Ich bin ja einiges gewohnt, was tierische Untermieter angeht: Wespen und Schnaken fliegen bei wirklich jeder Gelegenheit zum Fenster rein, Winkel- und Zitterspinnen schleichen sich heimlich durch alle möglichen Ritzen, und amerikanische Kieferwanzen halten meine Wohnung offenbar für Ellis Island. Mein Wildtiermanagement ist dementsprechend routiniert: Tier rein in die Box, Deckel drauf, ab auf den Balkon, raus aus der Box und es ist erstmal Ruhe – zumindest bis sich die Störenfriede wieder in die Wohnung verirren. Der Kreislauf des Lebens eben.
Doch diesen Sonntagmorgen war alles anders. Ich befand mich gerade auf dem Weg zum Heidegipfel, wo es um Schienenverkehr und den Lebensraum der Heide gehen sollte, als mich meine Frau ganz aufgelöst anrief: „Schatz, wir haben eine Schlange in der Küche.“
Da war selbst ich als erfahrener Umsiedler ratlos. Also gab ich ihr den naheliegendsten Tipp: Frag doch einfach ChatGPT. Die KI diagnostizierte, dass es sich vermutlich um eine sehr junge Ringelnatter handelt. Ungiftig, aber mit jugendlich aufmüpfiger Attitüde. Denn bevor sich das Reptil zurückzog, fauchte es meine Frau an. Offenbar hat es das Schuppentier nicht so mit Autorität.
Ein Einfangen war dementsprechend nicht möglich. Die Schlange verschwand hinter dem Küchenschrank. Meine Frau improvisierte eine Schlangentreppe aus Kartons und Küchenbrettern, öffnete das Fenster und hofft seitdem auf eine artgerechte Selbstrettung. Das Problem ist nur: Wir wohnen im dritten Stock. Realistisch betrachtet wird das Fluchtangebot wohl kaum angenommen – es sei denn, wir haben es mit einem Nachfahren der geflügelten Schlange Quetzalcoatl zu tun.

Wie kommt eine Schlange überhaupt da hoch? Hat sie sich im Getränkekasten versteckt, den ich am Samstag bei Kaufland geholt habe? Hatte sie sich unter den Blumen eingegraben, die meine Frau neulich von der Floristen-Resterampe mitgebracht hat? Oder ist sie einfach durch die offene Balkontür hereingekrochen – auf der Suche nach fließendem Wasser, stabiler Zimmertemperatur, ansprechenden Polstermöbeln und Netflix-Account?
So langsam ist auch mal gut mit den Tierwanderungen. Wenn demnächst auch noch eine Tarantel aus der Yucca-Palme krabbelt, sich Hornissen auf dem Balkon einnisten oder ein Marder in der Tiefgarage einmietet, packen wir die Koffer. Vielleicht ist ja der Nabu zufälligerweise noch auf der Suche nach einer neuen Geschäftsstelle in Celle.
Was können wir daraus lernen? Manche Lebens- und Schutzräume entstehen von selbst, andere brauchen sehr viel politischen Willen – und manchmal auch ein Gerichtsurteil. Mehr dazu erfahren Sie in den Themen der heutigen Ausgabe:
Kommen Sie gut in die Woche. Und schauen Sie sicherheitshalber mal unters Spülbecken, ob sich dort vielleicht auch eine Schlange versteckt.
Ihr Christian Wilhelm Link