
Der eskalierende Kriegsterror der Russen in der Ukraine hat am Dienstag die Plenarsitzung des niedersächsischen Landtags überschattet. Zunächst hatte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in einer Regierungserklärung die Solidarität der Landesregierung mit den Menschen in der Ukraine unterstrichen. Er sprach von „der unverhohlenen Missachtung des Völkerrechts“, von einem „brutalen Angriffskrieg auf einen souveränen Staat“ und von „verheerendem Terror gegen die Zivilbevölkerung“. Die Antwort darauf könnten nur Waffenlieferungen und Wirtschaftssanktionen sein. „Wir wissen, wo wir stehen, und wir werden tun, was zu tun ist“, rief Weil den Abgeordneten zu. In der folgenden Aussprache gab es indes auch kritische Stimmen.

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Stefan Birkner stellte die Glaubwürdigkeit der außenpolitischen Position von Ministerpräsident Weil in Frage – und verwies auf frühere Einlassungen des SPD-Politikers. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion, Jens Nacke, sprach in Vertretung des erkrankten Fraktionsvorsitzenden Dirk Toepffer. Er forderte Konsequenzen für den Altkanzler und früheren Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, der immer noch als Aufsichtsratsmitglied in staatlichen russischen Gaskonzernen mitwirkt.
Stefan Birkner hob hervor, viele Politiker hätten zu lange die Augen vor der aggressiven Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin verschlossen. Das gelte auch für Stephan Weil, der sich noch 2020 nach dem Angriff auf den russischen Regimekritiker Alexei Nawalny gegen Sanktionen ausgesprochen habe, er habe bei der Gelegenheit sogar die USA und China in einen Topf geworfen. „Mit dieser Haltung, dass die Politik von Sanktionen in eine Sackgasse führe, haben Sie die Abhängigkeit Deutschlands von russischer Energie noch verstärkt“, betonte Birkner. Wenn Weil heute sage, er habe sich geirrt und verfolge heute eine andere Haltung, „dann ist das erklärungsbedürftig“. Der Ministerpräsident jedoch verzichte bisher darauf, seinen damaligen Irrtum und die inzwischen gekommene Einsicht nachvollziehbar zu erläutern. „Wenn das aber nicht gelingt, wie soll man Ihnen dann vertrauen, dass ihre aktuelle Position ernst gemeint und nicht nur der momentanen Situation geschuldet ist?“, fragte Birkner, direkt an den Regierungschef gerichtet.
Wenig später trat CDU-Fraktionsgeschäftsführer Jens Nacke ans Mikrophon. Er zitierte zunächst ukrainische Politiker, die sich von Deutschland mehr Unterstützung erhoffen – und fügte dann hinzu, dass er diese Haltung teile. Die russischen Oligarchen dürften sich „nirgendwo sicher sein, dass ihr Reichtum nicht verloren gehen kann“. In diesem Zusammenhang müsse es auch Konsequenzen für Altkanzler Gerhard Schröder geben: „Auch Schröder profitiert von Putin. Es ist nicht zu ertragen, dass er keinen Abstand nimmt von den Posten, die er für den russischen Staat wahrnimmt. Schröder sollte alle Funktionen bei Putin aufgeben.“ Nacke fügte hinzu, dass Schröder „kein würdiger Vertreter Deutschlands mehr ist“ und deshalb „darüber nachdenken sollte, ob er die Landesmedaille zurückgibt“. Der Altkanzler hatte diese Auszeichnung 1999 erhalten. Der CDU-Politiker ging noch einen Schritt weiter und meinte, die allzu leichtfertige Bereitschaft, der russischen Propaganda zu folgen, beschränke sich nicht auf AfD und Linkspartei – sondern „geht auch in unsere Reihen“: Die SPD-Abgeordnete Doris Schröder-Köpf habe 2017 dem russischen Magazin „Sputnik“ ein Interview gegeben – „und es gibt von ihr nach wie vor keine Distanzierung“.
In der Debatte über die Regierungserklärung gingen die SPD und Grüne nicht auf diese Vorhaltungen ein. Beim nächsten Tagesordnungspunkt aber, den Anträgen von FDP und Grünen zur Integration der Ukraine-Flüchtlinge, folgte dann doch eine Reaktion. Der SPD-Abgeordnete Ulrich Watermann trat nach vorn und erklärte, auch er zähle zu denen, die 1973 wegen Willy Brandts Friedenspolitik in die SPD eingetreten seien. Der russische Angriff auf die Ukraine habe auch bei ihm viele Gewissheiten zum Einsturz gebracht. „Ich habe jetzt damit zu tun, das alles bei mir selbst einzusortieren. Konsequentes Handeln für die Zukunft ist viel wichtiger, als in alten Zeitungsartikeln oder Protokollen nachzuschauen.“ Das war offenbar auf Birkners Angriffe in Richtung Weil gemünzt.