26. März 2019 · 
Bildung

Förderschullehrer sollen allgemeinbildende Schulen bei Inklusion unterstützen

Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne will in diesem und im nächsten Jahr bei der Inklusion nachjustieren. So können ab dem kommenden Schuljahr Förderschullehrer an allen allgemeinbildenden Schulen eingestellt werden oder sich dorthin versetzen lassen. „Damit wollen wir die multiprofessionelle Zusammenarbeit in den Schulen fördern“, sagte Tonne in Hannover. Es gebe bei Versetzungen bereits eine „ordentlich hohe Zahl“ von Interessenten. Jetzt müsse jeder Einzelfall angesehen werden, ob eine Versetzung in der jeweiligen Situation möglich sei. Dabei spiele auch die Unterrichtsversorgung eine Rolle. Außerdem können sich Lehrer künftig sonderpädagogisch beraten lassen. Dazu schaut sich ein Sonderpädagoge zunächst den Unterricht der Lehrkraft an, die Beratungsbedarf angemeldet hat, um danach in einem Gespräch Hilfestellung zu geben. Im kommenden Jahr sollen darüber hinaus die mobilen Dienste weiterentwickelt werden. Ziel sei, ein landesweit vergleichbares Angebot sonderpädagogischer Unterstützung zu schaffen, so der Kultusminister.

Tonne: „Ich möchte den Gedanken des Pooling weiterentwickeln.“

Tonne denkt auch bereits über die Maßnahmen hinaus. Er hält eine Debatte über Schulbegleitungen für sinnvoll. Dabei gehe es um die Frage, ob die Ressourcen derzeit sinnvoll eingesetzt werden, oder ob man sie nicht besser den Schulen an die Hand geben sollte. Die aktuelle Regelung, wonach ein Erwachsener ein Kind begleite, sei für das Kind auch eine Etikettierung und immer wieder könne man hinterfragen, ob Kinder im Einzelfall die gesamte Zeit über eine Begleitung benötigten, oder ob eine Pool-Lösung für die Klasse eine bessere Lösung sein könnte, bei der die Begleitung auch andere Kinder unterstützen könnte. „Ich möchte den Gedanken des Pooling weiterentwickeln.“ Das sei allerdings ein sehr großes Rad, das man drehen müsste, räumte Tonne ein. Schließlich gehe es dabei nicht um Landesgelder, die Zuständigkeit liege beim Bund. Der Niedersächsische Landkreistag (NLT) teilte am Dienstag mit, die Zahl der Schulbegleiter sei nach Einführung der inklusiven Schule in Niedersachsen deutlich in die Höhe geschnellt. Im aktuellen Schuljahr seien bei den Landkreisen und der Region Hannover fast 6900 Schulbegleiter tätig, das seien 130 Prozent mehr als vor fünf Jahren. Das geht aus einer aktuellen NLT-Umfrage hervor. Für NLT-Hauptgeschäftsführer Hubert Meyer wird anhand der Zahlen deutlich, dass die Voraussetzungen für ein Gelingen der Inklusion offenbar derzeit nicht gegeben seien. Der aktuelle Einsatz von Schulbegleitern sei weder für die Kinder mit Unterstützungsbedarf noch für die anderen Schüler zielführend. Meyer forderte Kultusministerium und Landesschulbehörde auf, unverzüglich in Gespräche über eine Poolbildung für den Unterstützungsbedarf an Schulen einzutreten. https://soundcloud.com/user-385595761/scheitert-die-inklusion-die-debatte-im-landtag „Vieles ist bisher gelungen, es liegt aber auch noch viel Arbeit vor uns“, bilanzierte Tonne insgesamt die bisherige Umsetzung der Inklusion. Das Ziel, inklusive Schulen überall zum Erfolgsmodell zu machen, sei noch nicht erreicht. Die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Julia Hamburg, warnte vor einer Stagnation oder gar einem Rollback bei der Inklusion. „Die Landesregierung tut viel zu wenig dafür, dass Eltern von Kindern mit Behinderungen sich für Regelschulen entscheiden können. Die Unterstützung, das Personal und die Ausstattung kommen viel zu wenig bei den Schulen an, die derzeit die Inklusion umsetzen und gestalten. Das muss sich dringend ändern“, forderte Hamburg. Der Verband Niedersächsischer Lehrkräfte (VNL/VDR) kritisierte, die dringend gebotene Einrichtung multiprofessioneller Teams an allen Schulen geschehe noch immer zu langsam und in nicht ausreichender Anzahl. „Die richtige und überfällige Entscheidung, Förderschullehrkräfte endlich auch an Regelschulen einstellen beziehungsweise versetzen zu können, wird an den knappen Lehrerressourcen scheitern“, befürchtet der Verbandsvorsitzende Torsten Neumann. Es gebe insgesamt zu wenige Förderschullehrkräfte auf dem Markt. Der Philologenverband sieht die Umsetzung der Inklusion durch fehlende finanzielle, personelle, sächliche und räumliche Ressourcen gefährdet.
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Die Inklusionsquote steigt derweil weiter. Im vergangenen Jahr besuchten rund 64 Prozent der Schüler mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf eine allgemeinbildende Schule. Zum Vergleich: Vor fünf Jahren lag die Quote bei rund 53 Prozent. Viele Lehrer haben sich in den vergangenen Jahren für die Inklusionsaufgabe weitergebildet. Insgesamt zählte das Kultusministerium seit 2013 fast 49.000 Teilnehmer bei Inklusionsfortbildungen. Zugleich will die Landesregierung die Inklusion an Schulen im gleichen Maße wie bisher weiterfinanzieren. In der Mittelfristigen Finanzplanung sind bis zum Jahr 2022 insgesamt rund 1,9 Milliarden Euro eingeplant. „Keinesfalls ist beabsichtigt, die Ressourcen zur Weiterentwicklung der inklusiven Schule zu verringern“, heißt es in der Antwort auf eine Große Anfrage der Grünen-Fraktion im Landtag.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #058.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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