Reinhard Bingener, FAZ-Korrespondent in Hannover, hat bei der Vorstellung seines mit dem Kollegen Markus Wehner verfassten Buches „Die Moskau-Connection“ tief in die Seele der hannoverschen Sozialdemokratie geschaut. Wie er in einer Lesung in der Bücherei „Leuenhagen & Paris“ sagte, herrsche gerade im SPD-Bezirk Hannover ein „Mythos der Entspannungspolitik“: Mit Bezug auf Willy Brandt werde behauptet, dessen Entspannungspolitik sei die Grundlage für die deutsche Einheit und die Völkerverständigung in der Zeit danach.

„Dies ist bei näherer Betrachtung nicht zu halten“, betonte Bingener und verwies auf die zweite und die dritte Phase dieser auf Brandt berufenen Politik – diese zeichneten sich durch Geringschätzung der osteuropäischen Freiheitsbewegungen in den achtziger Jahren, eine Nähe zu den Regimen und später durch die Hoffnung auf eine friedensstiftende Wirkung der Wirtschaftskontakte aus. Bingener sagt, er spüre in der SPD immer wieder das Typische dieses Mythos: „Die Erzählung wird verkürzt, Teile werden überhöht und diese Teile werden gleichzeitig moralisiert. Das ist das Gegenteil einer historischen Aufarbeitung, die eine Analyse und faktenbasierte Bewertung der Politik erfordert.“ Dazu nutze die SPD Bilder wie den Kniefall Brandts in Warschau, die Tiefe der Betrachtung gehe aber verloren.
