20. März 2024 · 
Wirtschaft

„Greenwashing? Nicht bei uns“: Wie Tui zum Klimavorreiter werden will

Wenn es darum geht, die Umweltbilanz beim Touristikkonzern Tui zu verbessern, ist für Kathrin Möllers die Sache klar. „Im Bereich ‚Airlines‘ haben wir die meisten Emissionen, aber auch den größten Spielraum“, sagt die Leiterin des internationalen Tui-Nachhaltigkeitsteams. Für über 70 Prozent des konzernweiten CO2-Ausstoßes seien die Fluggesellschaften verantwortlich, erst weit dahinter folgen die Kreuzfahrt-Sparte mit 13 Prozent und der Hotel-Bereich mit 8,5 Prozent. Die Verringerung der Tui-Airline-Emissionen steht deswegen auch ganz vorne auf der Nachhaltigkeitsagenda, obwohl das Reduktionsziel von 24 Prozent bis 2030 (im Vergleich zu 2019) zumindest in relativen Zahlen nicht so üppig ausfällt wie in den anderen Kerngeschäftsfeldern.

Eine Boeing 737-800 von Tui-Fly wird am Heimatflughafen
in Hannover aufgetankt. | Foto: Tui AG

„Wir haben dabei drei große Hebel: Das Thema ‚Flottenerneuerung‘, die Optimierung von Prozessen und den Kraftstoff selbst“, erklärt Möllers vor Unternehmern und Managern des Industrie-Clubs Hannover in der Konzernzentrale in der Landeshauptstadt. Effizientere Flugzeugturbinen, gewichtsreduzierte Flieger und spritsparende Flugrouten können den Kerosinverbrauch allerdings nur bis zu einem bestimmten Punkt verringern. Damit der Flugreiseverkehr irgendwann das Label „klimaneutral“ bekommen kann, muss der Umstieg auf klimaneutrales Flugbenzin gelingen – auch bekannt als Sustainable Aviation Fuel (SAF).

Für Tui-Managerin Kathrin Möllers ist Nachhaltigkeit eine Herzensangelegenheit. Bei einer Veranstaltung des Industrie-Clubs Hannover erklärt sie, wie diese Einstellung zum Touristikkonzern passt. | Foto: Link

Während um E-Fuels für Verbrennerautos heftig gestritten wird, gibt es im Flugverkehr keine zwei Meinungen: Bio-Kraftstoffe sind der einzige Weg zur Klimaneutralität bis 2050. Die Kombination von Wasserstoff und Brennstoffzelle gilt zwar im Omnibus-Bereich schon jetzt als vielversprechende Alternative, bei Airbus jedoch als reine Zukunftsmusik. Der Flugzeugbauer hält ein kommerzielles Passagierflugzeug mit hundert Sitzplätzen frühestens 2035 für machbar – und dann auch nur im Kurzstreckenbereich. Klimafreundliches Flugbenzin kommt dagegen heute schon erfolgreich zum Einsatz.

„Wir sind dabei, die ersten Flüge mit SAF durchzuführen und stellen fest, dass das gut funktioniert. Wir werden das sukzessive steigern – je nach Verfügbarkeit“, sagt Nachhaltigkeitsdirektorin Möllers. Nach Angaben der Internationalen Luftverkehrs-Vereinigung (IATA) wird die weltweite SAF-Produktion mit 1,875 Milliarden Litern in diesem Jahr dreimal so hoch ausfallen wie noch 2022. Das sind jedoch nur 0,53 Prozent des Kerosins, das insgesamt in der Welt verbraucht wird. Allein die deutschen Fluggesellschaften benötigen derzeit jedoch 11,9 Milliarden Liter Kerosin im Jahr. Die Kraftstoff-Branche hält es für realistisch, die globale SAF-Herstellung bis 2030 auf 17,5 Milliarden Liter pro Jahr zu steigern.

Thomas Ellerbeck (links) verrät im Gespräch mit Christian Rosenkranz, Präsident des Industrie-Clubs Hannover, warum Tui auf Nachhaltigkeit setzt. | Foto: Link

„SAF sind derzeit noch nicht ausreichend vorhanden, aber ich kann ja mit dem Stand von heute nicht in die Zukunft planen“, sagt Tui-Nachhaltigkeitschef Thomas Ellerbeck. Mit dem spanischen Biokraftstoffhersteller Cepsa hat sein Touristikkonzern bereits im Herbst 2022 eine langfristige Zusammenarbeit vereinbart, um Rohöl durch gebrauchte Non-Food-Abfälle oder gebrauchte Speiseöle zu ersetzen. In Berlin hatte der frühere Büroleiter von Bundespräsident Roman Herzog dagegen weniger Erfolg: Nach dem Aus für den Klima- und Transformationsfonds (KTF) strich die Bundesregierung die SAF-Forschungsförderung von 2 Milliarden Euro auf 17 Millionen Euro zusammen. „Diese Förderung wird für den SAF-Hochlauf dringend benötigt“, sagt Ellerbeck.

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sieht sogar die gesamte deutsche Forschung an alternativen Treibstoffen in der Luftfahrt in Frage gestellt. „Alle gesteckten Ziele zur Entwicklung neuer Energieträger, wie SAF in der Luftfahrt, sind vorerst nicht erreichbar. Das bedeutet auch, dass die Hochskalierung von einer Forschungsanlage in industrielle Maßstäbe und ein Export deutscher Anlagentechnologie nicht möglich ist", kommentierte das DLR den Förderstopp.

