Die Corona-Pandemie gilt als überwunden. Doch diese Phase mit ihren Unsicherheiten und ihren strengen Schutzmaßnahmen hat Wunden hinterlassen. Menschen wurden persönlich verletzt, ganze Bevölkerungsteile stehen einander noch immer unversöhnlich gegenüber. Eine Aufarbeitung konnte aber angesichts der neuen Krisen bislang nicht vorgenommen werden. Was kann helfen? Ein Blick auf das Narbengewebe, das sich auf der Seele der Gesellschaft gebildet hat. Heute: die Gastronomie und Veranstaltungswirtschaft.

Ende Februar 2020 merkt Alexander Ostermaier, dass Corona doch größere Auswirkungen haben könnte als bislang befürchtet. Zu dem Zeitpunkt plant seine Firma mehrere Veranstaltungen in Barcelona, doch kurzfristig springen Kunden ab, die Veranstaltungsräume bleiben unerwartet leer. Ostermaier ist zu dem Zeitpunkt Geschäftsführer eines Unternehmens, das sich auf Veranstaltungstechnik spezialisiert hat. 800 Mitarbeiter, 100 Millionen Euro Umsatz, Big Player in der Veranstaltungsbranche. Mit dem verordneten Lockdown Mitte März 2020 wird die Lage schlagartig dramatisch. „80 Prozent unserer Projekte wurden innerhalb von vier Wochen abgesagt. Mit laufenden Kosten für 800 Mitarbeiter auf der einen, jedoch ohne Aufträge auf der anderen Seite war es eine Frage der Zeit, bis die Pandemie uns das Genick gebrochen hätte“, erinnert er sich zurück. Innerhalb kürzester Zeit wurden neue Verträge mit den Hunderten Mitarbeitern ausgehandelt, da es bis dahin keine Regelung für Kurzarbeit in der Firma gab, der erste Schock ist zunächst abgefedert.
Veranstaltungen galten schnell als potenzielle Infektionsherde, sodass die Landesregierung diese mehr oder weniger rigoros untersagte. Keine Konzerte, keine Fußballspiele, keine Messen, keine Firmenfeiern, keine Theateraufführungen. Die Branche, die im Hintergrund für reibungslose Abläufe solcher Events sorgt, hatte quasi Berufsverbot. Schnell gab es erste Unterstützungsprogramme für Unternehmen, doch diese richteten sich zunächst an kleine und mittlere Unternehmen bis 250 Mitarbeiter. Die Firma von Ostermaier nahm einen KfW-Kredit auf, um zunächst über die Runden zu kommen. Im Sommer gründete Ostermaier dann gemeinsam mit etlichen weiteren Mitstreitern der Veranstaltungswirtschaft das Aktionsbündnis „Alarmstufe Rot“, welches auf die größtenteils dramatische Lage der Veranstaltungsbranche aufmerksam machte. „Die Politik hat uns gefragt: ‚Wer seid Ihr und wie viele?‘, doch das konnten wir nicht wirklich differenzieren oder beziffern. Unsere Branche ist sehr fragmentiert, dynamisch und agil. Erst in diesem Kontext hat die Branche eine erste Metastudie erstellen lassen, die gezeigt hat, dass wir mit über einer Million Beschäftigter und 130 Milliarden Euro Umsatz der sechststärkste Wirtschaftszweig in Deutschland sind. Das war weder uns selbst noch der Politik bewusst.“
Nach der ersten Großdemo im September 2020 war die Politik zugänglicher, zeigte ein offenes Ohr für die Sorgen der Branche. Bei der Überarbeitung von Überbrückungshilfen und sonstigen Hilfsprogrammen wurden Vertreter der Eventbranche hinzugezogen. Dennoch fielen viele durchs Raster, bangten um die Existenz ihrer Firmen. „Bei den Entwürfen einiger Liquiditätshilfen wurde unterschieden, ob ein Unternehmen direkt oder indirekt betroffen war. Traditionell werden Veranstaltungen zwischen einem Veranstalter und einer Agentur geplant. Die Agentur bucht dann dutzende Gewerke hinzu, es ergibt sich eine lange Dienstleisterkette. Solche Besonderheiten wurden bei der Unterstützung von Unternehmen zuerst nicht berücksichtigt, sodass wir mit Nachdruck auf uns aufmerksam machen mussten, unter anderem mit prominenter Unterstützung und zwei großen Demonstrationen in Berlin“, erläutert Ostermaier.
