Fraktionen wollen keine „Lex AfD“ im Landtag
Je näher die Große Koalition aus SPD und CDU in Niedersachsen rückt, desto wichtiger wird eine zentrale Frage: Wie kann man sicherstellen, dass die drei kleinen Fraktionen mit ihren zusammen 32 Mitgliedern gegenüber der großen Regierungsmehrheit von 105 Abgeordneten genügend Gewicht und Einfluss in der Parlamentsarbeit bekommen? Es gibt in der Verfassung und der Geschäftsordnung mehrere Vorschriften, die angepasst werden könnten. Aber ist wirklich eine Verfassungsänderung notwendig – oder würde eine juristisch unverbindliche, sehr wohl aber ernst gemeinte Willenserklärung der beiden großen Fraktionen ausreichend sein? Eine Gefahr schwingt bei einer Gesetzesänderung immer mit: Die AfD, die sich nicht zu Unrecht als ungeliebte Fraktion empfindet, könnte sich rasch ausgegrenzt fühlen – und dagegen mobilisieren.
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Zunächst ist eine Bestimmung in der Geschäftsordnung relevant. Laut Paragraph 27 können bisher mindestens 30 Abgeordnete durch ihr Veto verhindern, dass im Parlament über den Antrag einer Fraktion oder einer Abgeordnetengruppe sofort abgestimmt wird. Diese 30 Abgeordneten können damit dann eine Beratung des Antrags im Fachausschuss durchsetzen. Nun haben Grüne und FDP allein nur 23 stimmen, sie bräuchten also die Unterstützung der unwillkommenen AfD, um sich gegen eine geschlossene SPD/CDU-Weigerung zu behaupten. Zwei Wege sind nun denkbar: Entweder in der Geschäftsordnung wird das Quorum von 30 auf 20 Stimmen abgesenkt, oder aber SPD und CDU verpflichten sich in einer förmlichen Erklärung, jeden gemeinsamen Antrag zur Ausschussüberweisung von FDP und Grünen zu unterstützen.
Schwieriger werden die Fragen, die in der Landesverfassung geregelt sind – denn diese ist nur mit Zweidrittelmehrheit zu ändern, und jede solche Änderung, die von einem Wahlergebnis ausgelöst wurde, hätte ein Geschmäckle. Die Verfassungsregeln sind sehr strikt. Für den Antrag beispielsweise, einen Abgeordneten „wegen gewinnsüchtigem Missbrauchs“ vor dem Staatsgerichtshof anzuklagen, sind 46 Abgeordnete nötig, also ein Drittel des Parlaments. Davon ist die Opposition weit entfernt. Die Minderheit des Landtags, die laut Artikel 24 zu einem bestimmten Vorgang von der Regierung die Akten vorgelegt bekommen will, ist auf ein Fünftel festgelegt – das sind 28 Abgeordnete. Da Grüne und FDP nur auf 23 kommen, bräuchten sie die Hilfe der AfD, wenn sie das verlangen wollten. Würde man nun mit Zweidrittelmehrheit die Landesverfassung ändern und das „Fünftel“ in „Sechstel“ ändern, dann liegt das Quorum bei 23 Abgeordneten, also genau die Anzahl von FDP- und Grünen-Abgeordneten im Parlament.
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Aber wäre eine derartige Verfassungsänderung ethisch vertretbar, wenn sie nur das Ziel verfolgt, zwei Oppositionsparteien die Schmach zu ersparen, für ein Anliegen auf Akteneinsicht die Hilfe der dritten, ungeliebten AfD zu benötigen? Auch hier könnte eine Selbstverpflichtung von SPD und CDU den Ausweg ebnen: Immer dann, wenn Grüne und FDP ihre Oppositionsrechte bekräftigen wollen, könnten SPD und CDU dafür sorgen, dass das notwendige Quorum von 28 Stimmen auch gewährleistet wird. Das gilt im Übrigen auch für die Frage einer Normenkontrollklage vor dem Staatsgerichtshof.
Halten Grüne und FDP ein von der Großen Koalition beschlossenes Gesetz für verfassungswidrig, so können laut Artikel 54 der Landesverfassung wieder mindestens 28 Abgeordnete (ein Fünftel des Parlaments) dagegen klagen. Eine vertraglich zugesicherte Selbstverpflichtung von mindestens fünf SPD- und CDU-Abgeordneten, in solchen Fällen den Fraktionen von Grünen und FDP beizustehen und sie über die Fünftel-Hürde zu tragen, könnte eine Verfassungsänderung überflüssig machen. Auch das könnte die AfD als feindseligen Akt interpretieren, wäre aber auf jeden Fall weniger angreifbar als eine Verfassungsänderung.
Vermutlich kein Vize-Landtagspräsident der AfD
Auf jeden Fall haben SPD und CDU schon zugesichert, der arg geschwächten Opposition vielfältig zu helfen, wobei sie dabei weniger die AfD im Blick haben. Das könnte sich auch in der Zusammensetzung des Landtagspräsidiums äußern. Bisher gehören der Landtagspräsident und ein Vizepräsident der CDU an, zwei Vizepräsidenten der SPD. Weil die Ausschüsse nach dem d’Hondt-Verfahren besetzt werden, sind in dem vierköpfigen Team nur die großen Parteien vertreten. Es gibt aber Signale zumindest aus der CDU, dass man davon abweichen könnte – und je einen Vizepräsidentenposten an CDU, Grüne und FDP vergeben könnte, vielleicht auch noch einen an die SPD.
Schließlich werden die Kandidaten mit der Mehrheit der Stimmen im Landtag gewählt, und mehrere Fraktionen könnten sich auf mehrere Bewerber verständigen. Dass auch die AfD in eine solche Abmachung einbezogen würde, erscheint gegenwärtig unwahrscheinlich. Was SPD und CDU aber vermeiden wollen, heißt es, ist ein Landtagspräsidium, dessen Präsidentin und Vizepräsidenten nur aus den Reihen der Regierungsfraktionen kommen.
Bonus für die Oppositionsfraktionen könnte angehoben werden
Andere Themen kommen hinzu: Laut Artikel 23 der Verfassung können Ministerpräsident und Minister jederzeit im Landtag um das Wort bitten – und Redezeitbeschränkungen, wie sie für die Abgeordneten der Fraktionen gelten, sind für Minister nicht vorgesehen. Auch das ließe sich wohl nur durch eine freiwillige Selbstbeschränkung der Landesregierung begrenzen, denn eine Änderung dieser Verfassungsbestimmung erscheint unrealistisch. Im Abgeordnetengesetz ist außerdem festgelegt, wie hoch die Zuschüsse an Fraktionen sind (derzeit monatlich 58.343 Euro plus 2139 Euro für jeden Abgeordneten und weitere 431 Euro je Abgeordneten, sofern es eine Oppositionsfraktion ist). Der Bonus für die Oppositionsfraktionen könnte angehoben werden, damit sich Grüne, FDP und auch AfD mehr wissenschaftliche Mitarbeiter leisten können.
Ob all diese Fragen schon geklärt sind, wenn der Landtag am 14. November erstmals zusammentritt, ist unwahrscheinlich – vieles davon dürfte noch heftige interne Diskussionen auslösen. (kw)