2. Mai 2023 · Kultur

FAZ-Herausgeber Kohler will schärferes Vorgehen gegen Hass im Internet

Mit seinen politischen Analysen trifft FAZ-Herausgeber Berthold Kohler meistens ins Schwarze. Außerdem zählt der 61-Jährige zu den beliebtesten Kolumnisten seiner Zeitung und zu den wichtigsten konservativen Meinungsmachern des Landes. Beim „40. Zwischenahner Gespräch“ der Wohnungswirtschaft präsentierte sich der gebürtige Oberfranke darüber hinaus als aufmerksamer Beobachter aktueller Medientrends und Science-Fiction-Fan. „Mit der Künstlichen Intelligenz schaltet die digitale Revolution nochmal den Nachbrenner ein. Das überholt uns gerade“, stellte Kohler im Talk mit Moderatorin Christina von Saß fest und sagte: „KI hat einen Janus-Kopf, eine helle und eine dunkle Seite der Macht wie bei ‚Star Wars‘.“

NDR-Moderatorin Christina von Saß plaudert mit FAZ-Herausgeber Berthold Kohler beim Zwischenahner Gespräch. | Foto: Link

Von Chatbots wie etwa der Antwortmaschine ChatGPT ist der Medienmacher zwar durchaus beeindruckt und verspricht sich neue Möglichkeiten der Effizienzsteigerung. „Es ist inzwischen fast atemberaubend, wie schnell und umfassend Informationen geliefert werden“, sagte Kohler. Er warnte aber auch vor den Gefahren, die derartige KI-Systeme mit sich bringen: „Der Manipulation stehen Tür und Tor offen – und zwar in einer Art und Weise, die wir bisher noch nicht gesehen haben. Wir betreten ein neues Zeitalter der Manipulationsmöglichkeiten.“ 

Ende März hatte der AfD-Bundestagsabgeordnete Norbert Kleinwächter dadurch Aufsehen erregt, dass er mit KI-generierten Bildern gegen Flüchtlinge Stimmung machte. Als Reaktion darauf verwendete einige Tage später auch die FAZ-Redaktion den Bildgenerator „Midjourney“, um Fake-Fotos zu erstellen, die Wladimir Putin und Joe Biden in trauter Harmonie bei diversen Freizeitaktivitäten zeigen. Bei einigen Bildern lässt sich ganz eindeutig erkennen, dass es sich um eine Fälschung handelt, bei anderen Aufnahmen dagegen nicht. „Entscheidend ist deswegen, wie wir alle mit Bildern umgehen. Bilder haben eine größere suggestive Wirkung als Texte. Je unglaublicher die Dinge sind, umso genauer müssen wir hinschauen. Wir müssen einen Grundverdacht hegen und uns fragen: Kann das wahr sein?“, sagte Kohler. Sowohl die Medienkonsumenten als auch die Nachrichtenredaktionen müssten sich immer häufiger die Frage stellen, ob sie der Quelle vertrauen.  

Noch wirken KI-generierte Fotos wie dieses auf dem Instagram-Kanal eines AfD-Bundestagsabgeordneten gepostete Bild ziemlich künstlich. Doch bald schon könnten sie täuschend echt sein. | Foto: Link

Grenzenlose Gleichmütigkeit sei dagegen keine Aufgabe der Medien. „Ich sage zu meinen jungen Kollegen immer: Ihr müsst Euch nicht beschimpfen lassen. Wir müssen nicht jeden Kommentar freischalten“, erzählte Kohler. Schwere Entgleisungen bringe die FAZ, die eine „mehrstufige Kläranlage“ für Lesermeinungen eingerichtet hat, auch zur Strafanzeige. Und davon gebe es nicht wenige. „Das ist ein Sumpf voller antisemitischer und rassistischer Beleidigungen. Da ist alles dabei, was Sie sich nur vorstellen können. Das Netz ist keine Agora, die zur Mäßigung führt“, sagte der studierte Politologe. Die Mehrzahl der Hass- und Fake-Kommentare werde nachts und von einer verhältnismäßig kleinen Gruppe getätigt, die zehnmal größer erscheine als sie tatsächlich ist. „Da gibt es Kombattanten, die einfach ein gewisses Meinungsbild erzeugen wollen. Das ist nicht repräsentativ für die Gesellschaft und das kommt in Wellen. Den Tsunami an Verschwörungstheorien haben wir nach der Invasion Russlands auf der Krim erlebt“, sagte der 61-Jährige.



Kohler berichtete auch vom digitalen Wandel der Branche. „Bis zur Jahrtausendwende hatten wir ein Produkt gemacht und an eine wachsende Gruppe von Kunden verkauft. Dieses Geschäftsmodell hat im Grunde bis zum Jahr 2000 funktioniert, dann kam die mediale Revolution“, erzählte der Journalist, der 1989 in die politische FAZ-Redaktion eintrat und seit 1999 zu den vier Herausgebern der Tageszeitung gehört. Inzwischen würden die Zeitungsauflagen quer über die Branche um 5 bis 7 Prozent pro Jahr schrumpfen. Der Anzeigenmarkt, der die Zeitung früher zu zwei Dritteln finanzierte, sei eingebrochen.

Redaktionell sei das Tagesgeschäft dagegen relativ gleichgeblieben. „Unser Job hat sich nicht verändert. Wir müssen aber sehr viel mehr Kanäle mit ungefähr der gleichen Mannschaft bespielen. Früher hatten wir 400 Leute für eine Zeitung, heute sind es 420 für 40 Produkte – das meiste davon digital“, berichtete Kohler. Die gedruckte Tageszeitung werde dennoch länger leben als viele vermuten. Unbeschwert blickt er aber nicht in die Zukunft. „Was uns Sorgen machen kann und soll: Wir haben ein Auseinanderfallen der Informationsgesellschaft. Wir haben eine Informationselite und einen größer werdenden Teil der Gesellschaft, der sich gar nicht mehr informiert.“ Dies und den „Strömungsabriss“ von jungen Menschen, die bestenfalls noch als Abonnenten von Digital-Modellen zu erreichen sind, wertete Kohler als die wichtigsten Herausforderungen der Branche.

Dieser Artikel erschien am 3.5.2023 in Ausgabe #080.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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