„Fridays for Future“: Helfen die Demos dem Klimaschutz auf die Sprünge?
Seit Monaten ziehen freitags Schüler auf die Straße und demonstrieren für einen besseren Klimaschutz. Die Politiker – auch in Deutschland – zeigen sich beeindruckt. An diesem Freitag ist ein Höhepunkt dieser Veranstaltungsreihe. Die Hoffnung ist groß, dass die Politik gleichzeitig wegweisende Beschlüsse fasst. Aber sind die Freitagsdemonstrationen für den angestrebten Zweck überhaupt nützlich? Die Rundblick-Redaktion streitet darüber in einem Pro und Contra.
PRO: Viele Jugendliche haben ihr verbindendes Thema gefunden und es erfolgreich und langfristig auf der Tagesordnung verankert. Schon jetzt hat die Bewegung zu einem Nachdenken in der Gesellschaft darüber geführt, wie wir unser Leben nachhaltiger gestalten können, meint Martin Brüning.
Interessiert sich unsere Jugend eigentlich nur für Smartphones und Klamotten? Diese Frage wurde in den vergangenen Jahren immer wieder gestellt, gerne auch von ehemaligen 68ern, die sich häufig über das geringe politische Interesse bei den eigenen Kindern und Enkeln wunderten. Der Vorwurf, der in der Frage mitschwang, war allerdings schon vor den „Fridays for Future“-Demonstrationen nicht wirklich gerechtfertigt. Jugendliche nahmen durchaus wahr, unter welchen problematischen Umständen Kleidung teilweise produziert wird und dass es beim Klimaschutz nicht wirklich voranging, auch wenn eine vermeintliche Klimakanzlerin samt Umweltminister und Funktionsjacke nördlich des Polarkreises ernsthaft nickend das Schmelzen der Gletscher begutachtete. Alles für die Show. Die Probleme hatten die Jugendlichen realisiert, es fehlte allein der Auslöser, um die unterschwellige Unzufriedenheit in Aktion umzuwandeln. Man kann über die teilweise peinliche Überhöhung der Schwedin Greta Thunberg, die einem ob des Rummels um ihre Person fast leidtun mag, ebenso streiten wie über die Schulpflicht am Freitag, aber eines lässt sich nicht wegdiskutieren: Teile der deutschen Jugendlichen haben ihr verbindendes Thema gefunden und es erfolgreich auf die Straße gebracht. In Zeiten, in denen im Normalfall nicht nur jede Woche, sondern jeden Tag eine neue Sau durch die medialen Dörfer getrieben wird, haben Sie den Klimaschutz auf der Tagesordnung von Politik und Gesellschaft fest verankert.
Die Argumente der Kritiker, die sich darüber wundern, dass deutsche Wohlstandskinder demonstrieren, während in Afrika Kinder häufig gar keine Schule haben, in die sie Freitags gehen könnten und zudem vom Klimawandel viel stärker betroffen seien, laufen ins Leere. Soll der eigene Wohlstand ein Argument dafür sein, sich nicht für eine Zukunft nach eigenen Vorstellungen einzusetzen? Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, den es nach eigenen Worten „fassungslos macht, dass Schulschwänzen heiliggesprochen“ werde, wirkt auf einmal wieder wie der altkluge Pennäler mit Aktenkoffer und geliehenem Mercedes, der er einmal gewesen ist. Und auch die Berechnung, nach der ein deutsches Klimaschutz-Engagement im eigenen Land ohnehin überflüssig ist, weil in China gleichzeitig ein Vielfaches an CO2 erzeugt wird und Deutschland nur einen winzigen Teil der weltweiten Emissionen ausmacht, ist wenig überzeugend. Denn sie beantwortet nicht die Frage, wie wir eigentlich leben wollen.