Erst ab April 2022 durften wieder regelmäßig Veranstaltungen stattfinden. „Wir hatten ein extrem verkürztes Eventjahr mit sehr hoher Anzahl an Veranstaltungen in den Spitzenzeiten. Firmen kamen aus zwei Jahren Krise, waren sehr zurückhaltend mit Veranstaltungen. Erst ab Frühling 2023 können wir in Bezug auf Corona wieder von einer Art ‚Normalzustand‘ sprechen.“ Europaweit hat sich das Personal in der Veranstaltungsbranche halbiert. In Deutschland, betont Ostermaier, ist die Abwanderung nicht so groß gewesen, weil das Kurzarbeitergeld vielen über die Runden geholfen habe. Um die Branche anzukurbeln, hat die 2021 etablierte Bundeskonferenz Veranstaltungswirtschaft unter anderem angeregt, den steuerlichen Freibetrag für Firmenfeiern von 110 Euro auf 220 Euro pro Mitarbeiter anzuheben. Der bisherige Freibetrag galt seit 2001 und ist seitdem nicht angepasst worden. „Schlussendlich haben sie sich auf 150 Euro geeinigt, bevor durch die Entscheidung des Verfassungsgerichts erstmal alles wieder gestoppt wurde. Das ist schon etwas enttäuschend“, fasst Ostermaier zusammen. Doch etwas positives hat sein Engagement dennoch bewirkt: „Die Politik sieht uns endlich. Wir haben Kontakte und Ansprechpartner in allen wichtigen Ministerien. Die Branche hat eine Bundeskonferenz ins Leben gerufen, auf der wir über politische Forderungen sprechen. Das gab es bislang nicht in dieser Art und Weise. Was ich mir noch wünsche, ist die politische Vertretung der Veranstaltungswirtschaft in einem Ausschuss. Wir müssen aufhören, kleinteilige Interessenvertretung zu betreiben, das haben wir während der Pandemie gelernt.“ Mittlerweile ist Alexander Ostermaier Geschäftsführer der Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft. „Weil mir Corona gezeigt hat, dass auch wir ein wichtiger Wirtschaftszweig sind und unsere Stimme politisch nutzen müssen – das klappt aber nur gemeinsam.“
„Die Pandemie hat uns in Niedersachsen etwa 3500 Unternehmen in der Gastro-Branche gekostet“, fasst Rainer Balke zusammen. Der Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gastronomieverbands Dehoga Niedersachsen bezieht sich hierbei auf die Umsatzsteuerstatistik, die branchenweise aufgeschlüsselt wird. Ende 2019 gab es in Niedersachsen demnach 20.500 Unternehmen, die in der Gastronomie tätig waren, Ende 2022 waren es nur noch knapp über 17.000. „Das ist natürlich ein gewaltiger Einschnitt. Unsere Branche ist chronisch knapp an Eigenkapital und ohne Rücklagen. Natürlich sind Betriebsschließungsgedanken in solch einer Situation, wie wir sie während der Pandemie erlebt haben, unausweichlich. Die existenzielle Notlage war über die gesamte Branche spürbar.“ Die Gastronomie war somit von den Lockdowns besonders stark gebeutelt. Der Dehoga-Chef zeigt rückblickend teilweise aber auch Verständnis für die harten Maßnahmen: „Es war recht widersprüchlich. Subjektiv können wir sagen, dass viele Maßnahmen übertrieben waren. Aber das ist eine Beurteilung, die retrospektiv deutlich leichter fällt als aus der Krise heraus. Natürlich wurden Fehler begangen, viele Dinge hätten entspannter laufen können. Der einsame Mahner in der Wüste, Karl Lauterbach, rät schon wieder zu persönlichen Vorsichtsmaßnahmen in der Öffentlichkeit.“ Die Schließungen gastronomischer Betriebe waren nicht nur deshalb problematisch, weil den Unternehmen die Rücklagen fehlten. Auch Nachholeffekte in den Sommermonaten mit niedrigeren Inzidenzen stellten sich nur bedingt ein: „Wenn ich unter Corona kein Auto kaufen konnte, habe ich das eben danach gemacht. Den Gastronomiebesuch können Sie nicht ,nachholen‘. Ein Auto kann man ins Hochregal schieben und später verkaufen, für nachzuholende Hochzeitsfeiern können Sie sich aber kein zweites Geschoss auf das Lokal bauen.“
