die wir bei der Erfüllung der Heimatschutzaufgaben brauchen, zusammen üben“, erklärt Landeskommandeur Oberst Dirk Waldau. Neben der Landespolizei und dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) spielt dabei vor allem das Technische Hilfswerk (THW) eine entscheidende Rolle. „In Friedenszeiten arbeiten wir in vielen Situationen mit der Bundeswehr zusammen. Die letzten Jahre war das Thema zwar in den Hintergrund gerückt, jetzt gerät es aber wieder mehr in den Fokus“, berichtet Dennis Wolf, Einsatzreferent beim THW Niedersachsen-Bremen. Auch für Wolf ist die Verbesserung der Zivilschutzfähigkeit ein Herzensanliegen. „So ein Blackout kann durchaus mal passieren, da sollte man sich zumindest 48 Stunden allein versorgen können“, meint der studierte Katastrophenmanager, der seine Masterarbeit über Stromausfälle geschrieben hat. Mit Sorge beobachtet er, dass das THW allmählich an seine Belastungsgrenze stößt. „Die Einsätze häufen sich bei uns. Es wird immer schwieriger, die ehrenamtlichen Einsatzkräfte von der Arbeit freizustellen. Nach zwei Wochen Ahrtal haben viele Arbeitgeber gesagt: Jetzt ist auch mal gut“, erzählt Wolf. Aus seiner Sicht muss die Freistellung für Arbeitgeber noch attraktiver, also besser vergütet werden. Zudem wünscht er sich mehr Mittel für Ausbildung und Ausrüstung beim THW.

Marschbewegung sichern: Mit der Nato-Übung „Steadfast Defender“ (zu Deutsch: Standfester Verteidiger) will das westliche Verteidigungsbündnis den Russen klar machen, dass man auf einen Angriff schnell reagieren kann. Innerhalb kürzester Zeit können große Truppenverbände nach Osten verlegt werden, wobei den Heimatschützern dabei die Aufgabe zukommt, diese Marschbewegung zu sichern. Denn um einen Militärtransport aufzuhalten, braucht es nämlich nicht immer Waffengewalt, manchmal reichen dafür auch zivile Kräfte aus. In der letzten Übung des Tages hat eine Gruppe Störer eine Kolonne ins Visier genommen und eine strategisch wichtige Brücke besetzt, die zwingend überfahren werden muss. Die maskierten Unruhestifter stellen ihren Transporter mitten auf der Straße ab und werfen den Schlüssel weg, anschließend bilden sie eine Spontan-Demo und beschimpfen die Bundeswehr. Auf Aufforderung der Soldaten, den Weg zu freizugeben, reagieren die Demonstranten mit Steinwürfen. Ein Kamerad wird verletzt, die Heimatschützer ziehen sich daraufhin zurück und rufen die Bundespolizei als Verstärkung. Die Beamten rücken mit einem Großaufgebot an und räumen die Straße frei, nachdem sich die Demonstranten geweigert haben, auf der Grünfläche neben der Straße zu demonstrieren. Dabei kommt es zu Szenen, die nicht zufällig an das jüngste Fußballderby zwischen Hannover 96 und Eintracht Braunschweig erinnern: Die Polizisten kommen nämlich aus Braunschweig und die Reservisten, die mit großem Einsatz die Störer spielen, haben sich von den Randalierern offenbar inspirieren lassen. Die gewalttätigen Störer werden festgenommen, der Soldat vom DRK behandelt, der Transporter abgeschleppt und dann ist auch dieser Übungseinsatz erfolgreich beendet.
Heimatschutz steht noch am Anfang: Das Interesse am Heimatschutz ist gewaltig. Zu den prominenten Gästen des Besuchertags gehören unter anderem Vize-Landtagspräsidentin Sabine Tippelt und ihr SPD-Landtagskollege Sebastian Zinke, der frühere Innenminister Uwe Schünemann (CDU), der niedersächsische Verfassungsschutzpräsident Dirk Pejril, die Polizeipräsidenten Michael Pientka (Braunschweig) und Michael Maßmann (Osnabrück) sowie DRK-Landeschef Ralf Selbach. Auch Staatsgerichtshof-Präsident Wilhelm Mestwerdt und Klosterkammer-Präsidentin Thela Wernstedt waren dabei. Die Arbeit des Heimatschutzregiments 3 hat jedoch erst begonnen. Die Einheit, die von Nienburg aus geleitet wird, ist zwar bereits auf 800 Kräfte gewachsen. Doch um die vielfältigen Aufgaben zu bewältigen, muss das Ausbildungstempo weiter aufrecht gehalten werden. Der Trend geht in die richtige Richtung: Nachdem der Heimatschutz in Niedersachsen im Jahr 2022 um 48 Reservisten und 2023 um 100 Reservisten gewachsen ist, befinden sich aktuell 171 Rekruten in Ausbildung. „Es ist ein langer Weg, aber die ersten Schritte sind gemacht“, sagt Oberst Waldau. An die Zuschauer der Heimatschutzübungen appelliert der Landeskommandeur eindringlich: „Wir müssen das Thema Wehrhaftigkeit in die Gesellschaft tragen und tun, was dafür nötig ist.“