4. Apr. 2022 · Wirtschaft

Diepholzer Landrat: Gazprom-Erklärung droht Gasspeicher in Rehden zu blockieren

Der Diepholzer Landrat Cord Bockhop (CDU), in dessen Region der größte deutsche Gasspeicher in Rehden liegt, hat scharfe Kritik an der Energiepolitik der vergangenen Jahrzehnte geübt. „Wir haben im Glauben an die freie Marktwirtschaft zu sehr auf Liberalisierung der Märkte gesetzt und dabei nicht darauf geachtet, dass die Daseinsvorsorge gefährdet werden könnte“, sagte Bockhop im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick.

Der Ärger über den leeren Gasspeicher im Kreis Diepholz ist groß. Landrat Cord Bockhop (CDU) spricht von Marktversagen. | Foto: Metropolregion Nordwest/Marco Gallmeier, Astora GmbH, Montage: Rundblick

Das Stichwort der vergangenen Jahrzehnte sei „Unbundling“ gewesen, das englische Wort für „Entflechtung“. Dabei sei versäumt worden, wichtige Schutzvorkehrungen zu treffen wie die Schaffung einer Mindestreserve für die Gasspeicher. Die Pflicht zu dieser Reserve soll jetzt schleunigst nachgeholt werden, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bereitet ein entsprechendes Gesetz vor. Bockhop hält das für richtig und pocht auf Sicherheit: „Wir müssen lernen, dass das Beharren auf reinen Marktmechanismen einfach zu wenig ist.“

Vielfalt von Anbietern sollte gewährleistet werden

Mit „Unbundling“ ist gemeint, dass mit der 1998 gestarteten und von der EU begleiteten Liberalisierungswelle die Vielfalt von Anbietern gewährleistet werden sollte. Die Trennung von Netz und Vertrieb der Energieversorgung wurde angestrebt, das führte zu Ausschreibungen und Suchen nach den jeweils günstigen Angeboten. Die marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens sollte vermieden werden. Doch beim Blick auf diese Details ist nach Darstellung des Diepholzer Landrats ausgeblendet worden, dass die Abhängigkeit nicht allein auf Seiten eines dominanten Versorgers liegen kann, sondern auch beim Lieferanten. Da russisches Gas günstig zu bekommen war, stützten sich die Deutschen lange auf diese Quelle.

Eine womöglich in nächster Zeit noch zu klärende Frage dürfte sein, ob ein merkwürdiges Zusammentreffen zweier Akteure nicht als Problem erkannt oder nicht ernst genug genommen wurde: Ein Gazprom-Unternehmen als Betreiber von Gasspeichern und Gazprom als hauptsächlicher Gaslieferant. Die Gazprom-Tochter Astora steuert seit 2015 den Gasspeicher in Rehden (Kreis Diepholz), gleichzeitig ist Gazprom-Germania an Gasspeichern in Etzel und Jemgum in Niedersachsen, sowie an solchen in Sachsen-Anhalt, Österreich und anderen Nachbarstaaten beteiligt. Die BASF-Tochter Wintershall hatte nach dem Ende der Gasförderung in Rehden die Speicher an Gazprom übertragen. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte den Deal genehmigt – allerdings erst ein Jahr nach dem Überfall Russlands auf die Krim 2014, als nach dem Minsker Abkommen die Aussicht auf eine Verständigung im Konflikt zwischen Moskau und Kiew bestanden hatte. Bundeswirtschaftsminister war damals Sigmar Gabriel (SPD).

Gazprom-Lieferung wurde angekündigt aber kam nicht

Nun gibt es Hinweise, dass Gazprom im vergangenen Sommer als Lieferant zwar Speicherplatz in dem von einer Gazprom-Tochter betriebenen Speicher Rehden gebucht hat – aber die erwartete Lieferung dann nicht folgte. Warum das so war, wird unterschiedlich dargestellt. Manche sagen, das liege daran, dass die Gaspreise vergangenen Sommer nicht niedrig genug waren, sich die Einlagerung also nicht gelohnt habe. Andere sehen hinter der Tatsache, dass der Gasspeicher Rehden derzeit nur zu gut 4 Prozent gefüllt ist, ein politisches Druckmittel der russischen Regierung, ausgeführt über eine Gazprom-Seilschaft: Man habe die Vorräte künstlich knapp gehalten für den Druck auf die deutsche Regierung, die Genehmigung für die Gasleitung Nord-Stream II möglichst rasch zu erteilen.



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Der Diepholzer Landrat Bockhop sagt, die politische Dimension der Übertragung des Gasspeichers an eine Gazprom-Tochter sei nicht gesehen, womöglich unterschätzt worden. Im Juli 2014, noch vor dem Vollzug des Geschäfts, aber erst ein halbes Jahr nach der Krim-Annexion durch Russland, sagte der damalige Landes-Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) im Landtag auf eine CDU-Anfrage: „Die Landesregierung sieht aufgrund der Tatsache, dass sich die Erdgasspeicher im liberalisierten Markt befinden und weiterhin dem EU- und dem deutschen Recht unterliegen, keine Gefährdung der Versorgungssicherheit niedersächsischer Kunden im Erdgassegment.“

„Wenn der Gasspeicher jetzt durch die aktuelle Gazprom-Mitteilung herrenlos geworden ist, wird es für den deutschen Staat ganz schwer, darauf Zugriff zu nehmen."

Neue Schwierigkeiten sieht Bockhop nun durch die neueste Wendung in der Gas-Debatte auf Rehden zukommen. Vergangenen Freitag hatte die Gazprom-Zentrale in Moskau mitgeteilt: „Am 31. März beendete die Gazprom-Gruppe ihre Beteiligung an dem deutschen Unternehmen Gazprom-Germania GmbH und allen ihren Vermögenswerten.“ Der Diepholzer Landrat sieht in diesem Schritt einen „taktischen Winkelzug“ mit dem möglichen Ziel, den deutschen Zugriff auf den Gasspeicher Rehden zu verzögern oder gar zu blockieren: „Wenn der Gasspeicher jetzt durch die aktuelle Gazprom-Mitteilung herrenlos geworden ist, wird es für den deutschen Staat ganz schwer, darauf Zugriff zu nehmen. Zunächst muss man den Eigentümer ermitteln, ihn dann an seine Pflichten, etwa die Mindestfüllmenge, erinnern. Man kann auch zum Mittel der Enteignung schreiten – aber nur dann, wenn man dem Eigentümer vorher die Chance auf rechtliches Gehör gegeben hat. Das aber dauert sehr lange.“

Deshalb drängt der Landrat zur Eile: Wenn man im Herbst die Mindestfüllmenge im Gasspeicher Rehden sicherstellen wolle, müsse die deutsche Regierung jetzt schon die nötigen Schritte dazu anschieben. Das ist dann auch zunächst geschehen: Am Montag, nachdem über einen Verkauf der Gazprom-Tochter spekuliert worden war, verfügte Bundeswirtschaftsminister Habeck die Treuhand-Verwaltung für Gazprom-Germania – und damit auch für den Gasspeicher in Rehden. Damit hat nun die Bundesnetzagentur zunächst das Sagen, kann die Mindestfüllmenge anordnen und auch das Gazprom-Germania-Management auswechseln – allerdings nur vorläufig bis September. Wie lange diese Treuhandverwaltung rechtlich haltbar ist, oder ob nicht eine förmliche Enteignung zwingend wird, ist noch eine juristisch knifflige Frage.

Dieser Artikel erschien am 5.4.2022 in Ausgabe #064.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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