„Viele fühlen sich zu Unrecht belastet durch Abrechnungen und Rückzahlungen. Die Anforderungen haben sich laufend verändert.“
Auch für die Gastronomie wurden zügig Liquiditätshilfeprogramme ins Leben gerufen, die den Gastwirten unter die Arme greifen sollen. Doch gerade die Abrechnungen jener Programme wurden für einige Gastronomen rückwirkend erneut zum Ärgernis, weiß Rainer Balke. „Viele fühlen sich zu Unrecht belastet durch Abrechnungen und Rückzahlungen. Die Anforderungen und Vorgaben haben sich laufend verändert. Wenn Sie heute Soforthilfe beantragen, sind die Anforderungen morgen andere und bei der Abrechnung gibt es wiederum Neuerungen, die Sie bei der Beantragung noch nicht kannten. Ein Beispiel: Im Juni 2020 durfte die Gastronomie wieder öffnen, bei der Abrechnung von Liquiditätshilfen wurde dieser Monat aber auch zu den Vergleichsmonaten gezählt. Natürlich sind die Umsätze im Juni 2020 in die Höhe geschossen, haben die Abrechnungen von Hilfsprogrammen massiv verwässert. Das hat viele geärgert.“
Trotzdem ist er dankbar für die zügige Unterstützung durch die Landesregierung, die das Sonderprogramm Gastronomie und Tourismus zwischenzeitlich von 90 auf 140 Millionen Euro aufgestockt hat. „Wir haben 3500 Unternehmen weniger, da ist irgendwas falsch gelaufen. Wenn ich mir vor Augen führe, was ohne Unterstützungsprogramme passiert wäre, glaube ich, dass der Staat schon eine Menge in die Waagschale geworfen hat. 140 Millionen Euro sind in das Sonderprogramm Gastronomie und Tourismus geflossen, das ist schon eine gewaltige Leistung gewesen.“ Eine große Unterstützung für die Gastro-Branche war der Wechsel zum ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben statt 19 Prozent. Entsprechend groß ist der Ärger auf den Bundeskanzler, dass sein klares Versprechen nicht eingehalten wird. Der Besuch von Restaurants, Kneipen und Bars werde dadurch ab 2024 deutlich teurer. Der Dehoga-Chef befürchtet, dass sich die Auswirkungen der höheren Mehrwertsteuer auch auf Investitionen in der Gastronomie auswirken werden und diese schlichtweg ausbleiben. Ebenfalls sei es möglich, dass in letzter Konsequenz Mitarbeiter freigesetzt werden müssen.
„Ganz egal, wie dick es kommt: Irgendwie kommt man gemeinsam durch solche Sachen durch.“
Trotz allen Ärgers lobt Balke auch die Flexibilität seiner Branche. Innerhalb kürzester Zeit hätten viele Gastronomen ein Außerhausgeschäft etabliert, auch wenn dieses die Verluste nicht ansatzweise kompensieren konnte. Sein Fazit: „Ganz egal, wie dick es kommt: Irgendwie kommt man gemeinsam durch solche Sachen durch. Natürlich bedauern wir, dass es viele Unternehmen nicht geschafft haben. Wenn ich etwas Positives sehen soll, dann ist es, dass Politik, Branche und Verbände unter dem Krisendruck unwahrscheinlich eng zusammengerückt sind. Das war imponierend. Ich sehe die Gefahr, dass das wieder auseinandergeht, je normaler die Zustände werden. Es wäre schön, wenn der Kontakt auch über das Krisenende hinaus bestehen bleibt.“