8. Jan. 2023 · Parteien

Falscher Vorstand, fehlende Satzungsregel? Warum die AfD-Liste so stark in der Kritik steht

Die Wahl der AfD-Landesliste bei einem Sonderparteitag in Hannover ist umstritten. Es soll Verfahrensfehler gegeben haben. | Foto: Wallbaum

Das Besondere an der AfD ist ihre Zerstrittenheit. Seit Jahren schon stehen sich zwei Lager gegenüber, einige Protagonisten haben es sogar geschafft, von der einen zur anderen Seite überzulaufen. Selbst der Abschied einiger führender Politiker, beispielsweise der früheren Partei- und Fraktionsvorsitzenden Dana Guth oder des einstigen Landtagsabgeordneten Christopher Emden, führte nicht zu mehr Homogenität in der Partei. Zwar haben Guth, Emden und ihre jeweiligen Mitstreiter im Zorn der AfD den Rücken gekehrt und sind ausgetreten. Aber die zwei Lager, jetzt teilweise mit anderen Vorkämpfern, gibt es immer noch. Und der Stachel der gegenseitigen Ablehnung sitzt tief.

Wo viel Konflikte vorhanden sind, herrscht auch viel juristischer Streit. So wird der gegenwärtige, im Mai 2022 ins Amt gekommene Landesvorstand, der seine Leute Anfang Juli auch weitgehend für die Landesliste zur Landtagswahl im Herbst hatte durchsetzen können, von Teilen der AfD äußerst kritisch beäugt. Schon rund um die Wahl der Landesliste gab es kritische Hinweise und Vorwürfe, es sei gegen elementare Regeln der innerparteilichen Demokratie verstoßen worden. Wochen nach diesem Ereignis trat Emden auf und behauptete, AfD-Landesvize Ansgar Schledde, Immobilienunternehmer aus Schüttorf (Kreis Grafschaft Bentheim) habe ein geheimes Konto geführt, auf dem Geld von AfD-Mitgliedern eingesammelt worden sei. Für einen guten Listenplatz sei im Gegenzug eine Geldzahlung angefordert worden. Das sei auch ihm widerfahren, er habe aber das Angebot abgelehnt, sagte Emden. Die Staatsanwaltschaft ermittelte daraufhin, sah aber keinen Grund für eine Anklage. Das deutet darauf hin, dass eindeutige Belege für Emdens Version fehlten. Ein weiterer Vorwurf lautet, Schledde oder Vertraute hätten Geld an AfD-Mitglieder oder Delegierte gezahlt, damit sie zu den entsprechenden Parteitagen und Aufstellungsversammlungen erscheinen. Dagegen steht die Erwiderung, einige Kreisverbände hätten eben aus ihrer Kasse für die Teilnehmer von Versammlungen die Fahrt- und Verpflegungskosten erstattet, so auch Schleddes Kreisverband Ems-Vechte. Das sei aber ein normaler Vorgang.

Der Bundestagsabgeordnete Frank Rinck (links) steht beim Landesparteitag im Mai 2022 in Hannover neben Ansgar Schledde. | Foto: Wallbaum

Inzwischen liegen mehrere Beschwerden vor, die der Wahlprüfungsausschuss des Landtags im ersten Vierteljahr bearbeiten muss, eventuell mit Zeugenvernehmungen. Einer dieser Einwände stammt vom früheren FDP-Landtagsabgeordneten Marco Genthe. Die Vorwürfe lassen sich so zusammenfassen:

Die AfD lasse gar kein Delegiertensystem zu

Die niedersächsische AfD-Landessatzung sieht kein Delegiertensystem vor. Tatsächlich aber lud der Landesvorstand zu einem Delegiertentreffen für den 2. Juli zum Zwecke der Aufstellung einer Landesliste ein. Maßgeblich dafür war eine Willensbekundung, die beim Landesparteitag am 28. Mai beschlossen wurde – nämlich als Aufforderung an die Kreisverbände, für den möglichen Fall von Problemen (Corona-Ausbruch, kein Vertrag für eine ausreichend große Halle zur Mitgliederversammlung) Delegierte zur Aufstellung der Landesliste zu wählen. Nun gibt es Streit darüber, ob dieser Beschluss vom 28. Mai in Verbindung mit einem Beschluss des Landesvorstands ausreichend gewesen sein kann, bereits eine Delegiertenversammlung zur Listenaufstellung anzusteuern. Denn die eigentlich zwingende Änderung der Satzung, die ein Parteitag mit Zweidrittelmehrheit hätte beschließen müssen, fand im Vorfeld nicht statt. Allerdings war die Vorstandswahl beim Parteitag am 28. Mai von beiden Lagern noch an diesem Tag akzeptiert worden.

