Experten rätseln über rasanten Anstieg der Geflügelpest im Kreis Cloppenburg
Eine Serie von Vogelgrippe-Ausbrüchen im Nordwesten Niedersachsen zu Beginn des Jahres bereitet den Tierseuchenexperten Kopfzerbrechen. Während man normalerweise von einzelnen Einträgen in einen Geflügelbetrieb ausgeht, wurden in den beiden Gemeinden Bösel und Garrel im Landkreis Cloppenburg nahezu identische Viren in mehreren Betrieben festgestellt. Das ist ungewöhnlich und lässt die Vermutung zu, dass sich die Grippeerreger dort von Betrieb zu Betrieb weiterverbreitet haben.
Die schiere Dichte der Geflügelhaltungen kann einen Einfluss gehabt haben.
„Wir wissen nicht, wie das Virus von Betrieb zu Betrieb gekommen ist“, erklärt Prof. Franz Conraths, Vizepräsident des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) auf Rundblick-Nachfrage. Begleitet vom Landesamt für Verbraucherschutz (Laves) und den kommunalen Veterinären hat sich Prof. Conraths kürzlich ein eigenes Bild von der Lage in Cloppenburg gemacht. Dabei gewann er einen Eindruck, den er mit der Vorsicht eines Forschenden so formuliert: „Die schiere Dichte der Geflügelhaltungen kann einen Einfluss gehabt haben.“
Früher habe es erkennbare Lücken in der Biosicherheit der Betriebe gegeben, doch seit der letzten großen Vogelgrippe-Welle sei dort enorm viel getan worden, sagt Prof. Conraths. Diese Einschätzung wird von allen Seiten geteilt, auch die Behörden und die Tierseuchenkasse konstatieren diesen Trend. Inzwischen heißt es, nicht einmal eine Ameise komme unbemerkt in einen Geflügelstall. Auch einen Wechsel zwischen den einzelnen Betrieben gebe es nicht.
Verbreitet sich der Erreger über die Luft?
Umso größer ist jedoch das Unverständnis über den erneut starken Ausbruch der Geflügelpest im Nordwesten Niedersachsens. Was kommt also sonst noch in Betracht? Darüber ist das FLI nach eigenen Angaben in enger Abstimmung mit den Behörden. Auffällig ist offenbar, dass besonders viele Putenhaltungen betroffen sind, die Ställe mit einer sogenannten Querlüftung haben. Durch diese Art der Lüftung besteht ein größerer Kontakt der Tiere zur Außenwelt. Was gesellschaftlich gemeinhin positiv bewertet wird, kann in diesem Fall womöglich ein Einfallstor für Viren sein. Das würde jedoch bedeuten, dass sich der Vogelgrippe-Erreger über die Luft übertragen könnte – wissenschaftlich belegt ist das derweil noch nicht. Prof. Conraths nennt diese These eine „ganz umstrittene Geschichte“.
Er erläutert, die meisten Influenza-Experten verträten den Standpunkt, dass die Erreger nur über eine sehr kurze Distanz übertragen werden. Es gebe aber auch Ausnahmen sowie eine mathematische Modellrechnung aus den USA, die auch andere Schlüsse zulassen. Demnach könnte der Erreger auch in einem Radius von einigen 100 Metern um einen infizierten Bestand herum andere Tiere anstecken. Eine Doktorarbeit am FLI habe zudem gezeigt, dass in bestimmten Konstellationen eine Übertragung über die Luft zumindest „möglich“ oder sogar „wahrscheinlich“ sei. „Man kann es also nicht ausschließen.“
Was die Biosicherheit angeht, müssen wir schauen, ob man weiter etwas ändern oder optimieren kann.
Ursula Gerdes, Geschäftsführerin der niedersächsischen Tierseuchenkasse, stellte zumindest fest, dass sich die Infektionen rund um den Jahreswechsel in Windrichtung ausgebreitet haben. Seitdem stehe sie in dieser Frage in Austausch mit dem FLI und den lokalen Behörden. Außerdem zieht sie daraus den Schluss, dass man künftig von solchen Betrieben höhere Beiträge erheben könnte, die in Gebieten mit einer größeren Geflügel-Dichte stehen – schließlich scheint dort das Risiko auch höher zu sein.
Prof. Conraths möchte Geflügelhalter aber davor warnen, das Infektionsgeschehen allein auf jene Faktoren zu schieben, die der Mensch schlechterdings kaum beeinflussen kann – wie etwa den Wind oder den unvermeidlichen Zustrom von Zugvögeln. „Was die Biosicherheit angeht, müssen wir schauen, ob man weiter etwas ändern oder optimieren kann“, sagt der Forscher. Zudem empfiehlt er niedrigschwellige Beratungsangebote für die Landwirte auszuweiten. Es sei hilfreich, jemanden von außen auf den Betrieb schauen zu lassen.
Vogelgrippe eine Gefahr für den Menschen?
Nachdem am vergangenen Wochenende bekanntgeworden war, dass sich in Russland offenbar zehn Menschen mit dem Geflügelpest-Erreger infiziert haben, ist das FLI alarmiert. „Influenza-A-Viren haben das Potenzial, auch auf den Menschen überspringen zu können“, sagt Prof. Conraths. Das FLI untersuche die Angelegenheit gerade sehr genau. „Nach den Berichten aus Russland über glimpflich verlaufene Infektionen mit HPAI-H5N8 gibt keinen Grund zur Panik, aber zur Wachsamkeit“, sagt Prof. Conraths. Er und seine Kollegen und Mitarbeiter betreten Ställe, in denen die Vogelgrippe ausgebrochen ist, jedenfalls nur unter Atemschutz – schon immer.