Genau das ist die wahre Qualität der „Fridays for future“-Bewegung. Es geht nicht allein um Emissionshandel oder CO2-Steuer, Kohleausstieg 2030 oder 2038 und die Höhe von Abwrackprämien für Ölheizungen. Die Debatte, die durch die Bewegung angestoßen wurde, geht weit über den Klimaschutz hinaus. Schon jetzt hat ein Nachdenken darüber eingesetzt, wie wir eigentlich essen, wie wir uns fortbewegen und wie nachhaltig wir im Alltag leben. Auch wer seine Kinder am frühen Morgen mit dem SUV zur Schule fährt, ahnt im Inneren, dass unser Lebensmodell, dass sich in den vergangenen 30 Jahren nicht nur massiv beschleunigt hat, sondern auch noch mit einer Produkt-Vermassung und der entsprechenden Vermüllung unseres Lebens einherging, möglicherweise nicht mehr das richtige für unsere Kinder in 20 Jahren sein könnte. Das muss nicht zu einem sofortigen Um- und Ausstieg aus dem eigenen Lebenswandel führen. Aber es ist ein kleiner Stein ins Wasser der Wohlstandsgesellschaft geworfen worden, der zu großen Kreisen auf der Oberfläche führen kann.
Die Debatte, die durch die Bewegung angestoßen wurde, geht weit über den Klimaschutz hinaus. Schon jetzt hat ein Nachdenken darüber eingesetzt, wie wir eigentlich essen, wie wir uns fortbewegen und wie nachhaltig wir im Alltag leben.
Die Befürchtung, dass die Bewegung eine Spaltung der Gesellschaft verstärken könnte, ist dabei nicht von der Hand zu weisen. Schon jetzt ist auf der einen Seite ein Juste Milieu, vor allem in den Städten, zu beobachten, dass sich auch gerne ein wenig in der eigenen Progressivität sonnt. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die nur schwer auf das Auto verzichten können und deren Existenz vielleicht auch noch von der industriellen Fertigung abhängt, die immer noch auf die Nutzung fossiler Brennstoffe angewiesen ist. Es ist nicht Aufgabe der Demonstranten, sondern der Politik, hier zu sinnvollen Kompromissen zu kommen. Es ist auch nicht der einzige Riss, der durch die Gesellschaft geht. In einer älter werdenden Gesellschaft steigt naturgemäß der Anteil derer, die es am liebsten hätte, dass alles so bleibt, wie es ist. Der Kampf der Generationen entzündet sich nicht wie von manchen erwartet am Thema Rente, sondern an der Frage, wie wir unser Leben nachhaltiger gestalten können.
Auf dieser Welt, in diesem Land, in diesem Leben wird niemals etwas so bleiben, wie es ist. Bei „Fridays for Future“ geht es um Weichenstellungen, die in unserem Einfluss liegen. Was für ein gesellschaftliches Signal sollte es sein, unseren Kindern das Recht und die Möglichkeit auf diesen regelmäßigen Hinweis abzusprechen?
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CONTRA: Für das Klima regelmäßig auf die Straße zu gehen ist weder mutig noch besonders originell. Tatsächlich können solche politischen Aktionen Verhaltensweisen fördern, die gegenwärtig gerade nicht gestärkt werden sollten, meint Klaus Wallbaum.
Nein, der Klimaschutz dürfte es nicht als „großen Erfolg“ verbuchen können, wenn heute bei den bundes-, ja europaweiten „Fridays for Future“-Demonstrationen eine Rekordbeteiligung festgestellt werden sollte. Denn der Sinn und Zweck dieser Kundgebungen, die Verantwortlichen für ein bestimmtes, von ihnen unterschätztes Thema wach zu rütteln, ist doch längst geschehen. Keine Partei kommt mehr ohne klare Positionen zum Schutz des Klimas aus (wenn man die Ewiggestrigen mal ausklammert), kaum eine politische Diskussion dreht sich nicht um dieses Thema, die Zeitungen, Fernseh- und Rundfunksendungen sind voll davon. Das führt zur tieferen Frage: Welchen Sinn haben überhaupt regelmäßige Demonstrationen, was will man damit erreichen? Braucht man wirklich immer mehr davon, weil man fürchtet, sonst könne die Politik ihr Interesse wieder verlieren?
In einem Umfeld, das geprägt ist von Gleichgesinnten, drohen stets die Radikalsten und Lautesten den Ton zu bestimmen.
