Drei Monate nach der Havarie der „Glory Amsterdam“ könnte der Vorfall Niedersachsens neuen Umweltminister Olaf Lies (SPD) politisch in schwere See führen. Der Frachter war am 29. Oktober vergangenen Jahres durch das Sturmtief „Herwart“ manövrierunfähig auf eine Sandbank vor Langeoog getrieben. Versuche, das Schiff freizuschleppen, waren immer wieder gescheitert. Mitte Januar blieb nun eine Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion zu der Havarie erstaunlich wortkarg und führt inzwischen zu neuen Fragen über den wirklichen Wissensstand im Ministerium. Hinzu kommt, dass Experten die Darstellung des Havariekommandos nach dem Fall an mehreren Stellen anzweifeln. Der Leiter des Havariekommandos in Cuxhaven, Hans-Werner Monsees, hatte bei einem Runden Tisch mit Vertretern von Bund, Land und Kommunen das Versagen unter anderem bei der Besatzung des Notschleppers „Nordic“ gesehen und angeblich von einer „unzureichend ausgestatteten Flotte“ gesprochen. „Wir haben dazugelernt. Da gibt es einiges, was man besser machen könnte“, soll Monsees in der Runde gesagt haben. Insgesamt elf „Optimierungsmöglichkeiten“, so lautete die Überschrift in der Präsentation, kamen für Monsees in Frage. Seine Forderungen lauteten unter anderem: Ein neues „optimiertes Mehrzweckschiff“ und eine „Verbesserung der Ausstattung im Havariekommando“.

Welches Glied hat versagt?

Aber wie sieht es eigentlich mit der Verantwortung des Havariekommandos selbst aus? Welche Fehler wurden von den Beschäftigten und vor allem deren Einsatzleiter in Cuxhaven gemacht? Das fragt sich auch die Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste (SDN). In einem zweiten offenen Brief an den Bundesverkehrsminister fordert die SDN im Fall der „Glory Amsterdam“ eine zügige Aufklärung darüber, „welches Glied der Rettungskette versagt hat, so dass durch das Einsatzkonzept des Havariekommandos bei keinesfalls extremen Wetterbedingungen das Ziel des Notschleppkonzeptes (…) nicht erreicht wurde.“ In dem Schreiben hinterfragt die Schutzgemeinschaft einige Entscheidungen und Erklärungen des Havariekommandos, so zum Beispiel den Entschluss, ein sogenanntes Boarding-Team aus Warnemünde an der Ostsee anzufordern. Hintergrund waren Probleme, das Boarding-Team auf der Nordic mit einem Hubschrauber aufzunehmen. Mehrere Versuche schlugen bei dem stürmischen Wetter fehl. Experten fragen sich, warum der Hubschrauber der Bundespolizei das Boarding-Team nicht von der „Nordic“ holen konnte, während zivile Hubschrauber zur selben Zeit Lotsen auf deutlich stärker schwankenden Schiffen absetzten. Im Elf-Punkte-Plan des Havariekommandos wurde jedenfalls als Konsequenz vorgeschlagen, künftig ab Windstärke 8 das Boarding-Team Nordsee an Land zu verlegen und das Team an der Ostsee in Bereitschaft zu halten.

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Während das Havariekommando mit der Ausstattung der Schiffe hadert, bezeichnen Experten die Notschlepphilfe als technisch hervorragend und hochprofessionell. Die Frage sei vor allem, warum sie vom Kapitän der „Glory Amsterdam“ nicht angenommen wurde. Zu hinterfragen sei auch, warum das Havariekommando erst spät die schifffahrtspolizeiliche Verfügung anforderte, um die Notschleppverbindung mit dem Havaristen durchzusetzen. Vier Stunden dauerte es, in anderen Staaten gehe das in 60 bis 90 Minuten. In ihrem Schreiben an den Bundesverkehrsminister stellt die Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste deshalb auch die Frage, warum erst so spät mit dem Herstellen einer Notschleppverbindung begonnen worden sei. Das geschah nach Presseberichten erst um 12.30 Uhr. Der Notschlepper „Nordic“ war aber bereits seit 08.10 Uhr beim Havaristen.

Keine Informationen im Umweltministerium

Während das Havariekommando viele Antworten geben kann und dabei mögliche eigene Fehler unerwähnt lässt, kommen aus dem Landesumweltministerium erstaunlich wenige Antworten. „Der Landesregierung liegen hierzu keine Informationen vor. Zuständig ist der Bund.“, heißt es immer wieder auf die Fragen der FDP-Fraktion zu den Abläufen am 29. Oktober 2017. Wann wurde das Abdriften der „Glory Amsterdam“ bemerkt? Sollte ein Seelotse an Bord gebracht werden? Von wo aus fuhren die Notschlepper los? Wann traf welcher Notschlepper am Einsatzort ein? „Der Landesregierung liegen hierzu keine Informationen vor.“ Beobachter im und außerhalb des Ministeriums müssen lächeln, wenn sie die Antworten lesen. Sie bewerten es als schwer vorstellbar, dass die Informationen im Ministerium nicht vorliegen. Schließlich machte sich der damalige Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) einen Tag nach dem Vorfall im Havariekommando selbst ein Bild der Lage. Die Antworten aus dem Umweltministerium seien gleich in doppelter Hinsicht problematisch: Entweder wurde der Landtag nicht korrekt informiert, weil die Informationen doch vorliegen. Oder im Ministerium interessiert man sich nicht für die Havarie vor der eigenen Küste und setzt vollständig auf den Bund. Das befürchtet die FDP-Landtagsabgeordnete Hillgriet Eilers. „Die Landesregierung scheint sich in keiner Form für Vorfälle wie die Havarie der Glory Amsterdam und die damit einhergehenden Risiken und Präventionsmaßnahmen verantwortlich zu fühlen. Dieses Selbstverständnis ist erschreckend“, sagt Eilers dem Politikjournal Rundblick. Sich einfach hinter dem Bund zu verstecken, könne nicht der richtige Weg sein. In einer weiteren Anfrage will die FDP-Fraktion es jetzt noch einmal genauer wissen und stellt 30 zusätzliche Nachfragen zu der Havarie.

Bericht nicht mehr in diesem Jahr

In der Nähe der Landungsbrücken in Hamburg wird derweil die Havarie der „Glory Amsterdam“ minutiös aufgearbeitet. Dort hat die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) ihren Sitz. Schuldfragen werden dort allerdings nicht geklärt, nur die Geschehnisse rund um die Havarie analysiert. Dass der Bericht der BSU noch in diesem Jahr vorliegen wird, ist wenig wahrscheinlich. (MB.)