Bewegen sich Politik und Wirtschaft in unterschiedliche Richtungen? Wer dem Präsidenten des Verbands Gesamtmetall, Rainer Dulger, zuhört, kann diesen Eindruck gewinnen. Dulger wurde in Hannover gerade für zwei weitere Jahre zum Präsidenten des Dachverbands gewählt. Jedes Jahr richtet ein anderer Mitgliedsverband die Mitgliedersammlung aus. In diesem Jahr fand sie zum ersten Mal nach 2003 wieder in Hannover statt. Dabei wurde auch das Präsidium im Amt bestätigt. Dulger sprach von Kontinuität, die heute ein rares Gut sei. Von der Politik wünscht sich Dulger nicht nur Kontinuität, sondern auch Mut zu Veränderungen – allerdings in die richtige Richtung. Und das ist bei der Großen Koalition seiner Meinung nach teilweise nicht der Fall. „Einige Punkte im Koalitionsvertrag erschrecken uns“, sagt er.

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Beispiel Befristungen: „Das Arbeitsministerium hat sich vorgenommen, die befristete Beschäftigung totzuregulieren“, meint Dulger. Es gebe zwar Bereiche, in denen Befristungen an der Tagesordnungen seien, aber nicht in der Industrie. Die meisten befristeten Beschäftigungen finde man ausgerechnet bei der öffentlichen Hand, weil man sich dort eben immer nur von Haushalt zu Haushalt weiterhangele. Deshalb wolle sich ausgerechnet der Staat von der Regelung ausnehmen. „Dort wird argumentiert, als ob es keinen nächsten Haushalt gebe – so einen Unsinn habe ich schon lange nicht mehr gehört“, ärgert sich Dulger und sagt, dass man über die Pläne ziemlich „angefressen“ sei. In der Industrie seien nicht einmal vier Prozent der Beschäftigten befristet eingestellt, im öffentlichen Dienst liege die Zahl bei sieben Prozent, bei Nichtregierungsorganisationen bei 15 und in Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen bei 37 Prozent. Unverständlich sei deshalb, warum die künftigen Einschränkungen ausgerechnet für die öffentliche Hand nicht gelten sollen. „Der Staat sollte nur noch das vorschreiben, woran er sich auch selbst hält“, fordert der Gesamtmetall-Präsident.

Beispiel Arbeitszeit: Die Regelungen einer „Tagesarbeitszeit“ stammten noch aus der Zeit von Wählscheibe und Telex. „Diese Zeit ist nun einmal schon sehr lange vorbei“, so Dulger. Die Anforderungen seien heute aber andere. Mitarbeiter würden in seinem Unternehmen jederzeit die Möglichkeit bekommen, am Nachmittag zum Beispiel das Kind aus der Kita zu holen. Wenn sie dann aber abends bis 23 Uhr zum Beispiel einen Bericht auf dem Notebook beenden würden, kollidiere das mit der Ruhezeit, weil sie dann um 08.30 Uhr am nächsten Morgen nicht wieder zur Arbeit erscheinen könnten. „Das sind Regelungen aus einer anderen Zeit. Das ist heute so nicht mehr anwendbar“, meint Dulger. Der Gesetzgeber sollte lediglich einen groben Rahmen und eine Wochenarbeitszeit vorgeben, wie sie in der Europäischen Union schon längst Standard sei.

Rückkehr aus der Teilzeit: „Die Regierung dreht am völlig falschen Rad“, meint Dulger in Bezug auf die Pläne von Union und SPD, den Arbeitnehmern ein Recht auf Rückkehr aus Teilzeit- in Vollzeitarbeit zu ermöglichen. Das betreffe vor allem junge Mütter. „In meinem Unternehmen begrüßen wir sehr, wenn Mitarbeiter Familien gründen und wir freuen uns, wenn die Mütter zurück ins Unternehmen kommen“, so Dulger. Die Rückkehr in die Vollzeit scheitere aber weder am Geld, noch an Möglichkeiten wie Home-Office oder an flexibler Arbeitszeit, sondern an fehlenden Kita-Plätzen. Das sei das größte Problem, das die Politik lösen sollte.

Die Realitätsferne ist für Dulger auch eine zentrale Ursache für die Umfragenlage der SPD, um die er sich große Sorgen macht. „Ich bedauere sehr die schlechten Ergebnisse. Wir brauchen eine starke Sozialdemokratie. Ich kann mir das Land ohne eine starke SPD gar nicht vorstellen.“ Die Pläne der Partei seien allerdings an der eigenen Klientel vollkommen vorbeigegangen. „Der SPD-Stammwähler, der bei mir als Metallfacharbeiter arbeitet, geht mit einem Durchschnittsgehalt von 63.000 Euro brutto im Jahr nach Hause. Der sitzt mitten in der Schulz-Steuerreform für Reiche und merkt dann schnell: Das ist ja gar keine Steuer für Reiche, die betrifft ja mich.“

Für einen Sozialdemokraten hat Dulger allerdings viel Lob mitgebracht. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sei der einzige SPD-Politiker gewesen, der damals gegenüber der Bundesregierung die Initiative für eine Entwicklungs- und Forschungsförderung aus Steuermitteln offen unterstützt habe – eine Idee aus Niedersachsen, die es inzwischen in den Koalitionsvertrag der Großen Koalition geschafft habe. Die Idee war, dass kleine und mittlere Unternehmen zehn Prozent der Personalaufwendungen im Bereich Forschung und Entwicklung direkt mit der Steuer verrechnen können. Es werde Zeit, das umzusetzen, meint auch Wolfgang Niemsch, Präsident von Niedersachsenmetall. Schließlich sei Deutschland bei dieser Art der Forschungsförderung eine Enklave. „Unsere Nachbarn sind alle schon längst in eine solche Förderung eingestiegen.“ Und wann geht es los? Da wird Rainer Dulger wieder leicht skeptisch: vielleicht stehe es im Koalitionsvertrag zu weit hinten. „Wer weiß schon, bis zu welcher Seite dieser Koalitionsvertrag abgearbeitet wird?“ (MB.)