Pflegekammer: Eine Professorin rechnet mit der Politik ab
Der Gesetzentwurf zur Auflösung der niedersächsischen Pflegekammer liegt vor, aber noch tickt die Uhr für die Kammer nicht. In dieser Woche steht das Thema erst einmal wieder auf der Tagesordnung des Sozialausschusses. Erst wenn der Landtag das Gesetz endgültig beschlossen hat, und die abschließende Beratung steht noch aus, soll die Kammer innerhalb eines halben Jahres aufgelöst werden.
Derweil sind die Stellungnahmen zum Gesetzentwurf eingegangen, und sie lesen sich teilweise wie ein Spiegel der Debatte in den vergangenen Jahren, viele Argumente beider Seiten sind erwartbar, aber es lässt sich aus den Dokumenten teilweise auch viel Frust herauslesen.
Die Professorin und Pflegewissenschaftlerin Martina Hasseler von der Ostfalia Hochschule nutzt ihre Stellungnahme für eine drastische Abrechnung, die irgendwo zwischen Politikverdruss und Medienschelte liegt. Der vorliegende Gesetzentwurf macht für sie deutlich, „dass der politische Wille, die Pflegekammer auch gegen Widerstände zu unterstützen, ernsthaft nicht vorhanden war“. Dabei wirft sie „der Politik“ eine „Geringschätzung der Pflegeberufe“ vor.
Die Pflegekräfte sollten ihrer Meinung nach „nicht als relevanter Player oder Stakeholder in Niedersachsen im System anerkannt und integriert werden“. Die politisch Verantwortlichen und Entscheidungsträger hätten ganz offensichtlich in den meisten Fällen gar keine Vorstellung von Pflegeberufen.
Mit der Evaluation der Kammer geht Hasseler knallhart ins Gericht, sieht sie als wissenschaftlich-methodisch und handwerklich schlecht gemacht. Schon allein die Entscheidung, die Institution bereits nach zwei Jahren zu evaluieren, unterstreiche, „wie wenig die Pflegekammer gewollt war und wie groß der politische Wille war, der Pflegekammer keine Chance zu geben“, schreibt die Pflege-Expertin.
Keine objektiv-sachliche Basis für die Abschaffung
Eine Evaluation, mit der eine Organisation im Normalfall optimiert werden soll, kann nach Hasselers Ansicht nicht schon zwei Jahre nach der Gründung durchgeführt werden. Für den Aufbau seien zunächst einmal Zeit und Unterstützung nötig. Hinzu kam, dass die Pflegekräfte mitten in einer Pandemie befragt worden seien. Die Wissenschaftlerin zieht in Zweifel, dass es überhaupt eine Evaluation gegeben hat, schließlich seien die Ergebnisse nie veröffentlicht worden. „Es gab keine transparente und nachvollziehbare Darstellung einer gegebenenfalls durchgeführten Evaluation“, schreibt sie. Am Ende gebe es keine objektiv-sachliche Basis für die Abschaffung, „aber zahlreiche interessengeleitete Grundlagen“.
Und dann holt die Professorin zum Rundumschlag aus und prognostiziert, dass „eine ähnliche Befragung zur Performanz der Gewerkschaft, des Ministeriums oder der Arbeitgeber- und Trägerverbände, beispielsweise dazu, wie die Pflegeberufe sich durch diese vertreten fühlen (…) vermutlich ähnlich ernüchternd ausfallen“ würde. Allerdings gebe es „aus politischen Interessengründen keine sogenannte ‚Evaluation‘ oder Befragung zu ihrem Erhalt, weil es machtpolitisch nicht von Interesse“ sei.
„Medialer Shitstorm“
Macht – dieser Begriff taucht in Hasselers Stellungnahme immer wieder auf. Die Pflegekräfte sind für sie Frauen mit niederem Status, die nicht ernst genommen werden und von mächtigen Institutionen und Organisationen kleingehalten werden sollen.
In einer Grafik der acht Phasen in Veränderungsprozessen schreibt die Professorin unter jede einzelne Phase, warum die Kammer gescheitert ist. Das Übel beginnt schon in Phase 1: „Nutzen wurde in der breiten Masse nicht erkannt“, „Keine Transparenz über Nutzen und Funktion“, „medialer Shitstorm“, schreibt sie darunter – die Medien als Spielball der Mächtigen, die von Beginn an die Pflegekammer verhindern wollten.
Es gab keine transparente und nachvollziehbare Darstellung einer gegebenenfalls durchgeführten Evaluation.
Die Pleiten, Pech und Pannen-Geschichte der Pflegekammer und des niedersächsischen Sozialministeriums klingt nach Hasselers Bericht nach einer externen Steuerung: Hindernisse „wurden in den Weg gelegt“, schreibt sie. An manchen Stellen drängt sich die Frage auf, wo die Analyse aus der Wissenschaft endet und die Verschwörungstheorie beginnt.
Nun ist das Kind in den Brunnen gefallen. Es gebe mit der Abschaffung der Kammer „keine Körperschaft mehr für die hochrelevante Berufsgruppe der professionellen Pflege“. Damit entfalle auch ein Organ, das sich zum Beispiel um hoheitliche Aufgaben wie Qualitätsentwicklung und -sicherung kümmern könne.
Mit der Auflösung der Ethikkommission existiere kein Gremium für die Pflegeberufe mehr, „das sich zentral um ethische Standrads und Anforderungen qualitativ hochwertiger Pflege kümmern wird“. Sie befürchtet, dass man solche Entscheidungen im Ausland negativ sehen wird, denn dort seien solche Ethikkommissionen für Pflegeberufe in solchen Ländern üblich.
Hasselers Abrechnung macht deutlich, wieviel Porzellan in den vergangenen Jahren zerschlagen worden ist. Gibt es nun einen Weg? Der niedersächsische DGB schlägt die Einrichtung einer ständigen Pflegekommission oder eine freiwillige Vereinigung vor, durch die die Pflegekräfte beteiligen können. „Hier müssen Experten der Pflege regelmäßig an einen Tisch gebracht werden, um eine beratende Funktion für die Politik auszuüben – und zwar ohne dass die Interessen von Kostenträgern oder Arbeitgebern in diesen Runden dominieren“, scheibt der DGB.
Und da ja heutzutage nahezu alles eine sogenannte „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ ist, geht es an dieser Stelle natürlich auch wieder um Steuergeld: „Die Ermöglichung der Mitarbeit in einem solchen Gremium sollte vom Land finanziert werden“ heißt es. (MB.)