Außerdem beruft sich der Landesvorstand auf Paragraph 11 Absatz 6 der Landessatzung. Demnach ist der Landesparteitag befugt, „jegliche Entscheidungskompetenz an sich zu ziehen und dem Landesvorstand Weisungen zu erteilen“. Dies sei mit dem Beschluss zur Wahl von Delegierten am 28. Mai auch geschehen, heißt es. Die Landeswahlleiterin Ulrike Sachs hat hierzu bei der Überprüfung der AfD-Landesliste im August die Position eingenommen, dass der Streit über Satzungsfragen (etwa zur prinzipiellen Zulassung von Delegiertenverfahren) für das Wahlrecht nicht relevant sei – diese Konflikte müssten die Parteien selbst über ihre Schiedsgerichte austragen. Dem widerspricht der FDP-Abgeordnete Genthe und meint, die wichtigen Wahlgrundsätze seien von der AfD bei der Listenaufstellung verletzt worden. Ein „grob fehlerhaft aufgestellter Landeswahlvorschlag“ sei „für den demokratischen Gesamtcharakter der Landtagswahl von entscheidender Bedeutung“. Die Landtagswahl müsse deshalb wiederholt werden.

Delegierte aus einigen Kreisverbänden waren nicht zugegen

Es steht der Vorwurf im Raum, der Landesvorstand habe vor der Aufstellung der Landesliste am 2. Juli einige Kreisverbände außen vor gelassen und nicht beteiligt. So sollen die Verbände Wesermarsch, Rotenburg, Stade und Wolfsburg nicht vertreten gewesen sein, Osterholz und Göttingen hätten ihre Delegierten nicht rechtzeitig wählen können. Die Überprüfung der Landeswahlleiterin Ulrike Sachs hatte ergeben, dass es Einlassprotokolle und eidesstattliche Versicherungen gab, nach denen vier der sechs Kreisverbände doch vertreten gewesen seien. Wenn Göttingen und Osterholz nicht rechtzeitig Delegierte gewählt haben, sei das den Kreisverbänden anzulasten, nicht dem Landesvorstand, meinte die Landeswahlleiterin bei ihrer Bewertung.

Der Landesvorstand sei nicht rechtmäßig im Amt

Zum einen gibt es den Vorwurf, die AfD-Landesvorstandswahl am 28. Mai sei nicht ordnungsgemäß verlaufen. Denn es liege vom Parteitag kein Protokoll vor, außerdem sei die mit der Einladung verschickte Tagesordnung die Vorstandswahl nicht eindeutig genug beschrieben worden. Der nächste Vorwurf lautet, es hätten bei der Mitglieder-Vollversammlung am 28. Mai auch AfD-Mitglieder teilgenommen, die nicht in Niedersachsen, sondern in NRW wohnen. Dagegen heißt es im Landesvorstand, diese Vorhaltungen seien ausgeräumt worden. Belege für die Behauptungen fehlten. Zweifel werden auch verbreitet daran, dass der am 28. Mai gewählte neue Vorsitzende Frank Rinck und sein Vize Ansgar Schledde überhaupt berechtigt gewesen waren, sich zur Wahl zu stellen. Gegen beide gebe es Vorwürfe. Erhärtet wurde das bisher aber offensichtlich nicht. Tatsächlich verlief die Wachablösung in der AfD am 28. Mai allerdings merkwürdig. Laut Satzung hätte keine vorgezogene Neuwahl stattfinden können – dies wäre nur über Abwahl oder Rücktritt möglich gewesen.

Der damalige Landesvorsitzende Jens Kestner, der seine Mehrheiten im Verband im Mai 2022 schwinden sah, lehnte Rücktritt oder Abwahl allerdings ab, er wollte gesichtswahrend abtreten. Also verständigten sich die Lager auf eine vorgezogene Neuwahl, die jedoch von den Statuten der AfD nicht gedeckt war. Eine breite Mehrheit der Partei hatte diesen Weg akzeptiert, obwohl er formell von der Satzung nicht gedeckt ist. Die AfD-Schiedsgerichte jedoch sahen keinen Grund, die Gültigkeit der Wahl anzuzweifeln. Bei Anfechtung der Landtagswahl steht nun der Vorwurf im Raum, es habe bei der Listenaufstellung ein AfD-Landesvorstand agiert, der parteirechtlich gar nicht ordnungsgemäß ins Amt gekommen war. Auch hierzu hatte die Landeswahlleiterin bisher erklärt, es handele sich um Satzungsstreitigkeiten, die für die wahlrechtliche Beurteilung der AfD-Landesliste nicht von Belang seien.

Der Machtwechsel von Jens Kestner (rechts) zu
Frank Rinck (links) sollte reibungslos ablaufen. Doch dieses Ziel hat die niedersächsische AfD nicht wirklich erreicht. | Foto: Wallbaum
Dieser Artikel erschien am 9.1.2023 in Ausgabe #001.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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