Eine strategisch verwirrte Partei: Wohin steuert Niedersachsens AfD?
Seine Mitteilung war knapp und kam ohne große Umschweife: Am gestrigen Montag hat sich der bisherige Sprecher der AfD-Landtagsfraktion in Niedersachsen, Benjamin Günther, nach knapp einem Jahr Dienstzeit aus Hannover verabschiedet. Der gelernte Kommunikationswissenschaftler will künftig für die Parteifreunde im hessischen Landtag arbeiten. Kritische Worte zum bisherigen Arbeitgeber verkniff sich Günther, doch sein Schritt ist schon Signal genug: Es hat ihm am Ende nicht viel hier gehalten.
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Günther ist kein Einzelfall, mehrere Kollegen sind in den vergangenen Monaten ausgeschieden. Unter der Oberfläche der Niedersachsen-AfD gärt es nämlich. Die Partei, die seit Jahren in mindestens zwei Lager gespalten ist, die Anhänger und Kritiker des früheren Landesvorsitzenden Armin-Paul Hampel, hat auch ein knappes Jahr nach der Wahl seiner Nachfolgerin Dana Guth noch nicht zueinander gefunden. Zwar werden die Kämpfe nicht offen ausgetragen, aber die Anspannungen sind überall spürbar. Ein paar Beispiele aus der jüngeren Zeit:
Streit um Höcke-Einladung: Seit Monaten gibt es starke Kräfte in der AfD, die gern einen Auftritt mit der Symbolfigur für den rechten Flügel, dem Thüringer Björn Höcke, in Niedersachsen wünschen. An dieser Frage ist nun parteiintern ein richtiges Verwirrspiel entstanden: Erst wollte der Bundestagsabgeordnete Dietmar Friedhoff (Neustadt am Rübenberge) auf eigene Faust Höcke nach Niedersachsen bitten. Das erregte Unmut im Landesvorstand, denn dort witterten einige Mitglieder, die Autorität der Parteiführung solle unterlaufen werden. Später dann versuchten das zwei AfD-Landtagsabgeordnete, doch der Landesvorstand verbot ihnen, sich an Höcke zu wenden. Als Höcke später dann andeutete, er sei ja vom Landesvorstand um Dana Guth offenbar nicht erwünscht, reagierte Guths Umfeld vergrätzt und verlangte vom Thüringer eine Klarstellung. Jetzt wird ein Höcke-Termin anvisiert, der allen diplomatischen Gepflogenheiten entspricht. Das Beispiel zeigt, wie ein so unspektakulärer Vorgang wie die Einladung an einen benachbarten Landespolitiker die Gemüter im Landesverband hochkochen lassen kann.
Trotz ihrer augenscheinlichen Geschlossenheit bleibt die Fraktion im Landtag weitgehend unauffällig.
Profilschwäche der Parteiführung: Dana Guth vermeidet es strikt, sich einem der Lager in der AfD zuzuordnen. In der neunköpfigen Landtagsfraktion gelingt es ihr gut, das Image der sachlichen, zumeist angepassten Gruppierung zu vermitteln. Die Fraktionsführung hält sich zugute, damit ein liberales Image zu wahren. Im Kreis der Fraktionsmitarbeiter sind Vertreter der liberalen „Alternativen Mitte“ ebenso vertreten wie Leute des rechten Flügels. Dass der nach extrem rechts abgedriftete Göttinger Lars Steinke zeitweise dazugehörte, hat Guth inzwischen wohl mehr als einmal bereut. Der Fall hängt ihr immer noch an. Guth findet als Göttinger Kreistagsabgeordnete keine Zeit, ihr kommunales Mandat neben der Landtagsarbeit noch auszuüben – doch wenn sie sich zurückziehen würde, könnte der noch nicht aus der AfD ausgeschlossene Steinke nachrücken, was parteiintern als Katastrophe bewertet wird. Hier rächt sich, dass Guth keinen klaren Trennungsstrich zum Rechtsaußen-Lager gezogen hat. Die klare Positionsbestimmung scheint überdies nicht ihre Stärke zu sein. Vergangenen Oktober lud der AfD-Landesvorstand zwei profilierte Vertreter des liberalen und des völkischen Flügels zum Dialog ein, manche mutmaßten über einen „Versöhnungsversuch“. Guth selbst übernahm die Moderation, aber die Veranstaltung wurde zum Rohrkrepierer – der Höcke-Gefolgsmann Andreas Kalbitz, einer der radikalen Rechten, nutzte die Bühne zur ungehemmten Zurschaustellung seiner extremen Ansichten, sein Gegenüber verharrte in Reglosigkeit. Guth stand ratlos dazwischen.
