
Im Sommer ist Simone Menne zur Präsidentin der American Chamber of Commerce in Germany (AmCham Germany) gewählt worden. Die Managerin, die als Non-Executive Director beim US-Mischkonzern Johnson Controls International tätig ist und bei der Deutschen Post sowie Henkel AG im Aufsichtsrat sitzt, will die transatlantischen Beziehungen wieder in Schwung bringen. Zusammen mit Christian Nordholtz, AmCham-Mitglied und Standortleiter von KPMG Law in Hannover, spricht sie im Rundblick-Interview über die größten Aufgaben, Missverständnisse und Herausforderungen für die neue Bundesregierung und die niedersächsische Wirtschaft.

Rundblick: Vier Jahre lang galt im Weißen Haus die Devise „America First“. Durch Joe Biden erhofft man sich in Deutschland ein neues Kapitel der transatlantischen Kooperation. Viele Streitthemen wie Nord Stream 2, die deutschen Verteidigungsausgaben oder Handelskonflikte sind aber noch dieselben. Kommen wir bei der Problemlösung nicht voran?
Menne: Wir haben Probleme, die weiterhin nicht gelöst sind. Aber wir haben Fortschritte gemacht, seitdem die Biden-Administration angetreten ist. So ist zum Beispiel das Thema Strafzölle beim Flugzeugbau – Boeing und Airbus – ausgesetzt worden. Nicht gelöst, aber ausgesetzt. Man hat sich Zeit genommen, um eine gute Lösung zu finden. Die Zölle auf Stahl und Aluminium sind auch wieder zurückgenommen worden. Und auch da wurde gesagt: Wir nehmen uns Zeit, das zu lösen. Aber gleichzeitig haben die USA und Deutschland gesagt: Wir wollen beim Thema „grüner Stahl“ zusammenarbeiten und das in eine Lösung miteinbeziehen. Das ist ein guter Fortschritt.
Rundblick: In welchen Punkten sollte eine neue deutsche Bundesregierung den USA entgegenkommen?
Menne: Wichtig ist, dass man erkennt, dass auch das innenpolitische Spiel ganz wichtig ist. Der Wähler in Amerika hat auch Ansprüche. Die Bundesregierung muss zulassen, dass Herr Biden zeigt, dass er Gewinne hat. Das könnten Zoll-Themen sein. Da ist Deutschland zwar stark an die EU gebunden. Aber Herr Junker hatte Herrn Trump schon mal angeboten, Zölle völlig abschafft. Warum nicht? Deutschland könnte aber auch deutliche Aussagen zum Thema China machen oder zu Zusagen bei der Einhaltung des Nato-Vertrags.
Rundblick: Trauen Sie das der neuen Bundesregierung zu?
Menne: Was in den letzten Jahren fehlte, waren klare Aussagen. Deutschland hat schon versucht, sich ein bisschen durchzulavieren. Und das werden weder die Bürger noch die Handelspartner goutieren. Ich würde jeder deutschen Bundesregierung empfehlen, da klare Worte zu finden.

Nordholtz: Ich hätte mir vor vier Jahren nie vorstellen können, als AmChan-Mitglied gegenüber Amerikanern dafür werben zu müssen, dass man für Freihandel, für Demokratie ist. Durch Herrn Biden ist die Diskussionskultur jetzt aber wieder eine andere geworden. Es gibt weniger Druck, mehr Austausch. Das hat konkrete Auswirkungen auf niedersächsische Unternehmen, weil sie über Bande auch betroffen waren.
Rundblick: Können Sie da ein Beispiel nennen?
Nordholtz: Ich habe die Erfolgsstory von Jägermeister verfolgt und weiß, dass sie einen großen Absatzmarkt in Amerika haben und deswegen durch Zölle und Einfuhrbeschränkungen stärker betroffen sind als andere Unternehmen. Da ist Kalkulierbarkeit und Planbarkeit plötzlich ein Punkt, der in den letzten vier Jahren unheimlich an Bedeutung gewonnen hat. Denn natürlich will ein Unternehmen aus Helmstedt-Wolfenbüttel wissen, wie es Fabriken, Lieferungen und auch Personal einplanen kann. Und wenn das schwieriger wird, dann haben wir ein Thema. Als AmCham und Transatlantiker wollen wir dafür stehen, dass wir verlässlich bleiben.
