Sind die Auswahlkriterien, nach denen im öffentlichen Dienst des Landes und der Kommunen freiwerdende Stellen besetzt werden, noch zeitgemäß – oder engen sie die Möglichkeiten der Vorgesetzten in unzumutbarer Weise ein? Dass hier offenbar ein Problem besteht, wird im aktuellen Streit um die Personalpolitik des ehemaligen Göttinger Oberbürgermeisters Rolf-Georg Köhler (SPD) deutlich.

Köhler war bei der OB-Wahl am 26. September nicht erneut angetreten, der 69-Jährige befindet sich im Ruhestand. Der Bund der Steuerzahler (BdSt) hat am Dienstag die Kommunalaufsicht beim niedersächsischen Innenministerium aufgefordert, ein Disziplinarverfahren gegen Köhler einzuleiten. Wie BdSt-Präsident Bernhard Zentgraf erklärte, bestehe der „Verdacht eines oder mehrerer Dienstvergehen“ gegen den früheren OB. Hintergrund ist die aktuelle Begründung eines OVG-Urteils vom 3. November.
Lange stritten die Verwaltungsgerichte über den Versuch von Köhler, eine von ihm als geeignet angesehene Bewerberin auf die Stelle der Leiterin des Fachbereichs für Personal und Organisation zu hieven. BdSt-Präsident Zentgraf erklärt nun: „Dreimal, im September 2017, im Mai 2018 und im Mai 2019, schrieb die Stadt Göttingen die Stellenleitung aus. Jedes Mal untersagten die Gerichte die Besetzung der leitenden Dienststelle – zuletzt das Oberverwaltungsgericht Lüneburg mit Beschluss am 3. November.“ Das OVG habe festgestellt, dass der OB seine Organisationsgewalt gezielt und manipulativ eingesetzt habe, um die Entscheidung zugunsten einer Person und zu Lasten einer Mitbewerberin zu steuern.

"Ich habe versucht, gemeinsam mit dem Personalrat, neue Bewertungsmaßstäbe zu definieren, die auch auf Führungs- und Sozialverhalten abheben.“
Rolf-Georg Köhler
Es seien zudem unsachgemäße Begründungen präsentiert worden. Somit bestehe der Verdacht, Köhler könne „seine Dienstpflichten schwerwiegend verletzt haben“, der BdSt wirft ihm „mutwillig herbeigeführte Prozesskosten“ vor. Damit habe er gegen die Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit verstoßen. Köhler äußerte sich im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick zu der Kritik – und zieht zugleich die seit Jahren geltenden und immer wieder angewandten Auswahlregeln für Führungspositionen in der Verwaltung in Zweifel. „Ich habe versucht, gemeinsam mit dem Personalrat, neue Bewertungsmaßstäbe zu definieren, die auch auf Führungs- und Sozialverhalten abheben. Leider konnten wir das nach den ersten Hinweisen der Gerichte nicht fortsetzen.“ Das Problem in der staatlichen Verwaltung sei, dass die Kriterien von Eignung, Befähigung und Leistung an sehr formalen Kriterien gemessen würden – etwa der Beurteilung und dann der Höhe der bereits erreichten Besoldungsstufe. „Im Ergebnis kommen im öffentlichen Dienst die Leute viel zu spät in Führungsverantwortung, wenn man das etwa mit der Privatwirtschaft vergleicht“, klagt Köhler.
Im konkreten Fall gab es eine Bewerberin, die er als geeignet ansah und die nach A13 besoldet wurde. Daneben gab es eine Mitbewerberin, die auch nach A13 eingestuft war. Wie aus dem OVG-Urteil hervorgeht, das dem Politikjournal Rundblick vorliegt, wandte die Stadt im ersten Durchgang das von Köhler erwähnte neue Beurteilungssystem an, das Verwaltungsgericht kippte aber die Entscheidung. In der zweiten Runde wurde nur intern in der Stadtverwaltung, nicht aber öffentlich ausgeschrieben, ein Umstand, der in Gerichtsurteilen auch kritisiert wurde, da für den Wechsel der Form keine ausreichende Begründung gegeben worden sei. Zulagen für beide Bewerberinnen wurden gewährt. Sonder-Beurteilungen wurden geschrieben, die für die Auswahl herangezogen werden sollten. Auch das weckte wieder juristische Zweifel. Im späteren Durchlauf verzichtete die Stadt darauf, als Anforderungsprofil für die Bewerber die „Führungserfahrung“ zu erwähnen – ein Schritt, der aus Sicht der Kritiker auch allein dem Ziel diente, die vorher vom OB ausgewählte Person zu fördern. Hier urteilte das OVG Lüneburg, für dieses Ausklammern eines wichtigen Kriteriums fehle „jede plausible sachliche Begründung“.
Nach Ansicht des Pensionärs Köhler, der den Vorwurf der gezielten Begünstigung einer Bewerberin strikt zurückweist, offenbart der Streit eine extreme Schwäche in der Stellenbesetzungspraxis im öffentlichen Dienst. Die Gerichte hätten sich nicht einmal mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit die verschiedenen Bewerber tatsächlich geeignet gewesen seien für Führungsfunktionen, sagt der frühere OB gegenüber dem Politikjournal Rundblick. Wenn es um die Stellenbesetzung gehe, konzentrierten sich die Gerichte allein auf formale Kriterien – und dabei hätten immer diejenigen den Vorteil, die schon lange in hohen Funktionen tätig sind. Teamfähigkeit und Sozialverhalten spielten dann leider keine Rolle.