Vor 30 Jahren starteten die Unzufriedenen in der DDR, angeführt von der Bürgerbewegung, die Montagsdemonstrationen in Leipzig und anderen Städten. Es wurden immer mehr Teilnehmer, und es gelang den Kirchen und Bürgergruppen als Veranstaltern, die Friedlichkeit zu sichern. Ohne diese Massenkundgebungen wäre das Regime in der DDR vermutlich nicht eingeknickt und hätte resigniert. Gern treten in diesen Wochen und Monaten Rechtspopulisten auf, die an das Erbe von 1989 anknüpfen wollen und den Eindruck vermitteln, mit Demonstrationen könne man erneut eine bürgerferne, abgehobene politische Elite davonjagen. Welch zynischer und demokratieverachtender Vergleich! Zugegeben: Pegida-Veranstaltungen und ähnliche sind meilenweit entfernt von den „Fridays for Future“-Demonstrationen – sowohl mit Blick auf die Ziele wie auch mit Blick auf die Protestformen und die Umgangsformen. Trotzdem sind auch die jungen Klimaschützer, die Woche für Woche auf die Straße ziehen, einer ähnlichen Versuchung ausgesetzt wie die treuen Pegida-Teilnehmer: In einem Umfeld, das geprägt ist von Gleichgesinnten, drohen stets die Radikalsten und Lautesten den Ton zu bestimmen. Eine Radikalisierung könnte die Folge sein, der Ruf nach Kompromisslosigkeit kann dominant werden.
So sinnvoll Demonstrationen und Kundgebungen sind, um immer mehr Menschen für eine politische Idee zu gewinnen und einen Druck aufrecht zu erhalten, so riskant sind sie auch, wenn es um die Vereinfachung und Zuspitzung geht. In den Feuilletons der deutschen Zeitungen wird bereits über die Grundfrage diskutiert, ob das demokratische System mit seinen üblichen Spielregeln von Interessensbekundung und -ausgleich überhaupt geeignet sein kann, ein so globales und grundlegendes Problem wie den Klimawandel zu lösen. Ist nicht der Wert des Klimaschutzes als Allgemeininteresse derart überwölbend, dass alle anderen Interessen (soziale Regeln in bisher von der Kohle geprägten Regionen, maßvoller und geplanter Umbau der Autoproduktion, nur schrittweise Anpassung neuer Energieformen) dahinter verblassen, also geringer gewertet werden müssten? Wenn man das bejaht, und die Versuchung dazu dürfte bei den Teilnehmern von Klimaschutz-Demonstrationen groß sein, dann muss man über die Systemänderung nachdenken. Kurz gesagt: Dann müsste man eine – vorübergehende – Öko-Diktatur wohl für sinnvoller halten als die parlamentarische Demokratie nach herkömmlichem Muster. Auf der ganz rechten Seite, bei den Leugnern der Klimakrise, dürfte man für solche Überlegungen lebhaften Beifall finden, halten dort doch ganz viele Menschen das herrschende politische System sowieso für gescheitert.
Regelmäßige Demonstrationen sind gut und richtig, sofern sie einen Anstoß liefern für die Entscheidungsträger und für ganz viele bisher unpolitische Menschen, die die Brisanz eines Problems noch nicht erkannt haben. Man möchte behaupten: In Deutschland ist das nicht mehr nötig, die politische Sensibilität ist erreicht. Und jene, die den Klimaschutz für Kokolores halten, wird man mit weiteren Kundgebungen auch nicht mehr beeindrucken. Die Gesellschaft braucht vielmehr etwas anderes, nämlich einen organisierten Dialog zwischen denen, die den Klimaschutz vorantreiben, und denen, die für dieses Ziel Einschränkungen in Kauf nehmen müssen. Es muss das Gespräch geben über das richtige „Wie“ der nötigen Schritte, über Zeitabläufe und Zielvorstellungen. Das ist die klassische Aufgabe des Parlamentes, aber nicht nur, sondern auch der gesamten Gesellschaft. Die Sorge ist: Wenn es nur um die großen Bekenntnisse geht, wenn sich die „Fridays for Future“-Teilnehmer nur gegenseitig versichern, wie gut und richtig sie doch im Grunde liegen, wird man dem Interessensausgleich nicht näher kommen, sondern ihn womöglich eher noch erschweren.