Die Landesregierung, vertreten durch das Wirtschafts- und das Umweltministerium, hat gemeinsam mit der Wasserwirtschaft und der Erdgasindustrie einen Kompromiss erzielt: Künftig sollen die Förderunternehmen in Niedersachsen neue Bohrungen nicht mehr in Trinkwasserschutzgebieten starten dürfen. Es soll zwar möglich sein, außerhalb dieser Areale in die Tiefe zu gehen und dann seitwärts die Gasvorräte unterhalb von Wasserschutzgebieten anzuzapfen – allerdings nur nach strengen Schutzvorkehrungen: Vorher müsse dann eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgeschaltet werden, außerdem soll eine „technische Kommission“ aus Ministeriumsvertretern und Fachleuten der Wassergewinnung die Projekte begleiten. Was den Einsatz von Material und Technik bei den nötigen Spülungen und Abdichtungen der Rohre angeht, werden ebenfalls besondere Qualitätsstandards vorgegeben.

Die Verständigung zwischen den Verbänden der kommunalen Wasserversorgern, dem Bundesverband für Erdgas und Erdöl (BVEG), dem niedersächsischen Wasserverbandstag, der Industriegewerkschaft Chemie und dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft hat das Umweltministerium vorbereitet, Umweltminister Olaf Lies (SPD) und Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) stimmten dem Papier zu. Lies trat am Montag gemeinsam mit den Verbandsvertretern vor die Presse. Niedersachsen wolle sich 2040 vollständig auf Erneuerbare Energien stützen, sagte der Minister, bis dahin und darüber hinaus sei die Stromerzeugung mit Gas aber als „Brückentechnologie“ weiter unverzichtbar.
Die Vorräte in Niedersachsen begrenzt auszubeuten, biete sich unbedingt an – denn das sei allemal sinnvoller als ein Import aus den Niederlanden, Norwegen und Russland. Wie Reinhold Kassing vom Verband Kommunaler Unternehmen berichtete, hatten die 2019 bekannt gewordenen Umstände in Emlichheim, wo vier Jahre lang belastetes Lagerstättenwasser ausgetreten war, die Kommunen auf den Plan gerufen. Glücklicherweise sei dort kein Trinkwasserschutzgebiet berührt gewesen. Die Forderung, Schutzgebiete generell aus der Förderung auszuklammern, sei „mit der Bohrindustrie nicht erreichbar“ gewesen – schließlich können die Unternehmen sich auf Abbaurechte berufen.
Rund 15 Prozent der Fläche Niedersachsens gilt als Trinkwasserschutzgebiet, dort werden 85 Prozent des Leitungswassers gefördert – und zwar bis zu einer Tiefe von 200 Metern, wie Godehard Hennies vom Wasserverbandstag berichtete. Wenn man tiefer gehe, stoße man vielerorts auf Salzschichten und bekomme nur unbrauchbares Salzwasser. Die „Ablenkungsbohrungen“ und „Unterbohrungen“, mit denen die Gasunternehmen seitwärts zu tiefgelegenen Stätten vordringen können, sollen aber „erst 1000 Meter und tiefer“ ansetzen, sagte Ludwig Möhring vom BVEG. Die Gefahr einer Vermischung sei also beim Abbau von Vorräten unterhalb von Schutzgebieten nicht gegeben. Die Erdöl- und Erdgasindustrie hat seinen Angaben zufolge etwa 8000 Mitarbeiter, 2500 bestehende Bohrungen gebe es, derzeit würden in 15 Fällen schon unter Wasserschutzgebieten liegende Reservoire mit Ablenkungsbohrungen angezapft. Die Vereinbarung bedeutet ebenfalls, dass Erdölstätten weiter ausgebeutet werden können, nach Angaben von Lies betrifft das landesweit nur ein Gebiet im Landkreis Gifhorn.
Scharfe Kritik an der neuen Vereinbarung übte der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Man sei aus den Gesprächen ausgestiegen, als sich der Verzicht auf ein „konkretes Ausstiegsdatum“ aus der Erdöl- und Erdgasförderung abgezeichnet habe, sagt BUND-Sprecher Axel Ebeler. Die Formulierungen seien zu unkonkret, die nachteiligen Wirkungen der Öl- und Gasförderung aber offensichtlich. So habe es – neben Emlichheim – in den vergangenen zehn Jahren landesweit 149 Störfälle gegeben, unter anderem die Erdbeben in der Region Verden. Aus Sicht des BUND sollten auch die „Ablenkbohrungen“, die laut Vereinbarung erlaubt werden sollen, unterbunden werden.