11. Apr. 2023 · 
Inneres

Aufregung um Friedensappell: Zu große Moskau-Nähe der SPD?

Ein sogenannter „Friedensappell“, der am Gründonnerstag in den Madsack-Blättern „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ und „Neue Presse“ als Anzeige abgedruckt war, hat eine heftige landespolitische Kontroverse ausgelöst. 139 Personen des öffentlichen Lebens aus der Region Hannover, darunter viele Sozialdemokraten, einige Mitglieder der Linken und mehrere aktive und ehemalige Gewerkschafter, haben den Aufruf unterzeichnet. Das ist Teil einer bundesweiten Aktion, für die der Historiker und Sohn des früheren Kanzlers Willy Brandt, Peter Brandt, als Ideengeber und Mit-Autor steht.

Foto: Aufnahmen aus der HAZ vom Gründonnerstag

In Niedersachsen reagierten vor allem FDP und CDU ausgesprochen kritisch. Auch aus der SPD kamen distanzierende Bewertungen. Der FDP-Landesvorsitzende Konstantin Kuhle spitzte seine Vorwürfe zu: „Offenbar sind die Sozialdemokraten in ihrer Russland-Romantik derart schmerzbefreit, dass selbst der Angriffskrieg gegen die Ukraine sie nicht von der Verbreitung gefährlicher Propaganda-Narrative aus dem Kreml abbringt.“

Unterzeichner fordern zum Waffenstillstand auf

Der Aufruf „Frieden schaffen“ fordert einen „Waffenstillstand jetzt“ und liefert folgende Zustandsbeschreibung: „Aus dem Krieg ist ein blutiger Stellungskrieg geworden, bei dem es nur Verlierer gibt. Ein großer Teil unserer Bürger will nicht, dass es zu einer immer weiteren Gewaltspirale ohne Ende kommt. Statt der Dominanz des Militärs brauchen wir die Sprache der Diplomatie und des Friedens.“


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Dann folgt ein Lob für Willy Brandts Entspannungspolitik, die „nicht überholt“ sei – und eine Aufforderung an Kanzler Olaf Scholz, gemeinsam mit Frankreich die Länder Brasilien, China, Indien und Indonesien „für eine Vermittlung zu gewinnen, um schnell einen Waffenstillstand zu erreichen“. Frieden könne „nur auf der Grundlage des Völkerrechts und auch nur mit Russland geschaffen werden“.



Zu den Unterzeichnern gehören die früheren Landesminister Wolfgang Jüttner (Umwelt), Heidi Merk (Soziales) und Peter-Jürgen Schneider (Finanzen), der Soziologe Oskar Negt und Alt-Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg, die einstigen Gewerkschaftsführer Heinz-Hermann Witte (DGB) und Eberhard Brandt (GEW), der Ökonom Arno Brandt und der Alt-Landrat Tjark Bartels.

Als Organisatoren der Unterstützer-Anwerbung waren der ehemalige IG-Metall Bezirksleiter Hartmut Meine und die früheren IG-Metall-Funktionsträger Helga und Reinhard Schwitzer aktiv geworden. Wie Reinhard Schwitzer berichtet, hatte es einige Mühe gekostet, die Anzeige beim Madsack-Verlag durchzusetzen. Das sei aber nicht inhaltlich begründet worden.

Anzeige wurde mit Käßmann-Interview kombiniert

Was seit Ostern einigen Wirbel verursacht, ist die Kombination der Anzeige mit einem ganzseitigen Interview in der HAZ, in dem die frühere Landesbischöfin Margot Käßmann ausführlich auf den „Ostermarsch“ am Sonnabend in Hannover hinweisen und indirekt dafür werben konnte. Darin sagte sie: „Wir Deutsche sollten keine Waffen liefern, weil wir sonst nach und nach selbst Kriegspartei werden.“


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Der Mitunterzeichner Jüttner sagte auf Rundblick-Anfrage, Käßmann argumentiere als Pazifistin – und stehe damit eben nicht für die meisten der anderen Unterzeichner. Er selbst sei kein Pazifist und meint, die bereits geschehenen Waffenlieferungen an die Ukraine seien richtig gewesen. Jetzt aber sei ein Punkt erreicht, an dem die Diplomatie wirken müsse.

Der Kern der Unterzeichner sei „ein Kreis älterer Sozialdemokraten“ – und er lege Wert auf die Feststellung, dass im Aufruf von einem „russischen Angriffskrieg“ die Rede sei und die Politik von Kanzler Scholz mit keinem Wort kritisiert werde. Dass auch einstige DKP-Leute mitmachen, zeige nun, wie weit diese Gruppe von der Politik Putins schon entfernt sei. Mitunterzeichner ist ebenso der frühere SPD-Landesgeschäftsführer und einstige russische Honorarkonsul Heino Wiese, der lange Zeit einer der engsten Vertrauten von Altkanzler Gerhard Schröder war.

Tonne: Friedensappell muss sich an Putin richten

SPD-Landtagsfraktionschef Grant Hendrik Tonne sagte, Friedensappelle seien richtig, sie müssten sich aber „an den Aggressor Putin richten“. Er fügte mahnend hinzu: „Die Sorge vor Eskalation darf nicht zu einem Blankoscheck für Kriegsverbrecher führen.“

Deutlicher noch geht CDU-Fraktionschef Sebastian Lechner auf Distanz zu dem Aufruf: „Wer jetzt einseitig einen schnellen Waffenstillstand fordert, verkennt die Situation der Ukraine und ihrer Menschen. Zu viele ihrer Verwandten und Toten sind auf der falschen Seite der Frontlinie, in brutal von Russland besetzten Gebieten. Daher nützen einseitige Vorschläge nichts, schon gar nicht, wenn diese die ukrainischen Interessen nicht ausreichend berücksichtigen.“



Der FDP-Landesvorsitzende Konstantin Kuhle sagte, die Initiatoren des Aufrufs würden verkennen, dass Putin „in allererster Linie die Auslöschung der Ukraine als unabhängigen Staat bezweckt“. Dieses Ziel könne Moskau erreichen, wenn man dem Aufruf folge und jetzt sofort keine weiteren Waffen mehr an die Ukraine liefere. In der SPD herrsche „weiterhin jene naive Russland-Romantik, die Deutschland in die Abhängigkeit von russischem Gas geführt hat“. Die SPD müsse jetzt endlich „ihre Russland-Komplexe aufarbeiten“.

Dieser Artikel erschien am 12.4.2023 in Ausgabe #066.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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