Echter Stolz oder Selbst-Beweihräucherung?
Es war ein bisschen wie ein Familienfest, als die Partner des „niedersächsischen Weges“ für mehr Artenschutz gestern zur ersten Geburtstagsfeier ihres gemeinsamen Unterfangens zusammengetroffen sind. Zu diesem feierlichen Anlass hat man extra einen Raum im neuen Landtagsrestaurant „Leineschloss“ gemietet, vor Beginn der Veranstaltung standen die einzelnen Grüppchen im Außenbereich zusammen, man machte Fotos und freute sich, einander endlich wieder „in echt“ sehen zu können nach den vielen Sitzungen in Videokonferenzen.
Erschienen waren natürlich die beiden Gastgeber: Umweltminister Olaf Lies (SPD) und Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU). Auf der Seite der Umweltschützer standen Holger Buschmann vom Naturschutzbund (Nabu), Susanne Gerstner und Axel Ebeler vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Zur Seite der Landwirtschaft zählten Landvolk-Präsident Holger Hennies und Gerhard Schwetje, der Präsident der Landwirtschaftskammer. In den Reihen der Gäste fanden sich Experten aus des Facharbeitsgruppen und quasi als Paten dieses besonderen Kindes, das in Niedersachsen im vergangenen Jahr aus der Taufe gehoben wurde, gesellten sich auch zahlreiche Agrar- und Umweltpolitiker des Landtags zum Fest.
Und ein Fest war es auch, sollte es zumindest sein. Auch wenn offiziell zu einer Pressekonferenz zur Vorstellung des ersten Jahresberichts des „niedersächsischen Weges“ geladen worden war, ging es im folgenden Programm vielmehr darum, das Besondere am Geburtstagskind zu bejubeln, den Erfolg, dass man überhaupt zusammengefunden hat. Konkrete Ergebnisse standen derweil noch nicht im Fokus.
„Niedersachsen ist innovativ“, legte BUND-Vizepräsident Ebeler vor, der unverhofft zu der Ehre gekommen war, die Reihe der Lobeshymnen zu eröffnen. „Die Lage der Gewässer war katastrophal“, erinnerte er noch einmal an den Ursprung der außergewöhnlichen Kooperation aus Politik, Umweltverbänden und Landwirtschaft. Es waren nämlich der BUND und der Nabu, die 2019 mit einem Brandbrief schleunigst Maßnahmen zum Gewässerschutz gefordert hatten. Daraus ergaben sich zwar erste Gespräche – doch weil diese zäh waren, grätschte der Nabu gemeinsam mit den niedersächsischen Grünen mit einem Artenschutz-Volksbegehren dazwischen, das den Handlungsdruck auf die Politik deutlich erhöhen sollte. Im Mai 2020 unterzeichneten die Vertragspartner ihre Kooperationsvereinbarung, im Herbst folgte dann im Landtag das einstimmige Votum für drei Gesetzesänderungen, die den „niedersächsischen Weg“ besiegeln sollten. „Ergebnisse sind nach einem Jahr natürlich noch nicht festzustellen“, konstatierte Ebeler und erklärte: „Vor Ort muss es ankommen!“
Naturschutz soll für die Landwirtschaft eine der wichtigsten Aufgaben sein.
Zumindest in Brüssel sei der Erfolg des „niedersächsischen Weges“ derweil schon angekommen, davon ist zumindest Landvolk-Präsident Hennies überzeugt, der von einem Gespräch mit Europapolitikern berichtete. Die wesentliche Essenz des Artenschutzpaketes fasste er dann so zusammen: „Naturschutz soll für die Landwirtschaft eine der wichtigsten Aufgaben sein.“ Dabei hatte er sich selbst korrigieren müssen, denn zuerst hatte er gesagt, der Naturschutz sei sogar die wichtigste Aufgabe der Landwirtschaft. Doch das soll dann aus Sicht des Bauernpräsidenten vielleicht doch lieber noch die Lebensmittelproduktion sein.
