
Wasser bedeutet zweierlei – Leben und Gefahr. Wasser in die richtigen Bahnen zu lenken sowie klug und nachhaltig zu nutzen, ist eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben Niedersachsens. Moore macht es zu Klimarettern, Städte kann es in heißen Sommern kühlen. In der Natur ist es Lebensraum und Artenretter. Die Landwirtschaft braucht das Wasser so sehr wie die Industrie. Zu viel davon zerstört jedoch Ernten und im schlimmsten Fall sogar Städte. Das Politikjournal Rundblick widmet sich in einer Artikelserie den Problemen rund um das Wasser. Heute: Grundwasserschutz
Die Reinheit unserer Gewässer liegt wohl jedem am Herzen. Zu viel Nitrat im Grundwasser ist allerdings schädlich, darüber ist man sich einig. Doch eine bestimmte Schutzvorkehrung erhitzt immer wieder die Gemüter. Bei der Ausweisung der besonders nitratbelasteten „roten Gebiete“ fühlten sich zuletzt alle Seiten über den Tisch gezogen. Die Landwirte klagten über ungerechtfertigt große Flächen, die EU-Kommission kritisierte die landeseigenen Verfahren zur Verkleinerung der Gebietskulissen – und alle monierten die mangelnde Nachvollziehbarkeit. Damit soll nun Schluss sein. Doch was muss dazu nun passieren?
Die EU-Kommission hat entschieden, dass zur Ausweisung der „roten Gebiete“ einzig und allein die Messwerte aus den Grundwasserkörpern herangezogen werden dürfen. Bei einer Eingrenzung der Gebietskulisse dürfen also keine Informationen von der Oberfläche, etwa über das Düngeverhalten der landwirtschaftlichen Betriebe, verwendet werden. Außerdem schreibt die EU nun vor, dass jeder Grundwasserkörper, in dem es auch nur eine Messstelle mit Grenzwertüberschreitung gibt, zunächst als rot zu klassifizieren ist. Erst in einem nächsten Schritt können dann die nichtbelasteten Teilflächen dieser Grundwasserkörper aus der Kulisse herausgenommen werden.
Die Herausforderung ist es nun, von den Punktwerten der Messstellen zu einer differenzierten Flächenkulisse zu gelangen. Ab 2028 sollen alle Bundesländer dazu einheitlich ein sogenanntes geostatisches Regionalisierungsverfahren nutzen. Dabei wird anhand der Informationen der Messpunkte eine mathematische Funktion gebildet und über die Fläche gelegt. Doch damit das klappt, braucht man viele Daten – viel mehr als aktuell vorhanden. Deshalb muss zunächst die Messstellendichte erhöht werden. Je mehr Messstellen, desto genauer die Funktion. Wie viele Messstellen es dazu aber braucht, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht genau sagen. Es besteht allerdings Handlungsbedarf.
Bis das Messnetz entsprechend ausgebaut wurde, gibt es zwei andere mathematische Verfahren, mit denen man derzeit vom Punkt zur Fläche gelangen kann – und mit denen ein Grundwasserkörper in verschiedene Regionen eingeteilt werden darf. Der Bund hat unter Beratung mit den Bundesländern dieses Übergangsmodell festgelegt. Die Bundesländer haben dem Bund im Februar entsprechend neue Kulissen vorgelegt. Ob die EU damit einverstanden ist, wird sich noch zeigen. Verwendet hat man dazu zwei sogenannte deterministische Verfahren. Diese funktionieren so ähnlich wie die für 2028 anvisierten geostatistischen Verfahren – nur deutlich schlichter.
Das schlichteste der beiden ist benannt nach seinem Erfinder, dem russisch-ukrainischen Mathematiker Georgiy Voronoї. Bei den Voronoi-Diagrammen wird an jedem Messpunkt einzig die Information bewertet, ob der Nitratgehalt im Grundwasser über oder unter dem Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter liegt. Liegt er darüber, ist das Gebiet rot – egal ob 51 oder 230 Milligramm gemessen worden sind. Begrenzt wird die Fläche, die sich daraus ergibt, durch die Information des nächsten Messpunktes. Die Grenze verläuft exakt in der mathematischen Mitte zwischen den beiden Punkten.