Rundblick: Wie betrifft das die großen Konzerne?
Menne: Sobald es um Zölle und Strafzölle geht, sind alle betroffen. Gerade die großen Automobilhersteller produzieren ja auch alle in den USA. Zölle auf Automobilimporte und auch -exporte würden dazu führen, dass sich Unternehmen wie VW überlegen, alle Bestandteile eines Autos in den USA zu produzieren – und die anderen dann in Europa und die anderen dann vielleicht in Asien. Das hätte Einfluss auf die Gesamtproduktion eines Unternehmens. Und bei Conti als Automobilzulieferer genauso. Die Kalkulation wäre dann eine völlig andere als derzeit im globalen Welthandel und ich denke, dass wäre ein riesiger Rückschritt gewesen. Von daher schätzen wir, dass Herr Biden multilateral denkt und sagt: Wir brauchen globalen Handel. Protektionismus und Grenzen ziehen macht keinen Sinn in der heutigen Welt.
Rundblick: Braucht ein Unternehmen heutzutage ein Werk in den USA, um dort Marktchancen zu haben?

Nordholtz: Das hängt vom Produkt oder der Dienstleistung ab. Eine pauschale Antwort gibt es da nicht. Niemand hätte in Deutschland vor vier Jahren gedacht, dass Trump gewinnt. Das zeigt, wie wenig wir eigentlich Amerika verstanden haben. Und wenn sich eine niedersächsische Firma dafür entscheidet, in Amerika präsent zu sein, ist es extrem wichtig, auch den Markt und die Amerikaner zu verstehen. Wir haben schon in den letzten Jahren wenig zugehört, was eigentlich die Interessen der Amerikaner sind. Keiner hat gefragt: Amerikaner, was erwartet ihr eigentlich von uns? Das ist aber extrem wichtig, wenn man als Unternehmen in den USA tätig ist.
Rundblick: Was verstehen die Amerikaner denn bei uns nicht?
Menne: Wenn wir unsere Mitglieder befragen, das sind deutsche und amerikanische Unternehmen, dann gibt es einen Riesen-Rückstau beim Thema digitale Infrastruktur. Alle sagen, das geht so nicht weiter. Was auch nicht verstanden wird, ist die Administration – sowohl in den Behörden als auch in den Unternehmen. Deutschland ist, glaube ich, führend in der Papierproduktion. Wir sind immer noch gut mit Faxen und Ausdrucken und das ist etwas, wo die Amerikaner den Kopf schütteln. Die Amerikaner schütteln auch den Kopf darüber, dass wir nicht so klar sind bei der Pandemie-Bekämpfung. Da denkt man in Amerika: Die Deutschen sind doch eigentlich viel stringenter. Was passiert da eigentlich? Da hat Deutschland als Standort nachgelassen.
Rundblick: Woran machen Sie das fest?
Menne: Nach meiner Einschätzung waren wir an vielen Stellen zu erfolgreich und sind dann bequem geworden. Wir sind jedes Jahr wieder Exportweltmeister geworden und das haben wir unter anderem dadurch erreicht, dass viel gespart wurde – das holt uns jetzt ein. Für unsere Ausbildung, gerade das duale System, sind wir immer noch hoch anerkannt. Aber wenn man sich ansieht, was gerade in den Schulen und in der Bildung passiert, dann muss man fragen: Wie kriegen wir das schnell wieder hin? Die Bequemlichkeit, das Einrichten in bestehende Strukturen und die fehlende Bereitschaft zu Änderungen in Zeiten von riesigen Technologiesprüngen, Pandemie, demokratischen Wandel und Klimaproblemen – das können wir uns nicht mehr leisten. Da ist die Erwartung unserer Partner, und speziell auch der Amerikaner, dass wir uns da ändern.
