Die Justiz sollte ihre Reformbereitschaft beweisen und zeigen, dass sie auch ungewöhnliche Wege zu gehen imstande ist.
„Wir werden einen Stau erleben, der abgearbeitet werden muss“, sagt Guise-Rübe, und er fordert: „Die Justiz sollte ihre Reformbereitschaft beweisen und zeigen, dass sie auch ungewöhnliche Wege zu gehen imstande ist.“ Deshalb kann sich der Landgerichtspräsident für eine Übergangszeit auch Gerichtsverhandlungen am Sonnabendvormittag vorstellen – oder in der Woche bis abends um 19 Uhr. Bislang gilt die Faustregel, dass dies auf montags bis freitags jeweils um 16 Uhr beschränkt ist.
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Guise-Rübe ist bekannt dafür, dass er auch provokative Thesen vertritt. Im Rundblick-Gespräch hat er schon vor zweieinhalb Jahren kritisch angemerkt, ob in Zeiten von Digitalisierung und Vernetzung noch drei Oberlandesgerichte, elf Landgerichte und 80 Amtsgerichte in Niedersachsen angemessen seien – zumal jedes kleine Amtsgericht die ganze Bandbreite der Sachinhalte abdecken müsse.
Einer der Missstände im öffentlichen Dienst ist der, dass Querdenken und kritisches Hinterfragen von Abläufen nicht als selbstverständlich gewollt ist.
Heute, da die Corona-Krise viele zu Heimarbeit, Videokonferenzen und zum Fernbleiben vom Arbeitsplatz verpflichtet hat, sieht der Gerichtspräsident einen erheblichen „Schub in der Digitalisierung“ auf Bund und Länder zukommen. Die alten Reformfragen stellten sich damit verschärft, und vom Staat werde erwartet, zu unkonventionellen Lösungen bereit zu sein. „Natürlich soll es strikt freiwillig sein, aber von Richtern wird man im Notfall erwarten können, dass sie im Einzelfall auch sonnabends verhandeln. Von den Kassiererinnen an der Supermarktkasse und den Pflegerinnen in den Krankenhäusern verlangen wir das schließlich auch“, sagt Guise-Rübe und beklagt: „Einer der Missstände im öffentlichen Dienst ist der, dass Querdenken und kritisches Hinterfragen von Abläufen nicht als selbstverständlich gewollt ist.“
Der Präsident des Landgerichts Hannover sieht für die Zeit nach der Corona-Krise noch weiteren Veränderungsbedarf für die Justiz:
Prozesse am Bildschirm: In der Zivilprozessordnung wird es schon seit 2002 ermöglicht, dass Beteiligte an Gerichtsverhandlungen auch per Skype zugeschaltet werden können. Neben den anderen Beteiligten sind Anwälte dann am Bildschirm zugeschaltet und können sich in die Gespräche einbringen. Das spart den Reiseaufwand – und die Corona-Krise hat gezeigt, dass in Zeiten eines grassierenden Virus das Unterbinden von Reisen eine wichtige Auflage sein kann. Größere Verhandlungssäle: Auf absehbare Zeit müssen die Prozesse wie üblich stattfinden können. Aber was heißt das für den Infektionsschutz? Im Landgericht Hannover wird bereits überlegt, ob man die Schöffen etwas weiter entfernt zu den Berufsrichtern platziert, ob man einen Teil mit Plexiglas abtrennt – und ob das Tragen eines Mundschutzes üblich sein soll. Dagegen spricht, dass ein Mundschutz teilweise wie eine Vermummung wirken kann, und die Vermummung widerspricht den Grundregeln des Gerichtsprozesses, weil man Menschen hinter einer Maske nicht so gut erkennen kann. Guise-Rübe sieht wohl, dass die Justiz an Grenzen stößt, weil ausreichend große Verhandlungssäle, die eine größere Distanz aller Teilnehmer ermöglichen, kaum vorhanden sind.