Ex-Umweltminister Wenzel: „Die Natur rächt sich für das, was wir ihr antun“
Der Grünen-Landtagsabgeordnete Stefan Wenzel, ehemaliger niedersächsischer Umweltminister, hält den Umgang der Politik mit der Natur für rücksichtslos und gefährlich. Die Eingriffe des Menschen in die Landschaft blieben nicht ohne Folgen – und es sei endlich Zeit, auf die Belange der Ökologie mehr Rücksicht zu nehmen, sagt Wenzel im Interview mit dem Politikjournal Rundblick.
Rundblick: Das brennende Moor im Emsland hat über Wochen die Landespolitik intensiv beschäftigt. Welche Lehren ziehen Sie aus diesen Ereignissen?
Wenzel: Die Flächen im Naturschutzgebiet „Tinner Dose -Sprakeler Heide“ werden schon seit 1877 größtenteils als militärisches Übungsgebiet genutzt und sie wurden dafür auch umfangreich künstlich entwässert. Trotzdem hat das Moor hier noch eine sehr hohe naturschutzfachliche Bedeutung. Die Soldaten haben dort Waffen erprobt – und dabei geriet der bis zu acht Meter tiefe Moorkörper in Brand. Wieviel Ignoranz und Dummheit muss es geben, um im knochentrockenen Gelände mitten in der Hochsommerhitze mit Raketen zu üben? Man wusste doch außerdem, dass die technischen Sicherheitsapparate teilweise defekt sind und repariert werden mussten – also war doch das Risiko bekannt. Daraus spricht eine Geringschätzung der Natur, die verbreiteter ist als wir glauben.
Rundblick: Wieso? Kann man die Ereignisse im Emsland nicht als Einzelfall und Verkettung unglücklicher Umstände interpretieren?
Wenzel: Es geschehen zu viele solcher „unglücklichen Umstände“, überall auf der Welt. Schauen wir beispielsweise nach Griechenland. Nahe der Hauptstadt Athen kamen neulich bei verheerenden Bränden mehr als 80 Menschen ums Leben, die Gemeinde Mati brannte fast komplett nieder. Noch sind die Ursachen dort nicht endgültig geklärt. Aber heute steht schon fest, dass planlos und genehmigungswidrig Schwarzbauten erstellt wurden. Undurchsichtige Grundstücksgeschäfte führten zu gesetzeswidrigen Bebauungen – unter Missachtung der Regeln, die für Sicherheit und Brandschutz notwendig sind. Profitstreben, Ignoranz gegenüber Vorschriften und Gleichgültigkeit gegenüber der Natur waren schon oft eine verhängnisvolle Mischung, die zu Unglücken, Leid und Zerstörung geführt haben. Ein Forstwissenschaftler der Aristoteles-Universität in Thessaloniki kommentierte die rücksichtlose Urbanisierung und Ausweitung der Freizeitindustrie zu Lasten der Umwelt kürzlich mit den Worten: „Die Natur hat die Eigenschaft, Rache zu nehmen.“
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Rundblick: Das klingt wie eine Verschwörungstheorie…
Wenzel: Nein, es klingt eher nach einem Naturgesetz. Nehmen wir beispielsweise die aktuellen Rodungen der jahrhundertealten Baumbestände im Hambacher Forst bei Düren in Nordrhein-Westfalen. Mit Verweis auf zweifelhafte alte Bergrechte will der Energiekonzern RWE mit allen Mitteln den Weg frei machen für den weiteren Abbau von Braunkohle. Dabei muss doch jeder vernünftige Mensch in hoher Verantwortung in Wirtschaft und Politik wissen, dass die Braunkohle die höchsten CO2-Immissionen aller fossilen Energieträger hat. Und weil wir Kohlendioxid dringend abbauen müssen, wäre der Verzicht auf Braunkohle nun wirklich naheliegend. Aber auch hier erleben wir eine Ignoranz, die beispiellos ist.
Rundblick: Auch in Niedersachsen, abgesehen vom Moor im Emsland?
Wenzel: Ich nenne mal das Ausbaggern von Ems, Weser und Elbe im Interesse großer Reeder. Die Eingriffe in die Natur verändern die Fließgeschwindigkeiten und Sedimentbewegungen der Flüsse. Die Tier- und Pflanzenwelt wird geschädigt und die Standsicherheit von Deichen wird gefährdet. Es kann aber künftig zu erhöhten Fluten und Überschwemmungen kommen. Wie wenig abwegig solche Szenarien sind, zeigt doch die Wetterentwicklung in den vergangenen Jahren. Auch hier in Niedersachsen haben wir Starkregenereignisse erlebt, es kommt immer öfter zu starken Stürmen, zu Hitzeperioden wie im gerade erst erlebten Sommer und zu sinkenden Grundwasserspiegeln. Obwohl die Wissenschaft sehr weit ist und viel erklären kann, obwohl es Notfallkonzepte gibt und das technische Knowhow gewachsen ist, sehen wir immer wieder, wie nahezu plan- und hilflos die Verantwortlichen reagieren, wenn sich die Naturgewalten ihren Weg bahnen.
Rundblick: Sie würden also auch sagen: Die Natur rächt sich…
Wenzel: Ja. Naturareale als militärische Übungsplätze, Kahlschläge für die Kohlegewinnung, Flussvertiefungen für den Container-Gigantismus – all das sind brachiale Angriffe auf die Natur, die nicht ohne Folgen bleiben. Der Mensch in der Gegenwart konsumiert die Zukunft. Die „Rache der Natur“ ist keine sprachliche Dramatisierung. Denn die Folgen selbst sind schon dramatisch genug. Die Versiegelung weiterer Flächen des Landes, die Trockenlegung der Moore, der forcierte Autobahnbau und die intensive Nutzung von Pestiziden bringen das ökologische Gleichgewicht aus dem Takt. Wer unsere natürlichen Lebensgrundlagen hemmungslosen Interessen von Teilen der Wirtschaft, industrieller Landwirtschaft, Handel und Verkehr unterzieht, schadet am Ende wieder den Menschen. Die Quittung für Jahre der Ignoranz kommt unerwartet, aber sie kommt.