13. Sept. 2018 · 
Bildung

Gewerkschaften haben von der Bildungspolitik die „Schnauze voll“

„Wir rufen der Landesregierung zu: Ihr habt Eure Hausaufgaben nicht gemacht!“, ruft Thorsten Gröger, Bezirksleiter der niedersächsischen IG Metall - und erntet den Jubel von mehr als 2000 Demonstranten. So viele Lehrer und Verbündete sind am gestrigen Donnerstagnachmittag vor den Landtag in Hannover gezogen, um gegen die Politik der Landesregierung zu protestieren. Und sie machen Ihrem Unmut lautstark Luft. Auch die IG Metall macht mit, Gröger steht oben auf der Bühne. Während er spricht, steht einer der Adressaten der Vorwürfe an einem der Fenster zum Plenarsaal und unterhält sich dort: Niedersachsens Finanzminister Reinhold Hilbers. Er schaut immer wieder von oben auf den Platz der Göttinger Sieben. „Wir haben genug von Eurem Betrug!“, „Grundschule ist mehr wert“ oder „80 Prozent zahlen – 100 Prozent erwarten“ steht auf den Plakaten. Gröger schaut auf die Menge und spricht von einem „eindrucksvollen Signal“: „Was nutzt den Kindern eine schwarze Null, wenn den Kindern in der Schule der Putz von der Decke bröckelt?“, fragt er. Die Sanierung von Schulen ist zwar nicht Aufgabe des Landes, aber eine Demonstration ist vermutlich nicht der richtige Ort für feine Differenzierungen. Der Applaus der Demonstranten ist Gröger sicher. [gallery columns="6" link="file" ids="35094,35097,35099,35098,35096,35095"] „Verantwortungslos“ – so nennt Niedersachsens DGB-Vorsitzender Mehrdad Payandeh die Bildungspolitik der Landesregierung. Er hält es für unverantwortlich, dass mit dem einzigen Kapital des Landes, den Kindern, so fahrlässig umgegangen werde. „Wir haben die Schnauze voll, dass über gute Bildung nur geredet wird“, ruft Payandeh. Laura Pooth, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), wirft der Politik in ihrer Rede vor, eine „irrsinnige Sparpolitik“ auf dem Rücken der Lehrer zu betreiben. Jetzt müsse geklotzt und nicht gekleckert werden, und das bedeute: A13 für alle Lehrer an Grund-, Haupt- und Realschulen. Das Festhalten der Politik an der schwarzen Null hält Pooth für volkswirtschaftlichen Unsinn, wenn auf der anderen Seite die Bildung den Bach runtergehe. „Die Bildungsrepublik Deutschland ist krank. Diagnose: Mangelfinanzierung“, ruft Pooth.
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Ein paar Meter weiter im Landtag bekommen Pooth und die anderen Demonstranten derweil fraktionsübergreifendes Verständnis – natürlich in leichten Abstufungen, je nachdem, ob man mit einem Vertreter der Landesregierung oder der Opposition spricht. „Man kann beim Vergleich der Gehälter verstehen, dass es ein Ungerechtigkeitsgefühl gibt“, sagt CDU-Fraktionsvize Mareike Wulf im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Gleichzeitig gibt sie aber zu bedenken, dass eine Angleichung der Gehälter nicht banal sei. „Wir müssen zunächst prüfen, ob es rechtlich überhaupt möglich ist und was es kostet. Da stehen 200 Millionen Euro im Raum - plus Pensionsansprüche plus mehr Lehrer in der Zukunft. Ganz so einfach ist die Lage dann doch nicht.