Das zweite Verfahren ist etwas komplexer und soll deshalb bevorzugt angewendet werden. Bei der Inversen Distanzwichtung (IDW) werden die verschiedenen Punkt-Informationen je nach Entfernung zueinander gewichtet. Ausgehend vom Messwert an einem bestimmten Punkt werden also auch die umliegenden Messstellenwerte mit einbezogen, wobei der nächstgelegene am höchsten gewichtet wird und der entfernteste am geringsten. Dieses Verfahren ist schon deutlich komplexer und dadurch auch genauer. Allerdings setzt es auch voraus, dass es deutlich mehr Messstellen in einem Grundwasserkörper gibt. Während für das Voronoi-Verfahren bloß zwei Messwerte pro Grundwasserkörper benötigt werden, muss für das IDW-Verfahren eine Messstelle pro 50 Quadratkilometer vorhanden sein. In Niedersachsen weisen derzeit 65 Grundwasserkörper eine Grenzwertüberschreitung auf. Davon kann in 40 das IDW-Verfahren zur Regionalisierung genutzt werden, in 25 muss man sich noch mit Voronoi behelfen.

Damit ab 2028 das geostatistische Verfahren verwendet werden kann, müssen nun deutlich mehr Messstellen zum Einsatz kommen. Die Zeit drängt, denn die Daten müssen bereits ab 2024 erhoben werden, bevor sie vier Jahre später zum Tragen kommen können. Das niedersächsische Umweltministerium kümmert sich derzeit also darum, das Messstellennetz großflächig auszuweiten. Am Anfang dieses Prozesses stand eine Bestandsaufnahme: Bislang hat man cirka 1090 Messstellen genutzt, die eigentlich zur Überprüfung laut Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) gedacht sind. Zur flächenscharfen Abgrenzung der Nitratbelastung im Grundwasser mit einem hohen Detaillierungsgrad sind sie aber nicht ausreichend – es sind einfach nicht genug. Doch die 1090 WRR-Messstellen bilden immerhin eine solide Grundlage, auf der aufgebaut werden kann.
Darüber hinaus verfügt das Land Niedersachsen noch über die Informationen von 7500 weiteren Messstellen, die entweder dem Land selbst gehören oder Dritten wie etwa Wasserversorgern, die in ihrem Gewinnungsgebiet ohnehin ein Frühwarnsystem aufgebaut haben. Die daraus gewonnenen Daten müssen dem Land zur Verfügung gestellt werden. Hinzu kommen kommunale Messnetze sowie Brunnen und Bohrungen etwa aus der Landwirtschaft. Eine Abfrage des Umweltministeriums Ende 2021 hat aus diesem Bereich weitere 1200 Messstellen aufgetan. Die Fachleute des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) müssen all die Messstellen zunächst auf ihre technische Eignung hin überprüfen. Es wurde also beispielsweise geschaut, ob die Bohrungen tief genug reichen und welches Material für den Messstellen-Ausbau verwendet worden ist.
Um nun im zweiten Schritt zu schauen, ob die Anzahl der Messstellen in einem Gebiet ausreichend ist, oder ob nachgesteuert werden muss, führt das Land eine Strukturanalyse durch. Denn entscheidend für die benötigte Messstellendichte ist die hydrogeologische Beschaffenheit des Gebietes – also das Zusammenspiel von beispielsweise Gestein und Sand und anderen Faktoren, die Einfluss darauf haben, wie das Wasser fließt. Während die Überprüfung der Messstellen noch eine persönliche Inaugenscheinnahme verlangt, wird die Suche nach geeigneten Standorten für weitere Messstellen nun zunächst vom Schreibtisch aus erledigt. Die Daten sind alle vorhanden, ein mathematisches Rechenmodell gibt schließlich die Informationen aus. Liegen diese dann vor, muss gebaut werden.
Im Haushalt sind für den Ausbau des Messnetzes bereits Gelder bereitgestellt. Nach Auskunft des Umweltministeriums ist bei einer zehn Meter tiefen Grundwassermessstelle von Baukosten in Höhe von etwa 10.000 Euro auszugehen. Spätestens im kommenden Jahr muss mit den Arbeiten begonnen werden, wobei es auch zu einem Wettrennen mit den anderen Bundesländern kommen kann. Denn schließlich müssen nun überall die Messnetze den EU-Vorgaben entsprechend angepasst werden – und Bohrfirmen könnten im kommenden Jahr vorübergehend zur Mangelware werden.