Quelle: Statista

Ellerbeck warnt davor, das Fliegen aus Klimaschutzgründen einzuschränken oder gar zu verbieten. „Wenn ich den Menschen sage: Ihr dürft nicht mehr in Urlaub fahren, dann muss ich mich fragen, wo sie ihre weltoffene Anschauung herbekommen sollen“, sagt der Chief Sustainability Officer (CSO). Der Dialog der Kulturen dürfe nicht der Flugscham zum Opfer fallen. „Tourismus verbindet Menschen über Kulturen hinweg. Wenn ich mich auf ein Land einlasse, werde ich wahrscheinlich feststellen, dass es mehr Gemeinsamkeiten gibt als Unterschiede“, betont Ellerbeck. Außerdem dürfe man nicht die Rolle des Tourismus als globaler Wirtschaftsmotor unterschätzen.

Der Vorsitzende der Tui-Stiftung rechnet vor: 2019 erhielten die Schwellen- und Entwicklungsländer insgesamt 146 Milliarden US-Dollar aus Entwicklungshilfe, während die Tourismusausgaben in diesen Staaten bei 536 Milliarden US-Dollar lagen. „Und das ist kein reiner Geldtransfer, sondern Geld, das man durch die eigene Tätigkeit erarbeitet. Das hat für mich etwas mit Würde zu tun“, sagt Ellerbeck. Tourismus sei eine „effiziente Form der Entwicklungsarbeit“ und treibe auch die Demokratisierung voran.

"Reisen bildet", betont Tui-Nachhaltigkeitschef Thomas Ellerbeck. | Foto: Link

Dass die Reiseindustrie die Sozial- und Umweltstandards in einem Staat langfristig stabilisieren kann, zeigt er am Beispiel der Karibik-Insel Hispaniola: Während Haiti auf der westlichen Inselseite als ärmstes Land der westlichen Hemisphäre gilt, profitiert die Bevölkerung der Dominikanischen Republik im Osten vom Wirtschaftsfaktor Tourismus. Bei allen wichtigen Kennzahlen von Armut über Schulbildung, Lebenserwartung und Ärzteversorgung bis hin zum Waldbestand stehe die Dominikanische Republik erheblich besser dar als ihr Nachbarstaat.

Der malerische Strand "Bayahibe beach" in der Dominikanischen Republik. | Foto: Antonino Bartuccio/SOPA/Corbis

„Wenn die Menschen kein Einkommen haben, sind sie auch weniger bereit, in die Standards zu investieren, die wir erwarten“, weiß der Tui-Nachhaltigkeitschef. Besonders deutlich wird das in der südlichen Ägäis, wo ganz Rhodos zu einem Zukunftslabor für Nachhaltigkeit geworden ist – inklusive Solarpanels, Biogasanlage und Plastikverbot. Die größte der Dodekanes-Inseln habe sich dafür nicht nur wegen des Klimaschutz-Kurses der griechischen Regierung angeboten. „Eine Insel kann man überblicken, da sieht man Ergebnisse. Rhodos kann zu einer Blaupause für eine gelingende Nachhaltigkeitstransformation werden“, sagt Ellerbeck. Auch den eigenen Beschäftigten gegenüber will der Konzern beweisen, dass die Konzernstrategie aufgeht. „Der Mitarbeiter, der vor Ort in der Destination arbeitet, der braucht Erfolgserlebnisse, um den nächsten Schritt zu machen“, sagt der CSO und beteuert: „Wir lesen viel über Greenwashing, für die Tui kann ich nur sagen: Für uns gehören Nachhaltigkeit bei Wirtschaft, Sozialem und Umwelt zusammen.“

Bei seinen Hotels und Resorts will der hannoversche Reisekonzern die Nachhaltigkeitsagenda am schnellsten vorantreiben. Fast 50 Prozent der CO2-Emissionen sollen hier bis 2030 eingespart werden. „Die Technik ist da. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um jetzt schon grün zu werden“, sagt ESG-Direktorin Möllers. Wo der Kauf von grüner Energie nicht möglich ist, will Tui besonders intensiv in den Aufbau Erneuerbarer Energien investieren. Mancherorts plant das Unternehmen sogar große Solarparks, die ganze Hotelcluster mit Ökostrom versorgen. Reisebusse und Mitarbeiterfahrzeuge werden Schritt für Schritt elektrifiziert.

Das Kreuzfahrtschiff "Tui Discovery 2" liegt vor Anker in einem Hafen. | Foto: Tui AG

Bei den Kreuzfahrtschiffen ist eine CO2-Reduktion von 27,5 Prozent geplant. Bei neuen Schiffen will Tui verstärkt auf Methanol- und LNG-Antriebe setzen. Zudem sind Optimierungen bei der Routenführung, im Schiffsbetrieb und besonders bei der Landstromversorgung geplant. „40 Prozent der Zeit liegt ein Schiff im Hafen, der Hebel ist also sehr groß“, sagt die studierte Wirtschaftsingenieurin. Es gebe allerdings folgendes Problem: „Wir haben zwar die Möglichkeit an Bord und können grüne Energie nutzen, aber viele Häfen haben noch keine Landstromverbindung.“

Dieser Artikel erschien am 20.3.2024 in Ausgabe #053.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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