“ Am Argument, die Gehaltsunterschiede seien ein Nachteil im Wettbewerb zwischen den Bundesländern, meldet Wulf Zweifel an. Sie schlägt vor, einmal zu prüfen, wie der Arbeitsmarkt bei Lehrern überhaupt funktioniert. Zum einen betreffe es vor allem frisch ausgebildete Lehrer, die noch problemlos in ein anderes Bundesland wechseln können. Zum anderen realisierten sich Arbeitsplätze sehr viel lokaler. „Die Menschen sind eben auch verwurzelt. Und wer sich die Besoldungsstruktur einmal objektiv ansieht, der stellt fest: ganz so groß sind die Unterschiede dann doch nicht“, sagt Wulf. https://soundcloud.com/user-385595761/so-reagiert-die-politik-auf-die-lehrer-demo Der SPD-Politiker Stefan Politze meint derweil, die GEW mache zu Recht darauf aufmerksam, dass es Verwerfungen bei der Belastung und Bezahlung von Lehrern gebe. Die Angleichung der Gehälter sei ein berechtigtes Ansinnen. Auf die Nachfrage, ob er denn dann für die Angleichung der Gehälter sei, bleibt Politze vorsichtig: „Ich bin auf jeden Fall, dafür, dass wir es untersuchen.“ Auch Kultusminister Grant Hendrik Tonne weist noch einmal auf die 200 Millionen Euro hin, die eine Angleichung der Gehälter kosten würde. Pooth, die sich nach der Demonstration noch mit Tonne traf, dürfte diesem Argument widersprochen haben. Sie meint: Wer 100 Millionen Euro für die Schuldentilgung hat, der kann auch 200 Millionen Euro für eine bessere Bezahlung der Lehrer locker machen.
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Die Opposition ist beim Thema Geld ohnehin forscher unterwegs. Die Bildungspolitikerin der Grünen, Julia Hamburg, ist irritiert. Im Wahlkampf sei noch eine A13-Besoldung für alle versprochen worden und jetzt liefere die Große Koalition nicht. „Und das, obwohl alle wissen, dass das kommen muss. Man muss sich dabei gar nicht in die Tasche lügen: Bei einer Klage würden die Lehrer gewinnen, weil sie nach der neuen Ausbildung ein Anrecht darauf haben, besser bezahlt zu werden“, erklärt Hamburg im Gespräch mit dem Rundblick. Es sei ein finanzieller Kraftakt, aber es sei eben auch an der Zeit, das Thema anzugehen. Auch der FDP-Bildungspolitiker Björn Försterling meint, man dürfe im Wettbewerb mit anderen Bundesländern nicht ins Hintertreffen geraten. „Wenn man die Unterrichtsversorgung in Niedersachsen verbessern will, muss man auch besser bezahlen.“ Im Streit um die Arbeitszeit darf man derweil weiter gespannt sein, wann die Ergebnisse der Arbeitszeitkommission vorliegen werden. Ob „im Herbst“ (Tonne), „im Oktober“ (Hamburg) oder „im November“ (Politze): der Lackmustest für die Politik beginnt danach. „Wir brauchen zunächst die Ergebnisse der Kommission, um festzustellen: Wo sind Unwuchten, wie muss man die Arbeitszeit anpassen?“ sagt Mareike Wulf, während Björn Försterling seine Zweifel hat. Die Ergebnisse seien bisher immer wieder verschleppt worden. „Entweder werden keine Ergebnisse erzielt oder die Landesregierung wird Ergebnisse nicht umsetzen“, befürchtet der FDP-Politiker. Dabei sei eine neue Arbeitszeitverordnung dringend erforderlich. „Gerade die über 55-jährigen Lehrer müssen entlastet werden. Wenn wir erreichen, dass nicht mehr neun von zehn Lehrern frühzeitig in Pension gehen, dann haben wir wirklich ein Mittel, die Unterrichtsversorgung nachhaltig zu verbessern.“ Das könnte allerdings noch dauern. Ein 62-Jähriger Lehrer auf der GEW-Bühne befürchtet auf der Demonstration, dass er und seine Altersgenossen von möglichen Verbesserungen nicht mehr profitieren werden. In der Bildungspolitik dauert es eben manchmal ein bisschen länger. (MB.)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #161.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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