Da viele Verbraucher ein verzerrtes Bild von den Abläufen in der Lebensmittelwirtschaft hätten, führe dies zu einer starken Verunsicherung unter den Konsumenten. Diese Position vertritt Johannes Simons, Verbraucherforscher an der Universität Bonn. Er trat vor wenigen Tagen als Referent bei einer Fachtagung zum Tierwohl an der Uni Göttingen auf.

„Der Verbraucher ist widersprüchlich“, sagt Verbraucher-Forscher Simons – Foto: nkw

Bei den Verbrauchern gebe es zwar klare Bilder, wie etwa eine gute Viehwirtschaft auszusehen habe. Gleichzeitig sei das Wissen über die Realität in einem Mastbetrieb oder Schlachthof aber sehr gering ausgeprägt. 15 Prozent der Befragten gaben in einer Studie der Uni Bonn an, gar nichts über die Bedingungen der Tierhaltung zu wissen, 70 Prozent behaupteten wenig zu wissen, nur 12 Prozent meinten, sie wüssten viel.


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Simons geht allerdings davon aus, dass nicht einmal diese 12 Prozent ein realistisches Bild hätten, sondern nur die Bilder von Tierschutzorganisationen kennen. Sachlogik spiele keine Rolle bei der Wahrnehmung und Akzeptanz der Nutztierhaltung, mahnt der Verbraucherforscher an, es gehe vielmehr um die Psycho-Logik. Der Verbraucher reagiere mit einem Verdrängungsmechanismus auf die Art der Überforderung, die sich aus seiner Unwissenheit ergebe.

Wenig Ahnung, viel Meinung: Verbraucher sind widersprüchlich

Grob gesagt herrschten bei den Verbrauchern zwei unterschiedliche Bilder von den Produktionsbedingungen in der Lebensmittelbranche vor, erklärte der Wissenschaftler. Auf der einen Seite gebe es den Museumsbauernhof: ein kleiner Betrieb, auf dem Bauern arbeiten ohne Gewinn zu erzielen, jedes Tier bekommt dort noch einen Namen. Auf der anderen Seite gibt es die Lebensmittelindustrie: groß, anonym, gewinnorientiert. Die einen sind gut, die anderen böse. Die Bösen bräuchten zudem Unmengen Medikamente, damit die Tiere überhaupt überleben könnten.


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Trotz einer großen Unwissenheit über die realen Vorgänge falle den Konsumenten aufgrund dieser Bilder die Beurteilung gleichzeitig sehr leicht. 78 Prozent der Befragten seien nämlich der Auffassung, dass der Staat bei der Tierhaltung mehr regulieren sollte — weil die Bedingungen schlecht sein müssten. Ein Großteil der Befragten würde die aktuell vorherrschenden Bedingungen aber auch weiter stillschweigend tolerieren. „Der Verbraucher ist widersprüchlich“, räumt Simons ein. „Er übt mit der einen Präferenz Druck auf die Politik aus, mit der anderen Präferenz handelt er aber am Markt ganz anders.“ Das sei ernüchternd und ärgerlich, für manche Betriebe existenzbedrohend. Immer konsistent zu handeln, sei jedoch zu anstrengend für die Menschen.

Bauern und Wissenschaft sollten aufklären

Was bedeutet das nun für Landwirtschaft und Wissenschaft? Je unkonkreter eine Befürchtung ist, desto stärker könne sie mit Schreckensszenen aufgefüllt werden, sagt Simons. „Wer keine Ahnung hat, hat keinen Rahmen für seine Ängste — und kann sich deshalb alles vorstellen.“ Jeder Tierschutz-Skandal befeuert dann erneut die Ängste und bestätigt die Verbraucher in ihren eingeübten Bildern. Wer wenig Ahnung hat, könne auch Sachargumente nicht mehr beurteilen und könne deshalb durch diese nicht mehr überzeugt werden.


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Versuchen also Bauernverbände über die Arbeit von Landwirten zu informieren, überzeuge das den unwissenden Konsumenten nur solange, bis die Tierschutzorganisation etwas anderes erzähle. Dabei genießen Verbraucher- und Tierschutzorganisationen viel Vertrauen in der Bevölkerung, fanden die Forscher der Uni Bonn heraus. Die Glaubwürdigkeit von Behörden und Ministerien, Bauernverbände und der Fleischindustrie wird dabei absteigend immer geringer eingeschätzt.

Handel und Politik reagierten auf diese Entwicklung mit einem Reputationsmanagement, sagt Simons. Verantwortungsvolles Verhalten solle damit honoriert werden. Darüber hinaus sieht Simons die Wissenschaft und den einzelnen Bauern vor Ort gefragt. Beide genössen noch mehr Ansehen als die zuvor genannten Institutionen und müssten Aufklärung betreiben.