Göttinger Gesinnungsjustiz
Darum geht es: Der Vorsitzende der AfD-Jugendorganisation in Niedersachsen, Lars Steinke, muss eine Wohnung in Göttingen verlassen. Der Grund ist: Er hätte dem Vermieter vorher sagen müssen, dass er Angriffsziel von Linksextremisten werden kann. So hat es das Amtsgericht Göttingen entschieden. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum.
Jeden Tag geschehen in Deutschland tausendfach Ungerechtigkeiten, wenn es um Vermietungen von Wohnungen geht. Da werden Bewerber abgelehnt, weil sie die falsche Hautfarbe, Nationalität oder politische Einstellung haben. Das alles passiert verdeckt und meistens unausgesprochen, ohne dass es sanktioniert werden kann. Ist es deshalb nicht auch hinnehmbar, wenn der Landesvorsitzende Lars Steinke von der „Jungen Alternative“, der AfD-Jugendorganisation, seine Wohnung verlassen muss? Die Vermieterin hatte ihm gekündigt, da sie sich von ihm getäuscht fühlte. Steinke hatte bei Abschluss des Vertrages auf sein Engagement in der AfD nicht hingewiesen.
Zweifelhafte Logik der Richter
Dass sich Vermieter und Mieter überwerfen, kommt wahrlich oft vor. Eine andere Qualität aber hat diese Frage, wenn eine solche Kündigung vor einem Gericht verhandelt und dazu ein Urteil gesprochen wird. Steinke ist vor das Amtsgericht Göttingen gezogen – und hat verloren. Die Urteilsbegründung, ausgefertigt am 24. Oktober, spricht Bände über das Rechtsverständnis des Richters. Nicht die Tatsache seines Engagements für rechtsgerichtete Organisationen ist es, die Steinke nach Auffassung des Amtsgerichts der Vermieterin hätte vorher sagen müssen. Vielmehr sei es darum gegangen, dass der junge Mann wegen dieser Tätigkeit „als Anziehungspunkt für linksgerichtete Gewalt“ angesehen wurde, als „Zielscheibe“. Mit anderen Worten: Steinke hätte vorher darauf hinweisen müssen, dass linksradikale Gruppen ihn angreifen würden – und weil er das versäumt hatte, erkennt das Gericht die Kündigung der Wohnung als rechtens an.
Diese zweifelhafte Logik der Richter verdient eine nähere Betrachtung. An die Wände des Hauses, in dem sich Steinkes bisherige Wohnung befindet, wurden linksradikale Parolen geschmiert, sein auf der Straße parkendes Auto wurde beschädigt, die Mülltonnen wurden angezündet. Das alles empörte die Vermieterin zu Recht. Das Nachsehen für all diese Ereignisse soll nun der Mieter haben – denn er hätte ja wissen können, dass er das Opfer solcher Aggressionen werden würde. Hätte Steinke seine Gesinnung und seine Rolle in der AfD frühzeitig der Vermieterin offenbart, so wäre es gar nicht zum Abschluss des Mietvertrages gekommen – und die Schmieraktionen und Anschläge vor der Wohnung wären gar nicht geschehen. Also trägt das Opfer die Schuld.
All denen, die den Staat verhöhnen, kann man heute noch mit dem Hinweis auf ein funktionierendes Rechtssystem entgegentreten. Das klappt aber nur, wenn Gesinnungsjustiz, wie sie in diesem Urteil deutlich wird, keine Chance hat.
Dies ist, man muss es so deutlich sagen, eine ganz besondere Form von Gesinnungsjustiz. Der Mieter wird wegen seiner politischen Haltung diskriminiert – aber nicht aufgrund seiner Ansichten, sondern wegen der Tatsache, dass er mit diesen Ansichten den politischen Gegner zu Gewalttaten provoziert. Leider sind die Denkschablonen, die in diesem hoffentlich in nächster Instanz kippenden Göttinger Urteil erkennbar werden, in der aktuellen politischen Debatte weit verbreitet. Sie lauten, vereinfacht beschrieben, so: Wenn die AfD und ihre Akteure gar nicht in Erscheinung treten, bleibt das öffentliche Leben viel friedfertiger und in der alten Ordnung aus der Zeit, als es noch keine erwähnenswerte rechtsgerichtete Kraft in Deutschland gab. Man versucht also das Problem zu lösen, indem man es ausblendet und sich nicht mehr mit den Inhalten auseinandersetzen muss. Im Fall Steinke heißt das: Soll er doch gefälligst die Wohnung räumen, dann ist der ganze Spuk endlich vorbei.
Dazu passt sehr gut, was sich in diesen Tagen auch in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover zusammenbraut. Wieder einmal, wie 2015, trifft sich die AfD dort zu ihrem nächsten Bundesparteitag, und zwar Anfang Dezember. Schon organisieren sich Gruppen, die gegen dieses Treffen protestieren wollen – also dagegen, dass eine demokratische Partei zu ihrem regulären Delegiertentreffen zusammenkommt. Was wollen die Demonstranten nun bezwecken? Wenn man die Forderung ernst nimmt und einen Bundesparteitag dieser Partei verhindert, dann wird eine überfällige Klärung der Frage, ob sich die AfD von rechtsextremen Gruppierungen trennt, nicht geschehen können. Will man das? Oder geht es den Demonstranten nur darum, ihre eigene Haltung zu verdeutlichen, also um das gute Gefühl, sich für eine vermeintlich gute Sache eingesetzt zu haben? Hier kann man Ähnlichkeiten zu dem Richter erkennen, der womöglich auch meinte, mit einem Urteil zu Lasten eines aktiven Rechtspopulisten eine gute Tat vollbracht zu haben.
Wer so denkt, riskiert ein immer weiteres Erstarken der AfD. All denen, die den Staat verhöhnen, kann man heute noch mit dem Hinweis auf ein funktionierendes Rechtssystem entgegentreten. Das klappt aber nur, wenn Gesinnungsjustiz, wie sie in diesem Urteil deutlich wird, keine Chance hat.