Nordholtz: Die Amerikaner haben die „Let’s do it“-Mentalität und sagen: Don’t waste a good crisis. Sie haben eine andere Herangehensweise. Wir Deutsche wollen formal planen, Listen anfertigen, nichts falsch machen und gleichbehandeln. Für uns ist es auch ein Zeichen der Freundschaft, dass wir offen und ehrlich sind und sehr klar unsere Argumente auch im Gegensatz zu unserem Gegenüber darstellen. Das kommt bei machen so rüber, als ob man gerade eine Differenz hat. Ich glaube, uns würde es gut tun, auch erstmal die Freundschaft zu bekennen und auch klar auszudrücken. Und auch zu sagen, wo sind wir einer Meinung und wo gehen wir den gleichen Weg mit.

Rundblick: Bei der Bewältigung der Klima-Krise hat man in Deutschland manchmal den Eindruck, dass die Amerikaner den gleichen Weg, aber etwas langsamer gehen …
Menne: Eine der ersten Amtshandlungen von Präsident Biden war es, einen globalen Klimagipfel einzuberufen – mit Russland und China am Tisch. Das ist für ihn ein ganz, ganz wichtiges Thema. Auch beschlossen wurde ein Klimaclub. Wenn Europa und die USA Mitglieder dieses Clubs sind und die CO2-Bepreisung dadurch regeln, können wir weltweiten Einfluss auf Klimaregulierung nehmen.
Rundblick: Auch beim klimaneutralen Fliegen, das AmCham besonders wichtig ist?
Menne: Die amerikanischen Fluglinien haben ein Bekenntnis zum klimaneutralen Fliegen bis 2050. Und es gibt gerade Entwicklungen, die mich überrascht haben: Weg vom Jet hin zum Turboprop, weil der Turboprop tatsächlich klimaneutraler geflogen werden kann. Also es gibt da sehr, sehr viele Bemühungen in den USA. Wir sehen ja auch, dass das stark von Bundesland zu Bundesland getrieben ist. Kalifornien ist weiter als im Zweifelsfall Wyoming. Aber ich hatte neulich den Vorzug mit dem General Council, der hier für Norddeutschland zuständig ist, zu sprechen. Er kommt aus Texas und was in Texas an Sonnenenergie passiert, das ist unglaublich. Wir verbinden Texas immer nur mit Öl und Schmutz. Das ist überhaupt nicht mehr so. Also da passiert viel, was vielleicht hier nicht so bekannt ist.
Rundblick: Warum ist Deutschland nicht so bekannt, obwohl es ja eigentlich Vorbildcharakter haben könnte?
Menne: Da müssen Sie eher die Medien fragen. Ich gebe Ihnen völlig recht, es müsste mehr darüber gesprochen werden. Wo sind die guten Beispiele? Wer tut schon etwas? Vielleicht ist es das Gefühl: Oh Gott, wir hinken selber hinterher. Jetzt lass‘ uns nicht noch davon reden, wie toll die anderen sind.
Nordholz: Jetzt positiv die transatlantische Beziehung zu stärken, heißt auch in Forschungskooperationen nach vorne zu gehen. Zum Beispiel in Stade mit dem großen Airbus-Werk. Dort in grünen Wasserstoff für die Zukunft zu investieren, halte ich für extrem hilfreich. Das hat unmittelbare Vorteile für uns Niedersachsen. In Celle befindet sich das kleine Texas von Deutschland. Wir haben Exxon-Mobil vor Ort, in Hannover und Hamburg. Wir haben weitere wie Dow, die in Stade überlegen, einen LNG-Hafen zu bauen. Das sind ja ganz konkrete Infrastruktur-Projekte, wo wir jetzt positive Signale senden, dass wir gemeinsam etwas machen, um die transatlantische Beziehung zu bauen. Darüber zu sprechen und nicht nur über andere Röhren, wäre eine Sache, die unserer Beziehung helfen würde.
