Stefan Aust, langjähriger Spiegel-Chefredakteur und derzeit Herausgeber der Zeitung „Die Welt“, ist einer der bekanntesten Journalisten Deutschlands. Beim Besuch der Rundblick-Redaktion in Hannover äußert sich zum Wandel der Zeitungslandschaft.

Klaus Wallbaum, Stefan Aust, Isabel Christian, Martin Brüning (v.l.n.r.) – Foto: jolewa

Rundblick: Herr Aust, die Journalisten werden angegriffen, sie werden als „Lügenpresse“ verunglimpft. Droht das Ende der freien Presse?

Aust: Nein, bitte keine Übertreibungen. Was wir tatsächlich haben, ist ein Finanzierungsproblem. Bisher hat der Journalismus sich noch nie aus sich selbst heraus finanziert – und das wird noch schwieriger. Früher hieß es mit einem Anflug von Zynismus: Zeitschriften sind Unternehmungen, die Anzeigenraum produzieren als Ware, die durch den redaktionellen Text absetzbar wird. Das heißt: Die journalistischen Texte sollten die Auflage hoch halten – damit der Anzeigenverkauf gelingen kann. Jetzt sind Anzeigen im Internet ein eigenes Geschäftsmodell – und die Zeitungen und Zeitschriften müssen sich im Wesentlichen selbst finanzieren. Das ist schwierig, denn die Leser sind sehr zurückhaltend, dafür auch wirklich Geld auszugeben – vor allem Online. Erst allmählich kommt hier eine Veränderung in Gang.

Rundblick: Klappt das – oder büßen wir am Ende auf breiter Front journalistische Qualität ein, weil immer mehr selbst berufene Welterklärer im Netz ihre – oft abstrusen – Thesen vertreten?

Aust: Bisher finanzieren sich die digitalen Medien noch nicht selbst. Aber wir sind auf dem Weg dahin. Wir haben bei der „Welt“ und ihren Produkten festgestellt, dass die Leute immer öfter bereit sind, für hintergründige und qualitative Berichterstattung auch Geld zu bezahlen. Dieser Trend setzt sich immer stärker durch. Da gibt es verschiedene Modelle, etwa die Bezahlschranke auf der Internet-Seite. Wer mehr erfahren will, klickt dort an – und kann gegen eine Gebühr dann einen längeren Hintergrundtext lesen. Das System „plus“ ermöglicht, zum normalen kostenfreien Angebot noch die Lieferung von längeren Hintergrundtexten zu abonnieren. Da gibt es vieles auf dem Markt, und einiges scheint mir sehr erfolgversprechend zu sein.

https://soundcloud.com/user-385595761/stefan-aust-uber-fake-news-und-den-vertrauensverlust-bei-medien

Rundblick: Geht dieser Wandel nicht mit einer enormen Verunsicherung der Journalisten einher? Sie wissen doch gar nicht, wohin die Reise geht…

Aust: Es war immer schon schwer, als Journalist über die Runden zu kommen. In Zeiten wie heute ist das noch schwieriger, dies ist eben kein besonders lukrativer Beruf mehr. Aber einen Grund zum Jammern gibt es nun auch nicht. Was hat der berühmte Publizist Paul Sethe mal gesagt? „Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“ Das war in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, und vermutlich stimmte der Satz damals nicht – denn es waren weniger als 200 Leute, die als Verleger oder Herausgeber den Takt vorgeben konnten, wenn sie wollten. Heute ist der Besitz des Produktionsmittels nicht mehr ausschlaggebend für die Verbreitung von Meinungen. Jeder kann, wenn er will, im Netz seine Meinung einem breiten Publikum zugänglich machen.

Rundblick: Ja, aber da wird doch auch jede Menge Unsinn in die Welt geblasen – von Hasstiraden über Verschwörungstheorien bis zu bewussten Falschmeldungen, verbreitet in der Absicht, die Leute aufzuschrecken…

Aust: Ich habe auf meinem Computer ein wunderschönes Symbol – einen Papierkorb. Wenn mich jemand beschimpft oder wirres Zeug von sich gibt, schiebe ich das einfach auf den Papierkorb und lösche es, ohne mich vorher damit zu beschäftigen. Ich entscheide selbst, ob ich solche Beschimpfungen an mich heranlasse. Das ist ein empfehlenswerter Weg.

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Rundblick: Reicht das? Kann der einfache Zeitungsleser überhaupt unterscheiden, was seriös produziert wurde und was nicht?

Aust: Was wäre denn die Alternative? Eine staatliche Zensurbehörde? Davor graut mir. Dann nehme ich lieber die Nachteile in Kauf, die diese Freiheiten im Netz mit sich bringen. Nehmen wir mal an, wir würden eine staatliche Behörde errichten, die wahre von unwahren Nachrichten unterscheiden und auswählen soll. Von dort wäre es doch kein weiter Weg mehr zu einer Behörde, die jeden Wahlberechtigten einschätzt, ob er überhaupt reif ist, an einer Wahl teilzunehmen. Damit kann ich mich nicht anfreunden. Die momentane Debatte über die „Fake News“ halte ich sowieso für übertrieben. Es kommt sehr stark auf das Verhalten der Mediennutzer an, ob sie sich von jeder aufgeregten Nachricht verunsichern lassen – oder lernen, Medien einzuschätzen und abzuwägen.

Rundblick: Stefan Aust, der Optimist…

Aust: Ja, ich bin optimistisch, ich glaube, dass die Menschen nicht durchweg dumm sind, und wir müssen sie nicht ständig bevormunden. Ich denke, Qualität wird sich durchsetzen. Und wenn nicht, haben wir eben Pech gehabt. Die Bürger sind doch mündig genug. Ich sehe es doch bei uns, die „Welt“ und ihre Angebote werden durchaus genutzt. Es gibt bei vielen Leuten ein Bedürfnis an längeren, gut recherchierten und ansprechend geschriebenen Geschichten in einem seriösen Medium. Immer mehr Leute sind bereit, das zu abonnieren.

Rundblick: Ganz billig zu haben ist es aber eben auch nicht…

Aust: Mag sein, und doch ist gute Qualität künftig für die Hälfte des Preises von früher zu haben. Bei Print-Produkten geht die Hälfte des Kiosk-Preises für Papier, Druck und Vertrieb drauf. Ein Internet-Angebot kann deshalb sehr viel preiswerter sein – und schneller und damit aktueller ist es sowieso. Es gehört eben alles zusammen: Online für aktuelle Berichte, Print für vertiefende Geschichten, Video für die Anschaulichkeit. Und da sind wir bei WeltN24 ziemlich weit vorn – mit einer Tageszeitung, einer Wochenzeitung und einem Fernsehsender – und das alles zusammen online! Wenn das keine gute Nachricht ist …

Rundblick: Stimmt. Haben Sie noch mehr davon?

Aust: Ja. Denken Sie an die Recherche der Journalisten. Wenn ich früher beim NDR oder bei Spiegel TV einen längeren Beitrag gestalten wollte, bin ich erst mal ins Archiv gegangen und habe 27 Leitz-Ordner in der Sache herausgezogen. Die musste ich dann kopieren und anschließend lesen. Und heute? Im Internet kann ich mich sehr schnell auf den aktuellen Stand bringen – und noch dazu lesen, was andere über das Thema gerade so geschrieben haben. Das ist eine wahnwitzige Erleichterung – und ein erheblicher Qualitätsvorteil.

Rundblick: Ihr Optimismus ist ansteckend. Vielen Dank!