Ungeklärte Machtfragen: Nach außen geben sich die AfD-Landtagsfraktion, dominiert von Dana Guth, und die niedersächsische AfD-Bundestagsgruppe, dominiert von ihrem Vorgänger Hampel, dem außenpolitischen Sprecher der Fraktion, durchaus geschlossen. Hin und wieder aber flammen die Konflikte auch öffentlich auf, und dann wird deutlich, dass beide nebeneinander und nicht miteinander arbeiten. Als es dem Landesvorstand um Guth misslang, auch nur einen niedersächsischen Bewerber auf den aussichtsreichen Plätzen der Bundesliste für die Europawahl zu platzieren, äußerte sich Hampel in einer Presseerklärung enttäuscht – ein unverkennbarer Seitenhieb auf seine Nachfolgerin als Landesvorsitzende, die eines nicht hat: Eine gute Verankerung auf der Bundesebene. Der unterlegene Europa-Kandidat war ausgerechnet jener Jens Krause, der als Geschäftsführer der Landtagsfraktion die wichtigste Stütze von Guth ist, außerdem wohl der engste Berater. Damit ist kein Niedersachse auf der AfD-Bundesliste für die Europawahl – und das auch deshalb, weil es den Strategen misslang, vorher Absprachen zu treffen. Das Guth-Lager hätte sich ja mit dem Hampel-Lager verständigen können, verknüpft womöglich mit Zusagen für die nächste Bundestagsliste, auf der Hampel wieder stehen möchte.
Klima des Misstrauens: Mehrere Vertreter des Mitarbeiterstabs haben die Landtagsfraktion in den vergangenen Monaten verlassen. Einer der Gründe, heißt es, sei eine angespannte Stimmung, und viele lasten dies direkt auch Fraktionsgeschäftsführer Krause an. Andere nehmen Krause in Schutz und erwähnen, dass ein früherer Mitarbeiter sogar ausfällig geworden und mit Gewalt gedroht habe. Daneben wird von einigen Insidern als nachteilig beschrieben, dass die Führung des Landesverbandes im Wesentlichen in den Händen von Landtagsabgeordneten besteht – neben Guth als Doppel-Vorsitzender sind zwei der drei Vize-Landesvorsitzenden Landtagsabgeordnete. Einer, Klaus Wichmann, repräsentiert den liberalen Flügel der Partei, er hält auch viele kluge Reden im Landtag. Der andere, Harm Rykena, knüpft als umtriebiger Bildungspolitiker auch Kontakte zum rechten Rand der Bundespartei, wobei er nicht als völkisch oder systemfeindlich bezeichnet werden kann. Lähmt das die inhaltliche Arbeit, wie andere Fraktionen behaupten? Einige Vorstöße der AfD in den vergangenen Monaten, etwa zum Thema Schächten oder zum „Bückeberg“ bei Hameln, sind eher mühsam und holprig präsentiert worden, vieles kam nicht sehr überzeugend rüber.
Unauffällig im Landtag: Die neunköpfige Fraktion im Landtag wirkt nach außen geschlossen. Als aktiver Part tritt immer wieder Fraktionsgeschäftsführer Klaus Wichmann auf, dessen Wirken schon Spekulationen hat keimen lassen, er sei wohl der eigentliche Fraktionschef. Aber das Verhältnis zwischen Guth und Wichmann gilt als ungetrübt, und ausgesprochene Hampel-Anhänger gibt es in der Fraktion nur einen, den Lüneburger Abgeordneten Stephan Bothe. Trotz ihrer augenscheinlichen Geschlossenheit bleibt die Fraktion weitgehend unauffällig. Sie konnte auch von dem offenkundig angreifbaren Verhalten der anderen Fraktionen bei der Besetzung des Beirates für die Gedenkstättenstiftung (mit einer „Lex AfD“ wurde die Partei ausgegrenzt) nicht wirklich profitieren. Eine Klage dagegen vor dem Staatsgerichtshof endete erfolglos. (kw)