In der freien Wirtschaft steht das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) fast schon sinnbildlich für die Auswüchse der Bürokratie. Dementsprechend groß ist die Angst vor der europäischen Version des Gesetzes, die gerade in Arbeit ist. Der Vorsitzende des EU-Handelsausschusses, Bernd Lange, wies am Freitag in Hannover jedoch nicht nur alle Unkenrufe zurück, die vor einem neuen Bürokratiemonster warnen.

Bernd Lange spricht beim Wirtschaftsdienst-Forum in Hannover über das von der EU geplante Lieferkettengesetz. | Foto: Link

Der SPD-Politiker stellte auch ein viel besseres Lieferkettengesetz in Aussicht, das viele Fehler des deutschen LkSG beheben wird. „Wir werden präziser sein, was die Kriterien und die Auslegung betrifft als man das in Deutschland ist“, kündigte Lange bei einer Diskussionsveranstaltung des Wirtschaftsdienstes Niedersachsen an.

„Es wird keine Verschärfung der Gesetzgebung, sondern eine Schärfung der Perspektive“, sagte der Europapolitiker aus Hannover. Lange will die Einhaltung der Sorgfaltspflichten auf die Branchen beschränken, bei denen das auch wirklich relevant ist und nicht von den Beschäftigungszahlen abhängig machen, so wie es im deutschen Lieferkettengesetz geregelt ist. „Es ist ein Unterschied, ob wir Ahornsirup aus Kanada importieren oder Fahrräder aus Kambodscha“, betonte der Handelsexperte. Zuvor hatte er darauf hingewiesen, dass 25 Prozent der in der Bundesrepublik gekauften Fahrräder in der Militärdiktatur Kambodscha hergestellt werden, wo Dumpinglöhne gezahlt werden und Schweißarbeiten ohne Schutzkleidung stattfinden.

Sprechen über Lieferketten und Nachhaltigkeit (von links): André Bödeker, Andreas Bosk und Prof. Ulrich Giese. | Foto: Link

Dieser „risikobasierte Ansatz“ soll laut Lange durch eine Datenbank unterstützt werden, in der die Unternehmen alle relevanten Informationen über mögliche Zulieferer und Geschäftspartner finden sollen. „Das ist ein ganz entscheidendes Element des europäischen Ansatzes“, sagte der 67-Jährige. Mithilfe dieser Datenbank sollen die Firmen „die Risiken per Knopfdruck abrufen können“. Dadurch soll eine Überlastung der Betriebe verhindert und auch Rechtssicherheit geschaffen werden, weil sich die Unternehmen auf die Datenbank-Einträge berufen können.

„Wir verlagern keine Haftung auf die Unternehmen für Dinge, die wir voraussetzen“, betonte Lange. Offen sei dagegen, ob diese Datenbank von der EU selbst entwickelt oder vielleicht von einem „großen deutschen Softwarehaus“ eingekauft wird. „SAP hat so etwas ähnliches“, verriet der EU-Abgeordnete.

Hannoverimpuls-Chefin Doris Petersen (Mitte) befragt die Experten zur Lieferkettenproblematik. Prof. Ulrich Giese (links) und Hannovers Ex-OB Stefan Schostok hören interessiert zu. | Foto: Link

Ab 2024 gilt das deutsche Lieferkettengesetz auch für Unternehmen mit mindestens 1000 Beschäftigten im Inland, bisher liegt diese Grenze bei 3000 Angestellten. Wenn es nach Lange geht, wird die EU sogar noch niedriger gehen. „Die Parlamentsposition ist eindeutig: 250 Beschäftigte in mehreren Abstufungen“, sagte der Handelsausschussvorsitzende. Für die kleineren und mittleren Unternehmen aus Deutschland soll das EU-Gesetz am Ende trotzdem zu weniger Belastung führen. Offiziell sind diese zwar vom deutschen LkSG ausgenommen, praktisch aber doch betroffen.

„Das Lieferkettengesetz ist unabhängig von der Größe des Unternehmens relevant, denn jedes große Unternehmen wird bei Ihnen anfragen, ob Sie diese Regelungen einhalten“, erläuterte Oliver Schrader, der beim Batteriehersteller und Automobilzulieferer Clarios (ehemals Varta) für das Nachhaltigkeitsmanagement verantwortlich ist. Kleine und mittlere Unternehmen seien zwar nicht dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) gegenüber verantwortlich, dafür aber gegenüber ihren Kunden und Auftraggebern. „Wenn Sie dort die geforderten Nachweise nicht erbringen, gelten sie als nicht lieferfähig“, sagte Schrader.

Clarios-Manager Oliver Schrader (rechts) erläutert das Lieferkettengesetz, Andreas Bosk vom Wirtschaftsdienst Niedersachsen hört zu. | Foto: Link

„Das Abdrücken der Verantwortung auf die Zulieferer ist rechtlich war nicht erlaubt – aber wir kennen ja alle die Abhängigkeit, die die Zulieferer von den großen Unternehmen haben“, bestätigte André Bödeker von der hannoverschen Niederlassung der Wirtschaftsberatungsgesellschaft RSM. Er rät deswegen allen Unternehmen, egal welcher Größe, sich schon jetzt mit dem Thema zu beschäftigen. „Sammeln Sie Daten, sodass Sie vorbereitet sind“, sagte er. Das deutsche LkSG kritisierte er als „völlig unausgewogen“. Solange eine Datenbank, wie sie die EU plant, nicht vorliegt, könnten Gesetzesverstöße eigentlich gar nicht bestraft werden. „Das ist für mich der völlig falsche Ansatz“, kritisierte der Wirtschaftsberater und sagte: „Die europäische Lösung greift weiter, das finde ich richtig.“

„Das Thema Nachhaltigkeit kommt 50 Jahre zu spät“, kritisiert André Bödeker. | Foto: Link

Gesetze und Zertifikate zu Umweltauflagen, Nachhaltigkeit, Rohstoffen oder Menschenrechten gehören beim weltweit tätigen Autobatteriehersteller Clarios schon seit Jahren zum Tagesgeschäft. Das deutsche Lieferkettengesetz sei aber ein besonders schwieriger Fall. „Es ist immer noch unglaublich viel offen“, bemängelte Schrader und verwies darauf, dass es inzwischen schon mindestens zehn Handreichungen der BAFA gibt, um das Gesetz zu erklären. Der praktische Nutzen sei ebenfalls noch unklar. „Ich hoffe, dass das Lieferkettengesetz tatsächlich zu Verbesserungen führt – ich sehe es aber noch nicht“, sagte Schrader. Er äußerte aber die vage Hoffnung, dass sich das Ende des Jahres ändern könnte. Dann sollen die ersten Berichte zum LkSG veröffentlich werden.