Sigmar Gabriel, ehemaliger Bundesaußenminister und SPD-Chef, rechnet mit einer baldigen Bildung einer Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene. In einem Vortrag vor dem niedersächsischen Wirtschaftsrat der CDU e.V. sagte Gabriel am Montagabend, Olaf Scholz könne den Anspruch der Kanzlerschaft formulieren – die Grünen wollten unbedingt regieren und „die FDP muss in die Regierung“.

Sigmar Gabriel bei einem früheren Termin mit der Rundblick-Redaktion. / Archiv-Foto: Lada

Die Grünen seien „die Königsmacher“, und die nächste Weihnachtsansprache werde schon ein neuer Kanzler halten. Dass Scholz von ihm, Gabriel, Ratschläge annehme, glaube er nicht: „Er hat sich Mühe gegeben, mich los zu werden – und wird alles versuchen, dass dieser Schritt nicht rückgängig gemacht wird.“

„Scholz hat sich Mühe gegeben, mich los zu werden – und wird alles versuchen, dass dieser Schritt nicht rückgängig gemacht wird.“

Sigmar Gabriel, ehemaliger Bundesaußenminister

Mit Scholz sei er „auf Distanz freundschaftlich verbunden“. Die Übung aus dem zurückliegenden Wahlkampf, über politische Fragen gar nicht zu sprechen, werde man in der Zukunft nicht durchhalten können. Bei Dekarbonisierung und Digitalisierung würden zwangsläufig schwere Konflikte entstehen. An der Reformfähigkeit der deutschen Politik seien aber Zweifel berechtigt. Dass es bis zum Bau eines Windrads bis zu sechs Jahre dauere, sei nicht hinnehmbar. „Ohne Planungsbeschleunigung werden wir den Klimaschutz nicht erreichen.“ Vom nächsten Kanzler erwartet Gabriel, dass er „nach spätestens acht Wochen im Amt das Interesse an der Innenpolitik verliert und sich dem Internationalen zuwendet“. So sei es bisher immer gewesen – und die internationale Politik verdiene unbedingt mehr Engagement. Die USA hätten sich längst von Europa abgewandt und würden ihre Aufmerksamkeit auf China ausrichten. Europa müsse die so entstandene Lücke schließen und eine aktivere Rolle in der Weltpolitik annehmen, und da seien gerade jetzt – vor der französischen Präsidentenwahl – die Deutschen gefordert. Überall dort, wo sich die Amerikaner zurückzögen, etwa in Nordafrika, würden Chinesen, Türken, Iraner oder andere autoritäre Regime Platz greifen. Auch in Europa würden sich Griechen, Ungarn und Italiener bald schon der Hilfe von Chinesen bedienen, wenn die EU nicht selbst aktiver agiere.

Gabriel möchte Euro als „Reservewährung“ etablieren

Gabriel wirbt vehement dafür, den Euro zur „Reservewährung“ zu etablieren, also ihn für Anleger interessant zu machen. Das könne nur gelingen, wenn es eine Kapitalmarktunion gebe – also gemeinsame Anleihen. „Die CDU sollte ihren Widerstand gegen eine Transferunion aufgeben“, betonte der frühere SPD-Chef und fügte hinzu, dass Deutschland als Exportweltmeister sehr viel stärker vom Euro profitiere als allgemein eingestanden werde. Die Gegner der Transferunion sollten aufhören, „sich wie ökonomische Taliban zu benehmen“. Auf die Frage angesprochen, ob er Scholz die Kanzlerschaft zutraue, sagte Gabriel: „Wenn Scholz von einer Sache etwas versteht, dann von der Arithmetik der Macht“. Er fürchte nur, der nächste Regierungschef werde womöglich nicht genug Mut zu entschlossenen Schritten haben, weil er auf die Stimmungen in den Parteien und auf den Erhalt seiner Machtbasis achten wolle.