Es wird immer komplizierter auszumachen, wer auf der Seite der Guten steht. Wer bisher dachte, er wäre ganz gut aufgestellt, findet sich ratz-fatz auf der Seite der Dauerempörten, der Besserwisser und Moralpolizei einsortiert. Bisher dachte ich auch, ich wäre ganz gut aufgestellt: Ich fahre Fahrrad, halte Tofu-Geschnetzeltes für besser als seinen Ruf und trenne meinen Müll. Seit ich beim Rundblick für Gesundheit und Soziales zuständig bin, habe ich noch eine Schippe draufgelegt: Ich gehe regelmäßig zum Yoga und ermahne Leute, nett zu sich selbst zu sein und auch mal zu Hause zu bleiben, wenn sie von Husten geschüttelt werden.
Aber es gibt Momente, da merke ich, dass die Latte höher hängt: Zum Beispiel, wenn eine Pressemitteilung vom Sozialministerium kommt. „Schon häufig habe ich auf die Gesundheitsrisiken des Trinkens hingewiesen“, schrieb Andreas Philippi neulich. Ja, das stimmt. Nachdrücklich setzt sich der Gesundheitsminister für ein Verbot des „Begleiteten Trinkens“ ein, was in der Tat ein fürchterlicher Begriff ist. Dann denke ich jedes Mal kleinlaut an meine ersten zwei Gläser Wein. Es war ein schöner Sommerabend mit Onkel und Tanten, der Wein war süß und erst, als ich aufstand, bemerkte ich, dass etwas anders war als sonst. Ehrlich gesagt bin ich heute noch dankbar, dass ich diese Erfahrung mit Menschen gemacht habe, die es gut mit mir meinten. Die meine Situation niemals ausgenutzt hätten und mich sicher nach Hause brachten.

Natürlich verstehe ich, was Andreas Philippi meint: Dass Kinder nicht lernen sollen, Alkoholkonsum sei ein Gradmesser fürs Erwachsensein oder für den Erfolg eines Abends. Aber es fühlt sich nicht gut an, plötzlich auf der Seite der schlechten Vorbilder zu stehen - wie wahrscheinlich die meisten Menschen in Niedersachsen und im größeren Teil der Welt. Bei den schönsten Ereignissen meines Lebens gab es Alkohol. Alkohol ist unfassbar eng mit fast allem verbunden, was mir lieb ist. Und er führt unfassbar oft dazu, dass Menschen verlieren, was ihnen lieb ist: die Kontrolle über sich selbst, die Freiheit zu entscheiden, die Achtung ihrer Liebsten. Jeder Zehnte hat ein Suchtproblem, sagen Fachleute. Warum ich Ihnen das erzähle? Am heutigen Donnerstag ist der „Aktionstag Suchtberatung“. An dieser Stelle: Respekt für die 75 Suchtberatungsstellen in Niedersachsen, die Überlebenshilfe leisten in diesem seltsamen Minenfeld aus widersprüchlichen Erwartungen!
Minenfelder (zumindest im übertragenen Sinn) gibt es noch mehr in Niedersachsen:
Ich wünsche Ihnen einen Donnerstag auf der richtigen Seite!
Ihre Anne Beelte-Altwig