Auch Hennies hat allerdings die Sorge, dass das Prinzip des „niedersächsischen Weges“ noch nicht von allen verstanden werde. Es gehe darum, sagte er, gemeinsam etwas zu erarbeiten, dann die Folgen zu bewerten und zu klären: Was kostet das, was bringt es und wer bezahlt das? Jetzt müsse es darum gehen, dieses Prinzip „bis in jedes Dorf“ zu verbreiten. Da stimmte ihm auch Agrarministerin Otte-Kinast zu. „Vor Ort muss das noch erklärt werden“, sagte sie und lobte eine Postkartenaktion des Landvolks oder einen Hashtag, den sich ihr Ministerium ausgedacht hatte. In denselben Chor stimmte ebenso Nabu-Landeschef Buschmann mit ein, er forderte: „Entscheidend ist das, was in der Fläche ankommt.“
Grüne: Unterhalb der Gesetze wurde nichts getan
Was aber kommt in der Fläche an? Fragt man die niedersächsischen Grünen, ist dort bislang wenig bis gar nichts erreicht worden. Der Jahresbericht zeige nicht, was bisher umgesetzt wurde, sondern verweise nur auf die Zukunft, meinte der frühere Agrarminister Christian Meyer im Anschluss an die Veranstaltung. Die Kulisse für die Gewässerrandstreifen fehle, ein Insektenschutzprogramm gebe es auch noch nicht und der Erschwernisausgleich für die Landwirte soll erst im vierten Quartal 2021 geregelt werden, obwohl die entsprechenden Gesetze seit Beginn des Jahres gelten. Dass die Umsetzung vor Ort stockt, führen die Grünen darauf zurück, dass unterhalb der Gesetzesebene kaum etwas passiert sei. Entscheidende Erlasse fehlten noch, außerdem sei für die unteren Naturschutzbehörden häufig noch völlig unklar, wie bestimmte Dinge vor Ort umgesetzt werden müssen, etwa die Kontrollen der Gewässerrandstreifen. Immerhin, räumte die Grünen-Landesvorsitzende Anne Kura ein, seien die zu Beginn des Jahres zusätzlich geschaffenen Stellen in den unteren Naturschutzbehörden allmählich besetzt worden. Die Landesregierung insgesamt lasse aber erkennen, dass Natur- und Umweltschutz bei ihr eine untergeordnete Priorität habe, urteilte die Grünen-Chefin.
Ein wichtiges Instrument, um die Kompromisse des „niedersächsischen Weges“ vor Ort zu implementieren, sind die ökologischen Stationen, von denen in den kommenden Jahren 15 neue errichtet werden sollen. In den vergangenen Wochen hatte es allerdings mancherorts Unstimmigkeiten darüber gegeben, wer die Trägerschaft dieser Stationen übernehmen soll und wie die Vergabe geregelt wird – das Politikjournal Rundblick hatte berichtet. Die Grünen sehen auch hier ein Versagen des Umweltministeriums, das es bislang versäumt habe, klare Qualitätskriterien zu kommunizieren. Meyer sprach von einem „Windhundprinzip“ bei der Vergabe. Insgesamt bewerteten die Grünen den Jahresbericht als reine PR-Aktion.
Offene Baustellen zu benennen, ist doch nicht schlimm.
Umweltminister Lies findet es allerdings gar nicht verwerflich, dass der Jahresbericht noch nicht voll von Erfolgen ist. „Offene Baustellen zu benennen, ist doch nicht schlimm“, sagte er gegen Ende der gestrigen Veranstaltung. Er werde häufig gefragt, ob die Ergebnisse des niedersächsischen Weges denn schon irgendwo zu sehen seien – Gewässerrandstreifen, Natura-2000-Schutz, Biotopvernetzung? Lies antwortet dann: „Wir werden das alles sichtbar machen!“ Agrarministerin Otte-Kinast hatte dann auch gleich die Idee, wie man das am besten verdeutlichen könnte – und lud direkt zum zweiten Geburtstag des „niedersächsischen Weges“ auf einen landwirtschaftlichen Betrieb ein. Das soll dann im Mai 2022 sein.
Anbieten würde sich dafür vielleicht der Hof jenes Landwirts, der aus Sicht der Veranstalter das geeignetste Schlusswort für die Feierlichkeiten geliefert hatte. Er sagte: „Wenn ich mir im Vergleich die Bundespolitik ansehe, bin ich froh, dass ich als Landwirt in Niedersachsen arbeite.“
Von Niklas Kleinwächter